Zwei Filme, Alice Winocours «Revoir Paris» und «Novembre» von Cédric Jimenez, kommen auf die Attentate zurück, die Paris Ende 2015 erschüttert hatten. Gemeinsamkeiten haben sie nahezu keine, wenn nicht die Überzeugung, dass die Fiktion weiterhin ein taugliches Mittel ist, um der Darstellung der Wirklichkeit gerecht zu werden.
Die beiden Spielfilme sind nicht die ersten audiovisuellen Produktionen, die auf die Attentatswelle vom 13. November zurückkommen. Vor vier Jahren hatte Michaël Hers mit «Amanda» ein sensibles Porträt eines siebenjährigen Mädchens gedreht, das nach einem Bombenanschlag als Waise von ihrem Onkel erzogen wurde. Die Explosion, die den Tod der Eltern provozierte, blieb grösstenteils im Off, die darauffolgenden Momente der Trauer liess die Kamera mit einem warmen Sommerambiente kontrastieren. Auch in «En thérapie», der 2021 ausgestrahlten Serie von Arte, werden die Schockwellen der Attentate nachgezeichnet: Die Séancen, der sich die Patienten des Psychoanalysten unterziehen – darunter eine Chirurgin und ein Polizist eines Sonderkommandos –, soll ihnen bei der Verarbeitung des erlebten Traumas helfen.
«Revoir Paris» und «Novembre» tauchen beide tief und direkt ins Geschehen ein, wobei die zwei Filme einen diametral entgegengesetzten Blickwinkel einnehmen: Winocours Kamera folgt Mia, einer Übersetzerin (Virginie Efira), die im Restaurant nur knapp den Kugeln eines schwarzvermummten Attentäters entkommt und nach einem monatelangen Aufenthalt auf dem Land nach Paris zurückkehrt, um ihre schockbedingte Amnesie zu heilen. Jimenez reinszeniert das sicherheitspolitische Chaos, das die Schiessereien in Paris ausgelöst hatten, und begleitet die Polizisten bis zur fünf Tage später erfolgten Konfrontation mit zwei der Haupttäter in einem Versteck in der Pariser Vorstadt Saint-Denis.
«Revoir Paris»
Mit ihrer intimistischen Sichtweise geht die Regisseurin ein gewisses Risiko ein: Ihr Interesse an der seelischen Verwundung ihrer Protagonistin lässt sie sowohl den «religiösen» Kontext als auch die von den blinden Angriffen ausgelöste kollektive Erschütterung vergessen, die die französische Hauptstadt wochenlang unter Spannung gehalten hatte. Jimenez besetzt die Polizistenrollen mit einer Starriege (Jean Dujardin und Sandrine Kiberlain, Jérémie Regnier und Anaïs Demoustier), während die Terroristen und ihre Komplizen, via Überwachungskameras gefilmt oder von unbekannten Schauspielern dargestellt, sozusagen gesichtslos bleiben.
Winocour hatte sich, wie sie im Interview vorausschickt, von den Geschehnissen persönlich betroffen gefühlt, weil ihr eigener Bruder im Konzertsaal Bataclan anwesend war. Selbstbezogen ist die Inszenierung jedoch nie, und in gewisser Weise ist die Scheu der Regisseurin, nichts von sich selbst preiszugeben, auch in ihrer Figur angelegt: Man kann höchstens erahnen, dass sich Mias Beziehung mit einem Arzt im Stillstand befindet, auch ihre Eltern, bei denen sie nach dem Verlassen des Spitals Zuflucht sucht, werden allenfalls in einer Dialogzeile erwähnt. Erst später, als sie bei einem Treffen von Opfern einem Trader wiederbegegnet, der am fatalen Abend am Nebentisch sass (Benoît Magimel), wird sie ihre emotionale Gespaltenheit zum Ausdruck bringen.
Sie habe das Attentat wie «ein schwarzes Loch» darstellen wollen, sagt die Regisseurin, und ihre Figur «wie in einem gebrochenen Spiegel» gefilmt. Zum Teil ist dies in der Regieführung nachvollziehbar: den Nahaufnahmen sind schwache Geräuschkulissen unterlegt, während die kontemplativen Szenen von krachendem Lärm unterbrochen werden können. Es sind offensichtlich Bilder einer psychischen Fragilität: Sie müsse erst den «Diamanten im Trauma» freilegen, wird Mia von einer Psychologin belehrt, wenn sie gestärkt aus der Erfahrung herausfinden wolle.
«Novembre»
«Novembre» lade weniger «zum Erinnern als zur Entspannung» ein, schrieb das Branchenblatt «Variety» und trifft damit wohl die essenzielle Differenz zwischen den beiden Produktionen. In Jimenez’ «Film policier» ist es in erster Linie der Mangel an Alterität, der die Regie trotz ihrer Virtuosität rasch vergessen lässt. Die polizeiliche Untersuchung ist in hohem Rhythmus gehalten, die knappen Zwischentitel, die die Chronologie widerspiegeln, tragen zur Verdichtung des Ambientes bei. Mise en Scène und Drehbuch zielen auf grösstmöglichen Realismus – selbst die fünftausend Kugeln, die am 18. November in Saint-Denis abgefeuert wurden, sind vermutlich extensiv auf der Leinwand zu sehen. Umso erstaunlicher wirkt in dieser Hinsicht, dass die Kamera den Tätern nie zu scharfen Konturen verhelfen kann.
Mag sein, dass der Mangel an fiktionalem Profil, der Jimenez’ Inszenierung charakterisiert, auch den Reaktionen auf seinen vorherigen Film geschuldet ist. «Bac Nord», am letztjährigen Festival uraufgeführt, verfolgt eine Einheit der Marseiller «Brigade Anti-Criminalité», die gegen einen mit Schnellfeuerwaffen bewaffneten Drogenring in den Krieg zieht. Die Filmpresse kritisierte die dehumanisierte Darstellung der Kriminellen und warf der Regie vor, die Ethik der Spannung geopfert zu haben, während ein irischer Journalist anlässlich der Pressekonferenz mit seiner Bemerkung provozierte, «Bac Nord» wäre gefilmtes Propagandamaterial für den kommenden Wahlkampf von Marine Le Pen.
Der Terror als blinder Fleck: In «Revoir Paris» erscheinen die Ereignisse des Novembers 2015 als unüberwindbare Wand, an der die Erinnerungen scheitern und die Paarbeziehungen zerbrechen. Winocour hat die Aporie ins Zentrum ihres Films gestellt, Jimenez übersättigt Bild- und Tonspur, um sie zu umgehen.