Schwarzer Tag für Matteo Salvini. Der italienische Rechnungshof sagt Nein zur geplanten Brücke über die Meerenge von Messina und erteilt dem rechtspopulistischen Lega-Chef eine Abfuhr.
Die für den Bau im italienischen Budget vorgesehenen 13,5 Milliarden Euro sollen nun für andere Vorhaben freigegeben werden, fordert die Opposition. Für den eher glücklosen Salvini, der sich mit der Brücke ein Denkmal setzen wollte, bedeutet dies einen schweren Schlag. Sein Ziel war es, bereits in den nächsten Monaten mit der Konstruktion des sehr umstrittenen Bauwerks zu beginnen. Salvini hatte das Vorhaben schon als «pharaonisches Projekt» gewürdigt.
Das von der Regierung Meloni eingeleitete Verfahren zur Realisierung des Projekts «entspricht nicht den europäischen Vorschriften», so die Rechnungsprüfer. Früher war geplant gewesen, dass ein grosser Teil der Kosten von privaten Unternehmen getragen wird. Jetzt jedoch soll die Brücke fast ausschliesslich vom Staat bezahlt werden. Der Rechnungshof argumentiert, dass «keine Gewissheit» besteht, dass die Kosten, die dem Staat aufgebürdet würden, nicht stark steigen könnten. Der Rechnungshof verlangt eine neue Ausschreibung.
30 Milliarden?
Die von Salvini berechneten 13,5 Milliarden Euro waren seit jeher angezweifelt worden. Unabhängige Planer und Geologen rechneten, dass die Brücke mit allen Infrastruktur- und Anschlussbauten bis zu 30 Milliarden Euro kosten würde.
Der italienische Rechnungshof zwingt nun die Regierung, das Projekt um mindestens acht Jahre zu verschieben – und dann eine neue Kalkulation aufzustellen. Die Opposition, von den Sozialdemokraten über die Cinque Stelle bis hin zur Alleanza Verdi e Sinistra (AVS), fordert nun geschlossen, die im Haushaltplan vorgesehenen 13,5 Milliarden Euro für dringend notwenige Infrastrukturprojekte im noch immer teils stark unterentwickelten Süden des Landes freizugeben. «Es gibt dringendere Probleme als die Brücke von Messina», heisst es bei den Sozialdemokraten. «Die Brücke wird in der derzeitigen Form nicht gebaut werden», zitiert die Römer Zeitung La Repubblica Sergio Costa von den Cinque Stelle.
Salvinis Ego
Bei dem Projekt geht es nach Ansicht der meisten Beobachter in Rom um das Ego des Matteo Salvini. Seine Partei, die Lega, dümpelt bei 8 Prozent dahin. Ministerpräsidentin Giorgia Meloni war es gelungen, den stets aufmüpfigen und trotzigen Salvini an die Wand zu drängen. Seine bösen Worte, die er ab und zu an die Ministerpräsidentin richtet, übergeht sie einfach kommentarlos. Auch sein Kokettieren mit Putin. Meloni bescherte ihm das Infrastrukturministerium, mit dem man sich in Italien keine Lorbeeren holen kann. Eigentlich wollte er das wichtige Innenministerium, doch das will Meloni nicht. Doch dann sah er die Möglichkeit, sich mit dem Bau einer Brücke nach Sizilien zu profilieren.
Italien wird von einer Dreierkoalition regiert: von Melonis «Fratelli d’Italia», Salvinis «Lega» und der «Forza Italia»-Partei von Italiens Aussenminister Antonio Tajani (der ehemaligen Berlusconi-Partei). Nur zusammen verfügen die drei über eine Mehrheit im Parlament. Würde nun Salvini ausscheren, könnte Melonis Regierung in arge Schwierigkeiten geraten. Deshalb, so sind sich viele Beobachter in Rom einig, hat sich auch Meloni auf die Seite der Befürworter der Brücke gestellt. Die gleichen Beobachter, die mit der Sache sehr vertraut sind, betonen, dass Meloni eigentlich gegen die phänomenal teure Brücke ist – doch um Salvini bei der Stange zu halten, sprach sie sich für das Projekt aus.
Erdbebengefährdet
Mehrere Geologen bezeichnen das Projekt als Irrsinn. Sie weisen darauf hin, dass das Gebiet, in dem die Brücke gebaut werden soll, höchst erdbebengefährdet ist. Am 28. Dezember 1908 ereignete sich hier eine der schwersten Naturkatastrophen im 20. Jahrhundert. Das 40-sekündige Beben, das sich morgens um 05.20 Uhr ereignete, hatte eine Stärke von 7,2 auf der Momenten-Magnituden-Skala und zerstörte die Städte Messina, Reggio Calabria und Palmi fast vollständig. Dem Erdstoss folgte ein Tsunami. Die Zahl der Toten schwankt je nach Quelle zwischen 70’000 und 110’000.
Zwar stossen hier tektonische Platten aneinander, doch Salvini und die Seinen sind überzeugt, das Problem in den Griff zu kriegen. Geplant sind zwei je 399 Meter hohe und 55’000 Tonnen schwere Metalltürme. Sie sollen am Ufer in Kalabrien und an jenem in Sizilien stehen. Das Fundament der Pfeiler soll aus Stahlbeton gegossen werden. In Sizilien soll es einen Durchmesser von 55 Metern und in Kalabrien einen solchen von 48 Metern haben. Die beiden achteckigen Türme sollen einen Querschnitt von 20 mal 12 Metern aufweisen.
170'000 Tonnen schwere Seile
Zwischen den beiden Türmen sollen vier Seile gespannt werden. Sie haben laut Projekt einen Durchmesser von 1,26 Metern und ein Gewicht von 170’000 Tonnen. An diesen Seilen soll der 3,6 Kilometer lange «Ponte del Stretto di Messina» (wie die Brücke offiziell heisst) aufgehängt werden. Es wäre die Brücke mit der grössten Einzelspannweite der Welt.
Salvinis Brücke wäre 60 Meter breit und soll pro Fahrtrichtung drei Spuren und je zwei Pannenstreifen aufweisen. Zudem sollen zwei Eisenbahngeleise gebaut werden. Pro Tag sollen 200 Züge und pro Stunde 6’000 Fahrzeuge verkehren können. Auch Hochgeschwindigkeitszüge, die es bisher in Sizilien nicht gab, sollen über die Brücke rasen. Der Zoll für eine Fahrt über die Brücke soll gleich hoch sein wie der Preis für eine Fahrt mit der Fähre, also knapp 40 Euro.
Viele würden nicht über die Brücke fahren
Salvinis Planer weisen darauf hin, dass das Bauwerk einem Erdbeben der Stärke 7,1 standhalten würde. Nicht alle Geologen sehen das so optimistisch. Umfragen zeigen, dass viele Italienerinnen und Italiener es nicht wagen würden, über diese Brücke zu fahren. Einer sagte, das Thema Geologie wird etwas gar schnell vom Tisch gewischt.
Eine im Jahr 2021 veröffentlichte wissenschaftliche Studie hat ergeben, dass die tektonischen Verwerfungen in diesem Gebiet ein Erdbeben der Stärke 6,9 auslösen könnten – also Energie, die dem Erdbeben von 1908 sehr nahe kommt. Veröffentlicht wurde die Studie in der renommierten internationalen Fachzeitschrift «Earth-Science Reviews». Beteiligt waren die Universitäten Catania und Kiel sowie das Ätna-Observatorium des Nationalen Instituts für Geophysik und Vulkanologie.
«Entwicklungsbeschleuniger» oder Geldverschwendung
Die Befürworter der Brücke erwähnen, dass das Bauwerk einen positiven Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung der unterentwickelten Regionen Kalabrien und Sizilien haben. Salvini sagte, die Brücke sei ein «Entwicklungsbeschleuniger» und würde 120’000 Arbeitsplätze schaffen. Es sei «das grösste öffentliche Bauvorhaben, das derzeit im Westen geplant ist». Italien ist nach Griechenland das höchstverschuldete Land der EU. Soll man da für eine Brücke 30 Milliarden aufwenden?
Die Gegner sprechen von Geldverschwendung. Der linksgrüne Abgeordnete Angelo Bonelli sagt, das Projekt sei «die grösste Verschwendung öffentlicher Gelder, die Italien jemals gesehen hat». Und: Die Regionen Kalabrien und Sizilien sind nach wie vor Mafia-durchseucht. Es ist anzunehmen, dass die sizilianische Cosa Nostra und die kalabresische ’Ndrangheta massiv an den Ausschreibungen und dem Bau mitverdienen würden.
Zwei Drittel der Italiener sagen Nein
Dann gibt es die Umweltschützer, die die Brücke aus ökologischen und landwirtschaftlichen Gründen ablehnen. Eine von Le Monde zitierte aktuelle Analyse zeigt, dass nur etwa 28 % der Italiener den Brückenbau befürworten, während die Mehrheit dagegen ist.
Inzwischen also müssen Autofahrer und Zugreisende wie bisher mit der Fähre nach Sizilien gelangen. Ausgangspunkt auf dem Festland sind Villa San Giovanni oder Reggio Calabria. Der Ankunftsterminal auf Sizilien liegt bei Messina. Die Fahrt dauert zwanzig bis vierzig Minuten. Jährlich werden die Fähren von 4,2 Millionen Passagieren benutzt. Oft, vor allem im Sommer, dauern Wartezeiten an den Terminals bis zu drei Stunden.
(Mit Material aus dem Artikel «Pharaonischer Unsinn» vom 4. September)