Direkt zum Inhalt
  • Politik
  • Kultur
  • Wirtschaft
  • Gesellschaft
  • Medien
  • Über uns
close
Fotografie

Andreas Herzaus Sicht auf die Welt

17. Dezember 2025
Stephan Wehowsky
Moskau
Aus dem Band «Moskau » © Andreas Herzau / Stiftung F.C. Gundlach

Der Titel des neuen Bandes könnte prosaischer nicht sein: «Gucken». Man kann ihn auch als Understatement auffassen, denn Andreas Herzau war weit mehr als nur ein «Gucker». An seinen Bildern fiel gerade auf, dass sie ausgesprochen durchdacht waren. Nicht umsonst hat sich das Journal 21 viermal mit seinen Arbeiten beschäftigt. Das lag auch an der Themenvielfalt von Andreas Herzau.

Sein erstes Buch erschien 1997 in Zusammenarbeit mit der Agentur Signum und hatte das Thema Flucht zum Inhalt. Fünf Jahre später erschien der rätselhafte Titel «Me, Myself + I»  Greifbarer ist der Band «New York» von 2003. In einem Gespräch mit Journal 21 hat Herzau dargelegt, dass es ihm bei diesen Fotos darauf ankam, Sichtweisen auf New York zu präsentieren, die nicht den üblichen Schemata entsprechen und der tiefen Verunsicherung der Stadt nach dem 11. September 2021 gerecht werden.

New York
Aus dem Band «New York» © Andreas Herzau / Stiftung F.C. Gundlach

Es folgen mehrere Bände im Rahmen seiner Reisen. Ein ganz neues und überaus herausforderndes Thema sind die Bamberger Symphoniker. Er hat dieses Orchester längere Zeit bei seinen Auftritten in aller Welt begleitet. Er sei zum «Hausfotografen der Bamberger Symphoniker» geworden. Das Problem, das ihn dabei am meisten fasziniert hat, ist die Frage, wie sich Musik in fotografische Bilder umsetzen lässt. Diese Frage war für ihn auch dadurch motiviert, dass er zur Musik überhaupt ein sehr enges Verhältnis hat. Als er in Istanbul fotografierte, lief er mit Kopfhörern durch die Stadt, um die Alltagsgeräusche auszublenden und in eine spezielle Stimmung zu kommen. Und wenn er seine Bilder sichtete und sie für Ausstellungen und Bücher zusammenstellte, war immer die Musik als Inspirationsquelle dabei.

«Helvetica» von 2017 bietet ebenfalls Sichtweisen, die von den üblichen Bildklischees abweichen, ohne der Versuchung zu erliegen, etwa in die Gehässigkeit eines Martin Parr zu verfallen. Das gleiche gilt für seine Sichtweise auf Bundeskanzlerin Angela Merkel, die er längere Zeit aus nächster Nähe beobachten konnte. Die Leitfrage dabei war, wie sich der Umstand fotografisch ausdrücken liess, dass Angela Merkel die erste Frau in diesem höchsten politischen Amt Deutschlands ist – und dabei noch «extrem uneitel».

Die Fotos aus Liberia verfolgen ebenso eine spezielle Fragestellung beziehungsweise Absicht. So hat er ganz bewusst nach dem Bürgerkrieg fotografiert, um den sensationellen Schreckensbildern vom Bürgerkrieg die eher stilleren Zeichen einer sich erholenden friedlicheren Gesellschaft entgegenzusetzen.

Me, Myself
Aus dem Band «Me, Myself + 1 » © Andreas Herzau / Stiftung F.C. Gundlach

Der Band «Gucken» bietet tiefe Einblicke in Herzaus Arbeitsweise. Er gehört nicht zu jenen Fotografen, denen schon von Jugend klar war, dass für sie nur die Fotografie als Beruf in Frage kam. Er ist gelernter Typograph, und seine ersten Stationen waren journalistischer Art. So war er unter anderem bei «Konkret», bei der «Hamburger Rundschau» und anderen Zeitungen und Magazinen. Nach und nach wurde in diesem Kontext die Fotografie für ihn immer wichtiger. Ursprünglich war die Kamera eine Art besserer Notizblock, bis sie mehr und mehr eine eigenständige Qualität erlangte.

Gedanklich tiefer graben

Herzau erzählt in den Gesprächen mit dem Kunsthistoriker und Germanisten Sebastian Lux nicht nur von sich und seinem Werdegang, sondern gibt auch Einblicke in die Konzepte, über die in den vergangenen Jahrzehnten im Zusammenhang mit der Fotografie diskutiert wurde. Zudem enthält der Band zahlreiche Fotos aus dem Werk von Andreas Herzau. Man wird diesen Fotografen so schnell nicht vergessen.

Eine Anmerkung zum Buchtitel «Gucken». Ursprünglich sollte der Band mit den Fotografien von New York so heissen. «´Gucken´ empfand ich als einen netten, unprätentiösen Begriff für das, was ist tat. Der Begriff entspricht auch meiner allgemeinen Haltung in der Fotografie: einfach mal irgendwo nachgucken, wie es so ist.» Nach dem 9/11 sei das aber in New York nicht mehr möglich gewesen. Da kam das zweite Element in Herzaus Arbeit zum Tragen: der Ausdruck dessen, was sich erst erschliesst, wenn der Fotograf gedanklich tiefer gräbt als einfach zu gucken. «Für mich ist der Ausgangspunkt immer die Realität, also das, was ich vorfinde. Aber daraus forme ich dann etwas Eigenes: mit meinen Ausschnitten, mit meinen Anschnitten,  mit meiner Bildsprache. Das ist dann die Wahrheit von Andreas Herzau, keine allgemeingültige Wahrheit.» Treffend bezeichnet Nimbus Verlag Andreas Herzau als «scharfsichtigen Intellektuellen», der unter die Fotografen gegangen ist.

Andreas Herzau: Gucken. Gespräche über Fotografie mit Sebastian Lux. 216 Seiten. 94 Fotos, Nimbus Verlag 2025, 36 Franken

Ähnliche Artikel

Untersuchungen mit der Kamera

Stephan Wehowsky 16. Februar 2022

Die Schweiz mit ihren Bruchstellen

Stephan Wehowsky 27. September 2017

Die Faszination der AM

Stephan Wehowsky 14. September 2018

In einem anderen Land

Stephan Wehowsky 29. Juli 2021

Letzte Artikel

Europäer stützen Selenskyj gegen Trump und Putin

Reinhard Meier 17. Dezember 2025

Wir trauern um Heiko Flottau

17. Dezember 2025

Chile hat einen rechtsradikalen Präsidenten

Heiner Hug 15. Dezember 2025

Antijüdischer Terror in Sydney

15. Dezember 2025

Gesucht: Lieferkette für Vernunft

Markus Mohler 14. Dezember 2025

Das Jahr in Bildern

14. Dezember 2025

Newsletter abonnieren

Abonnieren Sie den kostenlosen Newsletter!

Abonnieren Sie den kostenlosen Newsletter!

Zurück zur Startseite
Leserbrief schreiben
Journal 21 Logo

Journal 21
Journalistischer Mehrwert

  • Kontakt
  • Datenschutz
  • Impressum
  • Newsletter
To top

© Journal21, 2021. Alle Rechte vorbehalten. Erstellt mit PRIMER - powered by Drupal.