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Portugal

Vorzeitige Wahlen – schon wieder

15. Mai 2025 , Lissabon
Thomas Fischer
Luis Montenegro
Der bisherige Ministerpräsident Luis Montenegro am Samstag in Lissabon. Montenegro stand einer Minderheitsregierung der Aliança Democrática (AD) vor, ein Bündnis des ibürgerlichem Partido Social Democrata (PSD) mit dem konservativen Centro Democrático Social (CDS). (Keystone/EPA/Miguel A. Lopes)

Eine Affäre um Ministerpräsident Montenegro hat zum Sturz seiner bürgerlichen Minderheitsregierung und zur vorgezogenen Neuwahl an diesem Sonntag geführt. Gravierende Engpässe im Gesundheitswesen, die Wohnungsnot und die Einwanderung sind heisse Wahlkampfthemen in dem Land mit zunehmend verdriesslichem Ambiente.

Wie sehr hat sich das Stimmvolk in Portugal mit dem Filz zwischen Politik und Wirtschaft abgefunden? Wie denkt es über die sprunghaft gestiegene Einwanderung? Welchen Parteien trauen die Menschen im Land am ehesten zu, brennende Probleme im Gesundheitswesen zu lösen oder die eklatante Wohnungsnot zu lindern? Aufschluss über solche Fragen gibt wahrscheinlich die vorzeitige Parlamentswahl am 18. Mai. Eine grundlegende Änderung des politischen Kräfteverhältnisses ist aber – sofern sich die Demoskopen nicht wieder einmal gründlich irren – eher nicht zu erwarten.

Keine tragfähige Mehrheit in Sicht

Dies ist die dritte vorgezogene Parlamentswahl seit Anfang 2022, als die Sozialisten noch die absolute Mehrheit der Sitze errangen. Sie mussten nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Costa und ihrer Abwahl im März 2024 in die Opposition wechseln. Seit gut einem Jahr hat das Land eine Minderheitsregierung der Aliança Democrática (AD), ein Bündnis von Ministerpräsident Luis Montenegros bürgerlichem Partido Social Democrata (PSD) mit dem konservativen Centro Democrático Social (CDS) als kleinem Partner. Laut Umfragen hat die AD gute Chancen, ihren bisher hauchdünnen Vorsprung gegenüber dem Partido Socialista (PS) von 80 gegenüber 78 der 230 Sitze leicht auszubauen. Als die drittstärkste Kraft im Parlament dürfte sich die rechtspopulistische rassistische Partei Chega, die bei der letzten Wahl 50 Sitze errungen hatte, behaupten.

Was das Parlament beschliesst oder ablehnt, hängt davon ab, wie die Abgeordneten dieser drei Gruppen abstimmen – wobei die AD es bisher abgelehnt hat, sich offen mit Chega zu verbünden. Eine tragfähige absolute Mehrheit ohne Chega ist nicht in Sicht – es sei denn, dass die AD und die rechtsliberale Iniciativa Liberal (IL), die bisher 8 Abgeordnete gestellt hatte, überraschend zusammen auf mindestens 116 Mandate kommen. Um sich die Unterstützung dieser auf den Kampf gegen Steuern und Staat fixierten Partei zu sichern, müsste Montenegros PSD, ein heterogenes Sammelbecken mit liberalen, konservativen und sozialdemokratischen Strömungen, allerdings viele soziale Inspirationen über Bord werfen. Als «explosive Mischung» sähe PS-Spitzenkandidat Pedro Nuno Santos eine solche Koalition. Ein «Block der Mitte» – das wäre eine grosse Koalition aus AD und Sozialisten – ist kein Thema. Es ist nicht absehbar, dass die kleineren Parteien – Linksblock (bisher 5 Sitze), die gemässigt linke Partei Livre (4), die Kommunisten (4) und die Partei für Menschen, Tiere und Natur (PAN, 1 Sitz) in irgendeine Mehrheit eingehen können.

Eine Wahl, die vermeidbar gewesen wäre

Klare Verhältnisse sind also eher nicht zu erwarten. Auch an der Spitze der nächsten Regierung dürfte der 52 Jahre alte Jurist Montenegro stehen. Nur wegen einer Affäre um ihn findet diese Wahl überhaupt statt. Seine Regierung stürzte, als er im März im Parlament die Abstimmung über die von ihm gestellte Vertrauensfrage verlor.

Er wollte lieber stürzen, als in einer parlamentarischen Untersuchung um eine von ihm mitgegründete und damals von engen Angehörigen geführte Unternehmensberatung und allfällige Interessenkonflikte zu schmoren. Zu ihren Kunden gehörten Unternehmen, die auf staatliche Konzessionen angewiesen sind, wie ein Betreiber von Spielcasinos, oder die Geschäfte mit staatlichen Stellen machen. Montenegro widerstand dem Druck, die Liste aller ihrer Kunden bekanntzugeben. Im Wahlkampf geht es also auch um Fragen der Ethik.

Die Gleichung der Korruption

Montenegro ist ins Zwielicht geraten, aber es sieht nicht so aus, als würde die Affäre ihn die Wiederwahl kosten. Affären um Spitzenpolitiker sind ja keine Seltenheit mehr. In den letzten Jahren hatte es auch viel Wirbel um Mitglieder sozialistischer Regierungen gegeben. All das schlachtet die rechtsextreme Partei Chega aus. «PSD = PS. 50 Jahre Korruption» ist auf Plakaten von Chega zu lesen, in Anspielung auf die Zeit, die seit dem demokratischen Neubeginn nach dem Sturz der faschistischen Diktatur durch die Nelkenrevolution vom 25. April 1974 vergangen ist. Aber nicht nur Chega distanziert sich immer mehr von diesem Datum, das für die Freiheit steht. Auch die anderen Parteien des rechten und bürgerlichen Lagers spielen es immer mehr herunter, was zu einer Polarisierung der Stimmung im Lande führt.

Ein weiteres zentrales Thema für Chega ist die Einwanderung. Seit 2017 hat sich die Zahl der Leute aus dem Ausland mit legalem Status im Land fast vervierfacht, sie ist von 422’000 auf 1,55 Millionen gestiegen. Hier müssen sich die Sozialisten vorwerfen lassen, dass sie die Einwanderung erleichterten, auf eine Flut von Anträgen auf Aufenthaltserlaubnisse aber nicht vorbereitet waren. Offenbar nicht zuletzt, um Chega die Stimmen streitig zu machen, hat die AD-Regierung nicht nur die Einwanderung erschwert. Sie kündigte kürzlich auch die Ausweisung von rund 18’000 illegalen Einwanderern an. Zudem beschwört sie das Gespenst eines Gefühls der Unsicherheit im Land herauf, obwohl es für einen Zusammenhang zwischen Einwanderung und Verbrechen keinen statistischen Beleg gibt. Nach wie vor präsentiert sich Portugal in der touristischen Werbung zu Recht als sicheres Reiseziel.

Rechtspopulisten gegen Papst Franziskus

Chega-Chef André Ventura buhlt natürlich um die Gunst der katholischen Wählerschaft, obwohl seine Nächstenliebe an Grenzen stösst, wenn es um die Migration oder ethnische Minderheiten wie die Roma geht. Vor fünf Jahren hatte er noch gefunden, Papst Franziskus habe dem Christentum einen «schlechten Dienst erwiesen». Als Franziskus starb, wünschte sich Ventura dessen Leben plötzlich als inspirierendes Beispiel «für alle, die dem öffentlichen Interesse dienen wollen». Gerade Ventura gebührte in dieser Woche plötzlich alle Aufmerksamkeit, als er bei einem Auftritt in der Südregion Algarve zusammenbrach. In einem staatlichen Spital wurde ihm die allerbeste Behandlung zuteil. Wie abgrundtief rassistisch diese Partei ist, offenbarte ein Chega-Abgeordneter, der meinte, das es für Ventura unzumutbar gewesen wäre, ein Zimmer mit jemand von der «etnia cigana», also einem Roma, teilen zu müssen.

André Ventura
Chega-Chef André Ventura am 11. Mai in Castelo Branco (Keystone/EPA/Miguel Pereira da Silva)

Chega hofft auf Zugewinne bei der Wahl – trotz diverser Affären um Mitglieder dieser Partei. Ein Parlamentsabgeordneter von den Azoren wurde zur traurigen Lachnummer, als er in den Verdacht geriet, an den Gepäckbändern von Flughäfen fremde Koffer gestohlen zu haben und Kleidung per Internet verkauft zu haben. Ein Chega-Abgeordneter des Stadtparlaments von Lissabon hatte bezahlten Sex mit einem Jugendlichen und wollte nicht gewusst haben, dass dieser erst 15 Jahre alt war. Auch mit solchen Dingen hat sich ein grosser Teil des Stimmvolkes offenbar abgefunden.

Haushaltswunder mit Tücken

Den Sozialisten unter Pedro Nuno Santos – Sohn aus gutem Hause, den Kritiker zur «Kaviar-Linken» rechnen – fällt es so kurz nach ihrer Abwahl schwer, sich als Alternative zur AD zu profilieren. Immerhin waren sie unter Ministerpräsident António Costa, heute Präsident des EU-Rates, mehr als acht Jahre am Ruder gewesen – und sie hinterliessen einige gravierende Probleme. Sie nahmen zwar Salärkürzungen und Steuererhöhungen aus der Zeit der Finanzmarktkrise zurück, und es gelang ihnen trotzdem, die Staatsfinanzen unter Kontrolle zu bringen und sogar Haushaltsüberschüsse auszuweisen. Aber dieses Wunder ging unter anderem auf Kosten der Verfügbarkeit und Qualität staatlicher Dienstleistungen, beispielsweise im staatlichen Gesundheitswesen.

Pedro Nuno Santos
Pedro Nuno Santos in Ponte de Lima (Keystone/EPA/Jose Sebna Goulao)

In den letzten Jahren waren die Notaufnahmen von manchen staatlichen Spitälern häufig geschlossen. Meist fehlte Personal, nicht zuletzt wegen der Konkurrenz privater Spitäler, die höhere Saläre bezahlen, aber nicht allgemein zugänglich sind – und komplizierte Fälle mitunter auf staatliche Spitäler abschieben. Von rechts kommen Rufe nach privatem Management öffentlicher Einrichtungen und Konkurrenz zwischen staatlichem und privatem Sektor. Aus linker Sicht läuft das auf eine Aushöhlung des staatlichen Gesundheitsdienstes hinaus, und dieser gilt als Errungenschaft des demokratischen Neubeginns von 1974.

Am Tropf der niedrigen Löhne

Auch im Streit um Abhilfen gegen die Wohnungsnot sitzen die Sozialisten im Glashaus, denn sie haben in ihrer Regierungszeit wenig gegen dieses Problem ausrichten können. Einige bescheidene Massnahmen, etwa die Schaffung von Handhaben gegen die Kurzzeitvermietung an Touristen, die zum Anstieg der Mieten beiträgt, hat die AD-Exekutive gekippt. Gerade der Tourismus trägt stark zum Wirtschaftswachstum bei, hat aber toxische Nebenwirkungen, da er nicht nur Jobs schafft, sondern auch soziale Probleme verschärft.

Wohnungsnot
Lissabon, Wohnungsnot (Foto: Thomas Fischer)

Rund drei Millionen Arbeitnehmer verdienen derweil immer noch weniger als 1000 Euro brutto monatlich, das ist wenig mehr als der Mindestlohn von 870 Euro. Er soll nach Vorstellungen der Sozialisten um 60 Euro jährlich steigen und 2029 bei 1110 liegen. Er wäre damit immer noch niedriger als Spaniens heutiger Mindestlohn von 1184 Euro. Kein Wunder, dass Portugal trotz Einwanderung nie aufgehört hat, ein Land der Auswanderer zu sein. Links rufen Linksblock und Kommunisten nach kräftigen Erhöhungen der Löhne.

Was tun, wenn sich im Parlament die Fronten verhärten und «nichts mehr läuft»? Eine weitere Neuwahl wird so schnell nicht möglich sein. Laut Verfassung kann Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa das Parlament erstens in den ersten sechs Monaten nach seiner Wahl und zweitens in den letzten sechs Monaten vor Ablauf seiner eigenen Amtszeit am 9. März 2026 nicht auflösen. Er dürfte von einem sachteren Ausklang seiner zweiten Amtszeit geträumt haben.

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