
Bei der vorgezogenen Parlamentswahl hat die bürgerlich-konservative Aliança Democrática von Ministerpräsident Montenegro zwar zugelegt, aber nicht genug, um eine tragfähige neue Regierung zu bilden. Ein überraschend starker Zugewinn der extremen Rechten könnte ihm mehr Kopfschmerz bereiten als die Sozialisten und die übrigen linken Parteien, die zusammen weniger als ein Drittel aller Abgeordneten stellen – so wenig wie noch nie in den letzten 50 Jahren.
Ministerpräsident Luís Montenegro wollte eine Affäre um ein von seiner Familie geführtes Unternehmen aussitzen, und dafür nahm er den Sturz seiner bürgerlichen Minderheitsregierung und vorzeitige Neuwahlen in Kauf. Seine Haltung dürfte ihn Sympathien gekostet haben, unterm Strich hat das von ihm geführte Bündnis Aliança Democrática (AD) bei der Wahl am Sonntag aber zugelegt.
Mit knapp 33 Prozent der Stimmen sicherte sich die AD zunächst 89 (gegenüber bisher 80) der 230 Sitze im Parlament. Nach Auszählung der Stimmen in den beiden ausländischen Wahlkreisen, die je zwei Abgeordnete stellen, kann sich diese Zahl noch leicht erhöhen. Aber die von Montenegro erträumte Mehrheit für eine tragfähige Regierung ist, wie bisher, nicht in Sicht – sofern Montenegro nicht von seinem «nein heisst nein» gegenüber der rechtsextremen und rassistischen Partei Chega abrückt.
Fast deutsche Verhältnisse
Die Rechtspopulisten schnitten besser ab, als ihnen die meisten Umfragen prophezeit hatten, und könnten zur zweitstärksten Kraft im Parlament aufrücken. Nur rund 0,8 Prozentpunkte trennen den Partido Socialista (PS), der mit 23,4 Prozent sein schlechtestes Ergebnis seit den 1980er Jahren erzielte, von Chega mit fast 22,6 Prozent. Im Parlament kommen PS und Chega vorerst auf je 58 Sitze (die Sozialisten hatten bisher 78 und Chega 50 Abgeordnete). Sollte Chega aber erneut, wie schon bei der Wahl im März letzten Jahres, zwei der vier Auslandsmandate erringen, würden die Sozialisten nur noch die drittstärkste Fraktion stellen. Es erginge ihnen damit ähnlich wie der deutschen SPD, die im Bundestag weniger Sitze hat als die laut Verfassungsschutz «gesichert rechtsextremistische» AfD.
«Das System bebt», freute sich Chega-Fraktionschef Pedro Pinto bereits wenige Minuten nachdem die Fernsehanstalten um 20 Uhr die Ergebnisse von Umfragen an den Urnen bekanntgegeben hatten. Chega sei «für eine Regierungsmehrheit essenziell». In 19 der 20 Wahlbezirke im Inland (18 Distrikte im Festland und zwei Inselregionen) errang Chega mindestens einen Sitz. In gleich vier Distrikten – in Faro (Algarve), wie bisher, und neu auch in den süd- und mittelportugiesischen Distrikten Beja, Setúbal und Portalegre – wurde Chega zur stärksten Partei. Sie könnte von der recht hohen Wahlbeteiligung von rund 64 Prozent profitiert haben.
Die noch junge rechtsliberale Iniciativa Liberal (IL) errang neun Sitze, einen mehr als bisher, aber noch allemal viel zu wenig, um Montenegros AD zur absoluten Mehrheit zu verhelfen. Zusammen kämen AD, Chega und IL indes auf die Zweidrittelmehrheit, die für Änderungen der Verfassung erforderlich wäre.
Linke so schwach wie noch nie
Das bedeutet umgekehrt, dass die diversen mehr oder weniger linken Gruppen auf weniger als ein Drittel der Sitze kommen. In der Wahlnacht gab PS-Generalsekretär Pedro Nuno Santos, der als eher links gilt, seinen Rücktritt und die Abhaltung einer internen Wahl für seine Nachfolge bekannt. Santos meinte, dass die Sozialisten die AD nicht stützen sollten (obwohl beide Kräfte rechnerisch auf eine absolute Mehrheit kommen), zumal Montenegro auch die Regierungseignung fehle. Der scheidende PS-Chef räumte aber ein, dass die Partei «wichtige Entscheidungen» bezüglich ihres Verhältnisses zur Regierung treffen müsse, und er wolle kein Störfaktor sein. Er schloss damit irgendeine Verständigung nicht ausdrücklich aus.
Verbessern konnte sich links nur die pro-europäische Partei Livre von bisher vier auf sechs Sitze. Nur noch drei Abgeordnete (gegenüber bisher vier) stellen die Kommunisten, älteste Partei im Land, deren Zeiten der zweistelligen Stimmanteile längst vorbei sind, die aber noch über bemerkenswerte Fähigkeiten zur Mobilisierung ihrer Aktivisten verfügen. Lediglich einen Sitz errang der alternative Linksblock, eine in den 1990er Jahren gegründete Gruppierung, die zuletzt vier und zu besten Zeiten gar 19 Abgeordnete gestellt hatte.
Links hatten vor allem die Sozialisten auf Stimmgewinne infolge der Affäre um Montenegro gehofft – vergeblich. Für Fassungslosigkeit sorgt aber auch, dass so manche Skandale um Mitglieder von Chega dieser Partei offenbar nicht schadeten. Ein Abgeordneter dieser Partei im städtischen Parlament von Lissabon etwa wurde von der Staatsanwaltschaft beschuldigt, für Sex mit einem Minderjährigen bezahlt zu haben. Und Chega will unter gewissen Voraussetzungen die chemische Kastration von Sexualstraftätern ermöglichen. Wie passt das zusammen?
Der Staatspräsident zwischen Eile und Weile
Obwohl die Stimmen der ausländischen Wahlkreise noch nicht ausgezählt sind und daher das endgültige Wahlergebnis noch nicht feststeht, will Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa keine Zeit verlieren. Ehe er einen Auftrag zur Regierungsbildung erteilt, muss er die im Parlament vertretenen Parteien anhören. Mit diesem Prozedere will er bereits in dieser Woche beginnen. Er wünscht sich aber die Gewissheit, dass das Parlament das Programm einer neuen Regierung nicht gleich verwirft (eine Abstimmung darüber findet nur statt, wenn eine Partei seine Billigung oder Ablehnung beantragt). Der Präsident will dem Vernehmen nach nichts überstürzen.