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Kommentar 21

Vorsicht: Glaubensfrage

26. März 2015
Ulrich Meister
Alles wird zu einer Glaubensfrage. Es braucht Querdenker, um sich davon ohne Schaden zu befreien.

Neben dem «Wo bist du?» auf dem Handy gehören «Ich glaube, dass...», respektive «Ich glaube nicht, dass...» zu den banalsten und häufigsten sprachlichen Äusserungen. Und zu den missbräuchlichsten. Denn man kann nur an eine Ungewissheit glauben. «Ich glaube an Gott», ist deshalb durchaus erlaubt. Aber das schützt nicht vor einem Missbrauch Gottes, wie wir ihn täglich erfahren müssen. «Ich glaube nicht an Gott», ist ebenso legitim und manchmal sogar ehrlicher, auch wenn vielleicht die Antwort nicht ausbleibt. Man konsultiere dazu Facebook: #Gott ist tot. Nietzsche – und einige Jahre später: #Nietzsche ist tot. Gott.

Man kann nicht sagen: «Ich glaube nicht, dass es regnet», wenn man im Regen steht. Ausser man ist Politiker und vielleicht erst noch im Wahlkampf. Natürlich kann man, zumindest physiologisch, sagen: «Man muss Putin glauben.» Nein, man muss nicht. Ja, man kann und vor allem: man will. Aber solcher Glaube nährt sich, wie jeder Glaube, aus versteckten – atavistischen, psychischen – Motiven.

Vieles wird heute medial zu einer Glaubensfrage degradiert, trotz der Aufklärung und den Engländern, die uns den Positivismus und den Rationalismus beschert haben (aber sich selbst nie daran halten). Der zur Zeit bekannteste (ägyptisch–)französische Ethnopsychiater, Tobie Nathan, gibt da Gegensteuer. Er sagt gleichzeitig: «Ich bin nicht sicher, dass Gott tot ist. – Ich bin ein Ungläubiger. – Ich habe weit über hundert Götter kennengelernt und ich glaube an alle.» Er hat die Tragödie der afrikanischen «Hexenkinder» untersucht, in Zentralafrika und in Paris, die von evangelikalen Sekten malträtiert und getötet werden. Er widerlegt Freud und er rehabilitiert die Magie, weil sie nicht individuell oder logisch, aber im sozialen Kontext realistisch sei («Der Patient hat immer Recht»).

Die gefährliche Magie unserer Zivilisation sind nicht die Glaubensfragen, sondern die Umfragen, die wissen wollen, ob wir lieber glücklich oder unglücklich sein wollen. Schwierige Entscheidung, aber immerhin eine freie Wahl. Ein bekannter französischer Meinungsforscher hat mich, da ich nie auf solch unlösbare Fragen antworten kann, vollkommen beruhigt: «Ich glaube nur an Umfragen, die ich selbst gefälscht habe.» Merci.

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