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Kommentar 21

Spendierhosen statt Politik

5. September 2022
Stephan Wehowsky
Olaf Scholz
Olaf Scholz am 4. September 2022 in Berlin (Foto: Keystone/ EPA/Hannibal Hanschke)

Nach 22 Stunden Verhandlungen hat die deutsche Ampelkoalition am Wochenende weitere Entlastungen in der Höhe von 65 Milliarden Euro beschlossen. Dahinter verbirgt sich ein fragwürdiges Verständnis von Politik.

Stolz verkündete der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz am Sonntag, dass die Bundesregierung ein weiteres «Entlastungspaket» geschnürt habe. In Anbetracht der Krisen und Engpässe wird noch mehr Geld verteilt. Alle sollen davon profitieren: Arbeitslose, Rentner, Mieter, Studenten und nicht zuletzt «Normalverdiener».

Wie ein Mantra wiederholt Scholz den Satz: «You´ll never walk alone.» Oder eingedeutscht: «Wir lassen niemanden alleine.» Diese Sätze klingen besonders aus dem Munde von Scholz stets etwas ungelenk. Das liegt aber nicht nur daran, dass Scholz kein Kommunikationsgenie ist. Das eigentliche Desaster ist sein Verständnis von Politik. Denn er tut so, als verfüge die Politik über Heilmittel für alles. Dabei will er nur Geld verteilen.

Die Angst vor sozialem Abstieg und Armut ist in Krisenzeiten weit verbreitet und mehr als begründet. Finanzielle Entlastungen können Härten abmildern, aber sie lösen nicht das Problem der Angst vor Isolation und Einsamkeit. Französische Soziologen haben schon vor Jahrzehnten festgestellt, dass Zahlungen von Sozialämtern die Isolation gerade junger Menschen verstärken: Eine anonyme Macht überweist Geld auf das Konto. Das aber schafft keine Verbundenheit mit dem Staat und der Gesellschaft.

Man stelle sich vor, in einer Familie oder einem Freundeskreis würde das Versprechen gegeben, sich gegenseitig nicht allein zu lassen. Und eingelöst wird dieses Versprechen jeweils mit einer Banknote. Dieses Verhalten wäre genau so inadäquat wie das Versprechen von Politikern, so tief in die privaten und sozialen Beziehungen von Individuen einzugreifen, dass sie sich nie verloren fühlen müssen. Damit massen sich Politiker an, Aufgaben zu übernehmen, für die seit jeher zivilgesellschaftliche Gruppen, Vereine, philanthropische Verbände, religiöse Zusammenschlüsse oder auch schon mal die Nachbarschaft einstehen.

Über das Versprechen politikfremder Leistungen gerät die eigentliche politische Aufgabe vollkommen aus dem Blick. Die bestünde darin, nicht nur Entscheidungen nach mehr oder weniger langen internen Beratungen von Koalitionspartnern bekannt zu geben, sondern auch über Grundsätze öffentlich zu diskutieren. So sollen jetzt Energieunternehmen, die an der Krise überproportional verdienen, mit einer «Zufallsgewinnsteuer» – vorher hiess sie «Übergewinnsteuer» – belegt werden. Das ist ein ordnungspolitischer Eingriff erster Güte: Der Staat entscheidet, ab wann ein Gewinn über den Rahmen des allgemein akzeptierten wirtschaftlichen Handelns hinausgeht und entsprechend einkassiert wird. Und das geschieht so lautlos im Rahmen einer «Klausurtagung», dass eine öffentliche Diskussion über diesen Bruch mit der bisherigen Steuergesetzgebung gar nicht erst entstehen kann.

Die angemasste Allzuständigkeit für das Wohlergehen jedes Einzelnen und der tiefe Eingriff in das Gefüge der Marktwirtschaft sind genau genommen Kennzeichen autoritärer Regime. Weil der Kanzler und seine Minister sich Spendierhosen angezogen haben, erscheinen sie aber allein in der Gestalt von Wohltätern. Sie alle wollen nur das Beste. Worin das besteht und wie sie es durchsetzen wollen, entscheiden sie in der Abgeschiedenheit ihrer Klausuren. Vielleicht sollten sie das nächste Mal weissen Rauch aufsteigen lassen, bevor sie sich an die Medien wenden.

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