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Kommentar 21

Verlierer und Schreckensmänner

5. März 2025
Stephan Wehowsky
Mannheim
Nach der Amokfahrt in Mannheim am 3. März 2025 (Keystone/DPA/Uli Deck)

Die Amokfahrten und Mordanschläge der vergangenen Monate und Jahre, die auf das Konto von Ausländern gehen, haben nicht nur für Angst und Schrecken gesorgt. Sie haben auch das öffentliche Diskussionsklima verändert und führen zu Verschärfungen in der Gesetzgebung. Aber es bleibt noch etwas, das nicht übersehen werden sollte.

Es war lange Zeit ein Tabu, auf eine besondere Gefährdung durch Ausländer zu verweisen. Aufgrund der Gewalttaten in den vergangenen Monaten ist dieses Tabu entfallen. Friedrich Merz von der CDU hat das in aller Schärfe verstanden und daraufhin ein weiteres Tabu gebrochen: Er war bereit, einen Antrag auf Verschärfungen der Grenzsicherung, des Aufenthaltsrechts von Migranten und im Vollzug von Abschiebungen mit den Stimmen der AfD durch den Bundestag zu bringen.

Nun hat der jüngste Anschlag in Mannheim mit zwei Toten und elf Verletzten gezeigt, dass auch Deutsche Amok laufen können. Erst die Zukunft wird weisen, ob dies eine Ausnahme ist, die sich nicht wiederholt, oder ob sie Anlass dazu bietet, tödliche Anschläge etwas anders zu beleuchten und zu deuten, als dies gegenwärtig  üblich ist.

Die Logik der «Schreckens Männer»

Im Jahr 2006 hat Hans Magnus Enzensberger im Suhrkamp Verlag einen kleinen Band herausgebracht, der den Titel trägt: «Schreckens Männer. Versuch über den radikalen Verlierer». Darin beschäftigt er sich nicht nur mit den Untaten von Ausländern auf europäischem Boden, sondern auch mit Amokschützen an amerikanischen Schulen oder Supermärkten. Er will mit seinen Überlegungen die Frage beantworten, warum jemand bereit ist, für einen Moment des Triumphes sein gesamtes Leben wegzuwerfen. Denn darum geht es ja bei den Amokläufern. Meistens werden sie sofort erschossen oder sie landen hinter Gittern. Mit ihren Taten können und wollen sie nichts erreichen, was ihr Leben in irgendeiner Weise verbessert.

Enzensberger geht nicht auf Selbstmordattentäter ein, die mit ihren Taten einen Zweck verfolgen. Es geht ihm allein um jene, die für wenige Minuten das  Gefühl absoluter Macht und Destruktion um den Preis ihres Lebens auskosten wollen. Was also treibt sie an? Es ist das Gefühl der vollständigen eigenen Wertlosigkeit. Die Schreckensmänner fühlen sich als absolute Verlierer und sehen keine Perspektive, aus dieser Position jemals herauszukommen. Aber im Moment der Tat ist das völlig anders. Die Medien verleihen ihnen eine unerhörte Publizität. Plötzlich sind sie wer, und ihre Bedeutungslosigkeit kehrt sich für kurze Zeit in höchste Prominenz.

Ohne die Medien wäre das nicht möglich. Und die Medien spielen zudem im Vorfeld eine unerhört wichtige Rolle. Denn gerade das Fernsehen zeigt – heute natürlich die Spots in den Social Media – die fantastischen Möglichkeiten, die das Leben den Erfolgreichen bietet. Um so jämmerlicher fühlen sich die Verlierer und desto grösser wird ihr Hass auf alle, die es vermeintlich besser haben als sie. Unsere Gesellschaft lebt von Vergleichen, und wer auf der Skala ganz unten ist oder auf ihr gar nicht erst vorkommt, ist ein absolutes Nichts. Aus diesem Elend führt die unerwartete Tat, die schlagartig das Schachbrett umkehrt und für berauschende Momente die Gewinner zu verzweifelten Verlierern macht.

Unvorhersagbarkeit

Es gibt noch eine weiteren Effekt. Die Taten der «Schreckensmänner» finden dadurch, dass die Medien sie verbreiten, Nachahmer. Aufgrund der Publizität werden aus «Schläfern», wie Enzensberger schreibt, Täter, die völlig unerwartet zur Gewalt greifen. Weil es «Schläfer» sind, haben die Sicherheitsbehörden und die Polizei keine Chance, auch aus Auffälligkeiten wie hin und wieder begangenen Straf- oder Gewalttaten oder psychischen Problemen, den Schluss zu ziehen, dass sie eines Tages mit einem Auto oder LKW so viele Menschen wie möglich zu ermorden oder zu verletzen versuchen.

Die Überlegungen von Hans Magnus Enzensberger können dazu beitragen, einen gedanklichen Kurzschluss zu vermeiden. Zu Verbrechen führt nicht in erster Linie die ethnische Zugehörigkeit, sondern der Ausschluss von gesellschaftlicher Teilhabe. Davon sind in besonderem Masse Migranten und Ausländer betroffen, aber es gibt auch Inländer, die sich als absolute Verlierer fühlen. Das Problem lässt sich nicht mit immer mehr sozialen Wohltaten lösen. Denn der Teufelskreis der Vergleiche, die absolut negativ ausgehen, wird dadurch nicht durchbrochen. Das ist ja der Grund dafür, dass ganz unauffällige Leute wie jetzt in Mannheim, einfach durchdrehen. Vielleicht müssen wir mit diesen Abgründen leben. Einfache Antworten gibt es nicht. Und einfache Rezepte schon gar nicht.

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