
Trotz politischem Willen gelingt es Griechenland nicht, die irreguläre Migration wirksam zu kontrollieren. Widerstand aus Brüssel, Dynamiken innerhalb der EU und die geopolitische Lage machen Athen zu einem machtlosen Verwalter europäischer Beschlüsse.
Immer wieder wird die kleine Insel Gavdos südlich von Kreta zum Symbol einer Krise, die nicht abebbt: Überfüllte Boote mit hunderten Migranten, oft aus Libyen, erreichen regelmässig griechisches Hoheitsgebiet. Die griechische Küstenwache bringt die Menschen nach Kreta, wie es ihr durch geltende Regeln vorgegeben ist. Eigene Initiativen zur Abschreckung sind kaum möglich – zu gross ist der rechtliche und politische Druck von aussen, besonders nach tragischen Vorfällen wie dem Schiffsunglück vor Pylos, bei dem die Behörden wegen unterlassener Hilfeleistung unter Anklage stehen.
Die Folge: Ein Grossteil der Migranten gelangt schnell in offene Aufnahmezentren auf dem Festland. Da viele aus Konfliktregionen wie Syrien, dem Sudan oder Palästina stammen, werden ihre Asylanträge häufig anerkannt. Danach steht ihnen eine temporäre Freizügigkeit in Europa zu – ein Weg, der oft in Richtung Norden führt, bevorzugt nach Deutschland. Die griechische Bevölkerung aber fürchtet, ihr Land könne zu einem dauerhaften Zwischenlager für Migranten werden, die anderswo nicht bleiben dürfen.
Kein Handlungsspielraum für Griechenland
Athen sieht sich in einem Dilemma: Während Deutschland und andere Staaten Rückführungsabkommen einfordern, sperrt sich Griechenland dagegen. Einmal aus politischen Gründen – Minister Makis Voridis, bekannt für seine harte Haltung in Migrationsfragen, sieht darin einen Verlust nationaler Souveränität – und einmal aus praktischen Erwägungen: Das Land verfügt schlicht nicht über die Kapazitäten, erneut zehntausende Menschen aufzunehmen, deren Asylanträge andernorts abgelehnt wurden.
Dabei sind griechische Versuche, das eigene Asylsystem restriktiver zu gestalten oder physische Grenzsicherungen zu verstärken, immer wieder an EU-Richtlinien gescheitert. Brüssel lehnt etwa Grenzzäune strikt ab, obwohl Athen diese dringend ausbauen möchte. Auch die Idee geschlossener Lager stiess auf Ablehnung durch die EU-Kommission, die auf offene Strukturen und Integrationsmassnahmen setzt.
Die griechische Küstenwache wurde in den vergangenen Jahren zunehmend entmachtet. Frontex, die europäische Grenzschutzagentur, übernimmt viele Aufgaben, aber nicht immer im Sinne Athens. Kritiker sprechen davon, dass Frontex mit seiner Praxis der Seenotrettung unfreiwillig selbst zum Magneten für weitere Überfahrten werde. Gleichzeitig führen Vorwürfe über sogenannte Pushbacks zu Ermittlungen und politischem Druck, was Griechenland weiter lähmt.
Ein einschneidendes Beispiel war der Zwischenfall im März 2020, als die Türkei ihre Grenzen öffnete und tausende Migranten an die griechische Grenze drängten. Die damalige Notmassnahme Griechenlands – ein vorübergehender Asylstopp – wurde von der EU umgehend kassiert. Die Botschaft: Nationale Alleingänge im Grenzschutz sind unerwünscht, selbst bei akuten Krisen.
Zwischen allen Fronten
Die Migrationslage rund um Griechenland bleibt angespannt. Mit neuen Konflikten im Sudan, zunehmender Instabilität in Syrien und dem Krieg um Gaza wächst die Sorge vor einer neuen Migrationswelle. Gleichzeitig zeigt die Türkei wenig Bereitschaft, irregulär Eingereiste zurückzunehmen – obwohl sie das als «sicherer Drittstaat» müsste.
Griechenland steht damit zwischen allen Fronten: Als Frontstaat Europas trägt es die Hauptlast der irregulären Migration, darf aber nur begrenzt eigenständig handeln. Statt echter Solidarität erlebt Athen oft Einschränkungen und bürokratische Hürden aus Brüssel. Die Sorge ist gross, dass aus dem Tor nach Europa ein Lager Europas wird – mit wenig Spielraum zur Gestaltung, aber hohem politischem Preis.