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Kommentar 21

Selenskyj, der Clevere

12. Mai 2025
Heiner Hug
Wolodymyr Selenskyj
Selenskyj am Samstag in Kiew (Keystone/EPA/Sergey Dolzhenko)

«Ich werde am Donnerstag in Istanbul auf Putin warten, persönlich», schrieb der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auf der Plattform Telegram. Doch den Kreml-Chef wird er wohl kaum treffen.

Man stelle sich vor: Am kommenden Donnerstag sitzt der ukrainische Präsident an einem Verhandlungstisch in einem grossen Saal in Istanbul – allein. Putin kommt nicht. Kameras klicken. Dutzende Fernsehkameras filmen den wartenden ukrainischen Präsidenten. Schnell gelangen die Bilder nach Europa, Amerika und Asien. 

Die Botschaft ist klar: Selenskyj ist bereit, über den Frieden zu sprechen. Doch Putin will nicht. Er ist abwesend. Er will den Krieg weiterführen. 

Diese Botschaft, die da um die Welt geht, kann Putin nicht gefallen. Er weiss um die Macht der Bilder. Dass Selenskyj nach Istanbul reist – damit hat der Kreml-Herrscher wohl nicht gerechnet. Auch Selenskyj weiss um die Macht der Bilder.

Putins Vorschlag, in der türkischen Metropole Verhandlungen zu führen, kam wenige Stunden, nachdem westliche Staats- und Regierungschefs den Kreml zu einer 30-tägigen Waffenruhe aufgefordert hatten. Emmanuel Macron, Keir Starmer, Friedrich Merz und Donald Tusk hatten sich am Wochenende nach Kiew begeben, um Selenskyj den Rücken zu stärken. Sie forderten Putin fast ultimativ auf, ab diesem Montag eine einmonatige Waffenruhe einzuhalten. Auch Präsident Trump schloss sich schliesslich diesem Aufruf an.

Putin ging in einer Fernsehansprache in der Nacht auf Sonntag mit keinem Wort auf die Forderung ein. Er konterte sie mit einem Gegenvorschlag und schlug direkte Gespräche mit der Ukraine vor, und zwar schon an diesem Donnerstag in Istanbul. Den türkischen Präsidenten Erdoğan beauftragte er, die Verhandlungen vorzubereiten.

Trump forderte die Ukraine sofort auf, an den Gesprächen teilzunehmen. Damit gelang es dem taktisch abgefeimten Putin, den Westen zu spalten. Die Europäer auf der einen, die USA auf der anderen Seite. 

Doch dann entschied sich Selenskyj, nach Istanbul zu reisen. Wohlwissend, dass Putin kaum erscheinen wird.

Selenskyj sagte: «Ich hoffe, dass die Russen dieses Mal keine Gründe suchen, warum sie nicht können.» Doch diese Gründe sind längst offensichtlich.

Putin will unter keinen Umstanden mit Selenskyj auf dem gleichen Bild erscheinen. Das würde dem ukrainischen Präsidenten Legitimität verleihen – eine Legitimität, die Putin bestreitet. Da Selenskyj – wegen des Krieges – die Präsidentschaftswahlen in der Ukraine verschoben hatte, betrachtet ihn der Kreml als «nicht rechtmässigen, nicht gewählten» Präsident. Dies, obwohl die ukrainische Verfassung verfügt, dass im Land keine Wahlen abgehalten werden dürfen solange das Kriegsrecht besteht.

Zudem behauptet Putin seit jeher, die Ukraine sei kein rechtmässiger, eigenständiger Staat, sondern gehöre zu Russland. Und überhaupt: Das Land müsse zuerst einmal «entnazifiziert» werden. 

Und sollte Putin doch noch einen viertklassigen russischen Gesprächspartner nach Istanbul schicken, kann Selenskyj sagen, der Kreml meine es nicht wirklich ernst mit einem Frieden.

Während der Krieg weitergeht, während täglich Hunderte sterben, liefern sich die Protagonisten ein unschönes diplomatisches Hickhack. Westliche Beobachter betonen auch jetzt, dass Putin kein Interesse an einem Kriegsende hat. Er spielt auf Zeit, schafft sich auf dem Terrain militärische Vorteile und stellt den Westen dann vor vollendete Tatsachen. Putin hat mehrmals klargemacht: Ein Kriegsende gibt es nur, wenn Selenskyj einen Friedensplan akzeptiert, der in Wirklichkeit der Kapitulation der Ukraine gleichkommt.

PS: Am Abend erklärte Trump, er erwarte, dass Putin nach Istanbul gehen werde. Er, Trump, denke darüber nach, auch hinzugehen. 

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