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Der Papst und der Patriarch von Istanbul in Nizäa – Nur der Kaiser fehlte

4. Dezember 2025
Erwin Koller
Leo XIV. in Beirut
Papst Leo XIV. in Beirut, der ersten Station seiner Reise in den Nahen Osten (Foto: EPA/VATICAN MEDIA HANDOUT)

Ende November unternahm Leo XIV. seine erste Auslandreise in die Türkei und in den Libanon. Die Reise war ein Herzensprojekt seines Vorgängers Franziskus, doch jener verfügte nicht mehr über die Kraft dazu. Leo XIV. holte die Reise nach. 

Die sechs Tage galten einem Grossereignis der frühen Kirche, dem Konzil von Nizäa, aber auch der Aussöhnung mit der von Rom getrennten Orthodoxen Kirche sowie dem Frieden und dem interreligiösen Dialog im arg gebeutelten Libanon. Am Dienstag kehrte Leo XIV. nach Rom zurück.

Leo XIV. traf in Istanbul Patriarch Bartholomaios I., das Ehrenoberhaupt der orthodoxen Kirchen. Der Anlass war historisch: Im Jahr 325 fand in Nizäa das erste grosse Konzil der christlichen Kirchen statt. Etwa 200 Bischöfe vor allem aus dem östlichen Reichsteil nahmen daran teil. 1700 Jahre später war es darum für die Kirchen eine heilige Pflicht, das Konzil von Nizäa zu feiern. Denn dessen Beschlüsse sind noch heute für alle christlichen Kirchen verbindlich.

1700 Jahre verpflichten

Die Symbolik war kaum zu überbieten: Wo Nizäa sich befand, weiss man so genau nicht mehr. Man vermutet, es könnte heute die etwa zwei Autostunden südöstlich von Istanbul gelegene Kleinstadt Iznik sein, die an einem malerischen See gleichen Namens liegt, in der Nähe des damaligen Kaiserpalastes. Aus dem See tauchte 2014 infolge des gesunkenen Wasserspiegels ein Monument auf, das die Archäologen als spätantike Neophyt-Basilika identifizierten. Darin könnte das Konzil im Frühjahr 325 stattgefunden haben.

Für die «heilige Erinnerungsfeier» errichtete man am Ufer eine Plattform. Auf dieser erwartete der Gastgeber Patriarch Bartholomaios I. den Patriarchen der Westkirche Leo XIV., der in sanften Runden vom Himmel schwebte – im Helikopter. In dieser ganz und gar nicht sakralen Atmosphäre feierten dann Vertreter aller grossen Konfessionen der Christenheit mit den beiden Patriarchen ein eindrückliches Gedenken.

Doch was hat der Kaiser mit dem Konzil von 325 zu tun?

Nicht wenig. Konstantin der Grosse hatte 313 das christliche Bekenntnis mit dem staatlichen «Edikt von Mailand» zu einer offiziell tolerierten Religion erklärt und ihr damit eine gewisse Religionsfreiheit zugesichert. 12 Jahre später hat nicht der Papst das Konzil von Nizäa einberufen – was heute unerlässlich wäre –, sondern der Kaiser. Er brauchte für das unruhige und überdehnte Römische Imperium eine Ideologie, einen geistigen Kosmos oder eben eine göttliche Ordnung, die auch das zusammenhalten konnte, was mit der Gewalt von Soldaten nicht zusammenzuhalten war.

Das Christentum bot sich dem Kaiser an, denn es hatte die Kultur und Philosophie der griechisch-römischen Mittelmeerwelt bereits in sich aufgenommen, war also kulturell und staatspolitisch anschlussfähig und auf dem besten Weg zu einer Weltreligion. Weil Konstantin aber erkannte, dass in der christlichen Welt um Lehrmeinungen gestritten wurde und wie in säkular-politischen Belangen Spaltungen zu beklagen waren, beauftragte er das Konzil, Klarheit zu schaffen, Lehrsätze zu formulieren und Richtlinien festzulegen. Alle beschlossenen Dogmen erklärte der Kaiser dann zu Reichsgesetzen. Die Einheit des Reiches sollte in der Einheit der Kirche eine metaphysische Stütze bekommen.

Der Kaiser hatte demnach so ziemlich alles mit dem Konzil zu tun. Er berief es nicht nur ein und gewährte den Bischöfen mit der Reichspost für Staatsbeamte freie Fahrt nach Nizäa. Nachdem der Bischof von Rom ohnehin zuhause blieb, benahm sich der Kaiser letztlich wie der Herr über das Konzil: «Ich bin Bischof für das Äussere, ihr seid Bischöfe für das Innere.» Was einige Bischöfe überraschen mochte, denn Kaiser Konstantin war für sie ein zweifelhafter Christ: Er zeigte sich ihnen zwar als Christ, aber ebenso gut den Apollo-Anhängern als Anhänger von Apollo und den Sonnenverehrern als Sonnenverehrer. Erst ein Dutzend Jahre später liess er sich auf dem Totenbett von einem Bischof taufen. Dieser gehörte freilich jener Glaubensrichtung an, die Konstantin auf dem Konzil hatte verurteilen lassen: Ein Arianer gab ihm das letzte Geleit.

Über die Politik hinter dem Konzil verloren Leo XIV. und Bartholomaios I. kein Wort

Dabei war es seit eh und je nie harmlos, wenn eine politische Macht sich der Religion bedient und sie für ihre Zwecke instrumentalisiert. Zumindest müsste man sich fragen, warum denn der christliche Gott im Bekenntnis von Nizäa auf einmal als «Allmächtiger» und als «Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren» vorgestellt wird. Der Wanderprediger Jesus von Nazaret sprach von Gott als seinem vertrauten Vater. Er setzte sich in seinem Namen für die Armen und Randständigen ein und muckte gegen das religiöse Establishment auf. Darum hätte er es kaum verstanden, dass das Konzil ihn auf die gleiche Stufe wie Gott stellte («homo-ousios – wesensgleich»), und erst recht nicht, wenn er mit solchen Dogmen die Stabilität des Reiches garantieren sollte.

Die Ablagerungen über der Basilika von Nizäa und die Schichten darunter 

Nun kann man den Papst und den Patriarchen und all die anderen Kirchenfürsten ein Stück weit verstehen. Sie haben der Mühen genug, ihre Bischöfe und Gläubigen beisammen zu halten. Verständlich, dass sie keinen Raum öffnen wollten für neue und konfliktreiche Fragestellungen. Doch auf Dauer werden sie um den heissen Brei nicht herumkommen. Nicht nur Voltaires Diktum wirkt nach: «In Nizäa haben die Bischöfe das Christentum an die politische Herrschaft verraten.» Auch Fridolin Stier, ein katholischer Theologe unserer Zeit, schreibt: «Jesus ist nicht nur am Kreuz, er ist auch – zum zweiten Mal – im christologischen Dogma gestorben.»

Vielleicht ahnte Leo XIV., dass es hier um die Seele des Glaubens geht

Der Papst gestand in Istanbul vor Christinnen und Christen ein, dass das einst blühende Christentum des Ostens auf eine unbedeutende Minderheit zusammengeschrumpft sei. Gott habe «den Weg der Niedrigkeit« gewählt. Doch die wahre Stärke der Kirche beruhe «weder auf ihren Ressourcen und Strukturen, noch ergeben sich die Früchte ihrer Sendung aus der Zustimmung einer grossen Zahl von Menschen, aus wirtschaftlicher Macht oder gesellschaftlicher Bedeutung». Die Kirche solle sich auf die Verheissung Jesu verlassen, der sagte: «Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben.» 

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