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Zwischenruf

Wallfahrtsort Washington

10. November 2025
Jürg Schoch
Jürg Schoch
Trump
Trump mit Schweizer Wirtschaftsvertretern (Bild: ZVg)

Lourdes, Einsiedeln, Mekka, Qom - hunderte von Orten verzeichnet die Karte der Wallfahrtsgeografie rund um den Erdball. Neuerdings ist auch Washington einer, an den sie von überall herreisen. Nicht ihrer Körperleiden wegen oder um spirituelle Erleuchtung bemüht. Die Wallfahrer hoffen auf politische Erhörung, auch jene aus der Schweiz.

Was eigentlich nicht sein dürfte, weil, lang ist’s her, ein Bundesrat diesbezüglich ein Machtwort mit respektablem Nachhall gesprochen hat. Am 16. März 1939 hielt Hermann Obrecht, ein freisinniges Urgestein aus Solothurn, vor der Neuen Helvetischen Gesellschaft in Basel eine Rede, in der er jeglicher Anpassung an Nazi-Deutschland eine Absage erteilte: «Wir Schweizer werden nicht ins Ausland wallfahren gehen.» Das Sätzchen aus dieser Rede hat Berühmtheit erlangt.

Obrecht, der damalige Chef des Volkswirtschaftsdepartements, spielte auf Politiker aus Österreich (Kurt Schuschnigg) und der Tschechoslowakei (Emil Hacha) an, die in jenen Tagen von Adolf Hitler zu einer Audienz empfangen wurden, das tragische Schicksal ihrer Länder aber dennoch nicht abwenden konnten. Umgekehrt ist damals die Popularität des Hermann Obrecht in der Schweiz augenblicklich in die Höhe geschnellt, und sein Bann gegen das Wallfahrten wandelte sich zu einem geflügelten Wort für die hiesige Aussenpolitik.

Häme und Spott für Keller-Sutter

Heute allerdings scheint der Nachhall verklungen zu sein. Diplomaten, Staatssekretärinnen, Bundesräte machten sich, nachdem Weltenlenker T. die Zollerhöhungsrunde eingeläutet hatte, auf den Weg zum Wallfahrtsort im wild gewordenen Westen, die Bundespräsidentin versuchte noch kurz vor dem Nationalfeiertag, den Präsidenten – nicht wallfahrend, aber telefonisch – umzustimmen, dies mit sachdienlichen Informationen, die ihr Gegenüber indes nicht erreichten. T. verordnete der Schweiz seinen 39%-Zollukas, Keller-Sutter wurde von einer empörten Journalisten-Meute zur Schuldigen erklärt« und weil zu ihrem engeren Stab zwei weitere Frauen gehören, Seco-Chefin Helene Budliger und die Staatssekretärin für internationale Finanzfragen Daniela Stoffel, schwappte gleich auch eine Welle aus Häme, Spott und Verachtung über die drei Frauen hinweg, die ein seltsames Machogehabe der Herren Kritiker offenbarte.

Eine Rolex statt Weihrauch und Myrrhe

Einen zweiten Anlauf nahmen vor ein paar Tagen nun eine Handvoll Unternehmer und CEOs aus der Schweiz. Die Pressebilder, die die Herren im Oval Office zeigen, hinterlassen einen irritierenden Eindruck. Da sitzen sie alle in den möglicherweise etwas niedrigen Stühlen, sortieren ihre langen Beine, konzentrieren sich im Übrigen ganz auf den Mann in der Mitte, von dem man sich sehnlichst ein paar Worte erhofft, die die zollpolitische Beklemmung, unter der unser Land leidet, lösen könnten. 

Wenn einst Pilger und Wallfahrer unterwegs waren, brachten sie Gold, Weihrauch und Myrrhe für jene mit, von denen sie sich heilende Wirkung erhofften. Unsere CEOs deponierten bei Mister President, wie in der Presse zu lesen war, ebenfalls Gold (in Gestalt eines signierten Barrens), aber weder Weihrauch noch Myrrhe, dafür eine teure Rolex und eine ganze Menge Investitionsversprechen.

Zur Delegation gehörte auch Alfred Gantner, Mitbegründer der Partners Group (Marktkapitalisierung ca. 25 Mia. Franken) und ein entschiedener Gegner der EU-Verträge, über die in unserem Land bereits heftig gestritten wird. Gantner und seine Leute titulieren diese Abkommen systematisch als Unterwerfungs- und Knebelverträge, die die Schweiz, sollten die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger ihnen zustimmen, ihrer Souveränität berauben würden. Und nun versuchte also dieser Alfred Gantner im Oval Office den Mann zu umgarnen, der im Begriff ist, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in seinem «Reich» massiv zu demolieren. Versuchte, mit einer Grossmacht handelseinig zu werden, die offensichtlich nicht die Absicht hat, sich an Regeln zu halten bzw. sie je nach Eigeninteresse neu aufzustellen. Im Gegensatz zu den heutigen USA ist die die EU zwar kein vollkommenes Gebilde, aber sie hat immerhin ein stabiles demokratisches Fundament, ist einer Reihe von Grundwerten verpflichtet und, bei aller Kompliziertheit ihrer Funktionsweise, berechenbar. 

Wilhelm Tell oder Vasall?

Es mag ja sein, dass die Wallfahrt der Schweizer Wirtschaftsführer unserem Land eine gewisse Linderung bringt. Nur, in ihrer Art des Anbiederns und Anpassens an die Wünsche eines Egomanen schwingt auch eine ganze Menge Unterwerfungsbereitschaft mit. Etwas, das kaum zum Selbstverständnis vieler Bürgerinnen und Bürger unseres Landes gehört.

In einem Interview (Bund 8.11.) hat Swatch-Chef Nick Hayek seinen Kollegen den Spiegel hingehalten. Die Wirtschaftsführer seien im Wortsinn «hofieren» gegangen: «Sie haben sich aufreihen lassen. Sie haben sich fotografieren lassen. In dieser Situation gibt es doch eine klare Hierarchie. Und von der Schweizer Regierung war gar niemand dabei. Das ist doch eine Position der Schwäche.» Ihm, so Hayek, gehe es nicht um die Zölle, sondern um etwas ganz anderes, nämlich um die Schweiz: «Um die Frage, wer wir sind. Sind wir Wilhelm Tell, oder sind wir ein Vasall?»

Deutliche Worte eines Mannes, dessen Wurzeln im Libanon liegen, an andere, die meinen, die wahren Patrioten zu sein.

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