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Lektüre

Bücher zu Weihnachten

1. Dezember 2025
Grafik: Janine Fuchs/J21

Welche Bücher möchten Sie schenken, welche möchten Sie selber lesen? Wie jedes Jahr empfehlen Ihnen Autorinnen und Autoren von Journal21.ch einige Werke, die sie besonders beeindruckt haben.

  • KLARA OBERMÜLLER EMPFIEHLT

David Grossman: Frieden ist die einzige Option

David Grossmann

Wer wissen möchte, wie ein Friedensaktivist die aktuelle Lage im Nahen Osten beurteilt, der greife zu diesem schmalen Band, in dem der israelische Schriftsteller David Grossman Texte aus der Zeit vor und nach dem 7. Oktober 2023 zusammengestellt hat. Einem biblischen Propheten gleich übt er Kritik an den Mächtigen im Land, denen er vorwirft, mit ihrer Überheblichkeit und ihrem Leichtsinn den Angriff der Hamas erst möglich gemacht zu haben. Gleichzeitig verurteilt er in aller Schärfe das Vorgehen der Terroristen, die nicht nur das Leben von über tausend Israeli auf dem Gewissen haben, sondern auch ihre eigenen Leute zu Geiseln und Opfern ihrer menschenverachtenden Ideologie gemacht haben. Es ist diese ungeteilte Empathie für die Leidenden beidseits der Grenze, die Grossmans Texten ihren besonderen Wert verleiht und am Ende so etwas wie Hoffnung auf ein friedliches Zusammenleben der zu tiefst verfeindeten Völker aufkommen lässt. 

Hanser, München 2024,  E-Book oder Hardcover 64 S.


Helga Schubert: Luft zum Leben

Helga Schubert

Eine alte Frau schaut zurück auf ein langes Leben, das schwierig begann und mit den Jahren nicht leichter wurde. Sie tut es anhand von Texten, die ab den sechziger Jahren entstanden sind und die sie durch neue, noch unveröffentlichte ergänzt. Ihr ganzes Schriftstellerinnendasein hindurch hatte Helga Schubert zu kämpfen mit gesellschaftlichen Repressalien und politischer Zensur. Sie liess sich dadurch jedoch nicht beirren und schrieb weiter, weil Schreiben für sie die einzige Möglichkeit war, den Umständen zu trotzen und lebendig zu bleiben. Helga Schubert war von Beruf klinische Psychologin. Aus dieser Tätigkeit hat sie sich diesen scharfen und zugleich mitleidvollen Blick für ihre Mitmenschen bewahrt, der die Texte in diesem Band so anrührend macht. «Geschichten vom Übergang» nennt die Autorin sie und macht damit deutlich, worauf alle Existenz hinausläuft: den Tod.

 dtv, München 2025, E-Book oder Hardcover 288 S.


Oscar Wilde: De Profundis

Oscar Wilde

Eine Inszenierung des «Berliner Ensembles» mit Jens Harzer in der Rolle des Schriftstellers Oscar Wilde hat diesen um 1887 entstandenen Text noch einmal ganz neu erlebbar gemacht. «De Profundis» ist ein Brief, den der wegen grober Unzucht, sprich Homosexualität, verurteilte Autor an seinen Geliebten Lord Douglas aus dem Gefängnis in Reading geschrieben hat. Entstanden ist dabei ein Text, der Anklage und Liebeserklärung, Selbsterforschung und Verteidigung, Auflehnung und Läuterung zugleich ist. Oscar Wilde, der Dandy, der sich an keine Regeln hielt und doch wie kein Zweiter auf Anerkennung angewiesen war, zeigt sich darin in seinem ganzen Elend und in seinem ganzen Stolz. Er spricht von Scham und Verrat, von Sehnsucht und Schmerz und immer wieder davon, was vom Leben bleibt, wenn alle Äusserlichkeiten von ihm abgefallen sind. Oscar Wilde war nach der Haftentlassung ein gebrochener Mann. Sein zwischen Verzweiflung und Ironie irrlichternder Text jedoch hat die Zeit überdauert.

Diogenes, Zürich 2023, 256 S.

Sterne
  • URS MEIER EMPFIEHLT

Annett Gröschner: Schwebende Lasten

Annette Gröschner

Hanna Krause ist mit Leib und Seele Blumenbinderin. Sie übersteht zwei Weltkriege, zwei deutsche Diktaturen, den frühen Tod von zwei ihrer sechs Kinder und eine schwierige Ehe. Da sie den Blumenladen verliert, wird sie Kranfahrerin in der Metallindustrie. Hanna, eine Mutter Courage des 20. Jahrhunderts, hat den unbeugsamen Lebensmut und die nötige Verschlagenheit, um auch unter widrigsten Umständen ihre Familie und sich selbst durchzubringen. Dabei bewahrt sie sich ihre herzhafte Menschlichkeit und sogar den Sinn fürs florale Schöne. Eine in kraftvoller Sprache gradlinig erzählte Geschichte.

Roman, C. H. Beck, München 2025, E-Book oder Hardcover 282 S. (auch als Hörbuch)


Gabriele Tergit: Effingers

Gabriele Tergit

Der Roman zweier Familien umspannt vier Generationen in der Zeit von 1878 bis 1948 und spielt im jüdischen Berlin. Anders als die konservativen Vorfahren im fiktiven Städtchen Kragsheim sind die Berliner Juden verweltlicht, assimiliert und patriotisch. Sie sind Bankiers, Fabrikanten, Gelehrte. Den stets lauernden Antisemitismus können sie dank ihrem gesellschaftlichem Status in Schranken halten. Das ändert sich dann schneller und gründlicher, als sie es wahrhaben wollen, und als die Nazis die Macht übernehmen, ist es für viele für die Flucht zu spät. Gabriele Tergits grosser Roman ist oft als das jüdische Buddenbrooks bezeichnet worden, aber das stimmt nur halb. «Effingers» ist politischer, härter, moderner.

Roman, Nachwort von Nicole Henneberg, Schöffling Verlag, Frankfurt a.M. 2019, E-Book oder Hardcover 912 Seiten


J. W. v. Goethe: Campagne in Frankreich 1792

Goethe

Als Reaktion auf die Umwälzungen im Nachbarland zogen deutsche Truppen gegen die französischen Armeen mit dem Ziel, Paris einzunehmen, die Revolution zu enthaupten und das monarchische Europa zu festigen. Goethe begleitete den Feldzug auf Wunsch des Weimarer Herzogs, doch zu schildern gab es keinen heroischen Sieg, sondern ein klägliches Scheitern. Goethes berühmtes Diktum bildet das Zentrum des Textes: «Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen.» Der Satz fällt, als die Truppe im Rückzug feststeckt und Goethe aufgefordert wird, zu den demoralisierten Leuten zu reden, da er doch immer etwas zu sagen wisse. Der grosse Rahmen des Geschehens taucht immer nur beiläufig auf. In der Hauptsache zeigt Goethe realistisch, was Krieg ist: Die Leute stecken im Morast, haben Hunger und frieren.

Diverse Ausgaben, viele antiquarische Angebote oft zusammen mit «Belagerung von Mainz», ca. 80 S. 

Sterne
  • STEPHAN WEHOWSKY EMPFIEHLT

Stephen King: Ihr wollt es dunkler

Stephen King

Vermutlich ist der Titel dieser umfangreichen Sammlung von Geschichten eine Anspielung auf die gleichnamige CD von Leonard Cohen. Während Cohen sich in seinen Songs mit seinem Tod auseinandersetzt, nimmt Stephen King den Alltag in den Blick, und seine Geschichten haben nur selten mit dem Tod zu tun. Aber er ist dem Unheimlichen und Unerklärlichen auf der Spur. Für jede dieser Geschichten findet er einen eigenen Erzählton. Manchmal schimmern Stephen Kings Schalk und beissende Ironie durch, mit denen er seine Schilderungen des amerikanischen Lebens  auch der neuesten Zeit würzt. Und spannend sind sie allemal.

Heyne Taschenbuch, München 2025, 752 S. 


Dominic Nahr, Ivo Mijnssen: Das wilde Feld. Front und Hinterland in der Ukraine 2022, 2023, 2024, 2025

Dominic Nahr, Ivo Mijnssen

Die Texte von Ivo Mijnssen und die Bilder von Dominic Nahr haben eines gemeinsam: Sie nähern sich den Menschen in ihrem Leid mit Respekt und Anteilnahme. Sie suchen nicht die Sensationen der üblichen Kriegsberichterstattung. Sie möchten verstehen, was in den Menschen vorgeht, die nun schon so lange der Gewalt des Krieges ausgesetzt sind und inmitten ihrer Trauer und ihrer Angst den Überlebenswillen nicht verlieren. Im Eingangskapitel schildert Ivo Mijnssen die geschichtlichen Hintergründe, um dann die Entwicklungen vor Ort zu beschreiben. Texte und Bilder wechseln sich ab. Dominic Nahrs Bilder sind durch Diskretion gekennzeichnet, die auch damit zu tun hat, dass jedes einzelne Bild in seinem Aufbau sorgfältig komponiert ist.

NZZ Libro, Zürich 2025, 280 S.


Harald Jähner: Wunderland. Die Gründerzeit der Bundesrepublik 1955–1967 

Harald Jähner

Wieder einmal schafft es Harald Jähner, deutsche Sozialgeschichte so anschaulich und spannend zu erzählen, dass man das Buch kaum aus der Hand legen möchte: die Rückkehr der letzten Kriegsgefangenen aus Sibirien, Adenauer in Moskau mit seiner Angst, möglicherweise vergiftet zu werden, der Nachkriegsboom mit seiner unglaublichen Hektik im Konsumrausch. Kontraste: das Ruhrgebiet, kaum bewohnbar aufgrund der Verseuchung der Luft durch den Kohleabbau, die unvorstellbar harte Arbeit der «Hauer» untertags und dann wieder der Neckermann-Katalog mit seinen verführerischen Angeboten. Jähner erwähnt aber auch die braune Vergangenheit von Josef Neckermann, der andererseits als Dressurreiter Eindruck zu schinden wusste. Die Jugend orientierte sich mit den Beatles allerdings völlig neu.

Rowohlt Berlin Verlag, 2025, 480 S.

Sterne
  • REINHARD MEIER EMPFIEHLT

Ian McEwan: Was wir wissen können

IanMcEwan

In diesem Roman forscht der britische Literaturwissenschafter Thomas Metcalfe im Jahr 2119 nach dem Text eines legendären Sonett-Kranzes, den der berühmte Dichter Francis Blundy 2014 zum Geburtstag seiner Frau Vivien geschrieben hatte. Diese Sonette sind spurlos verschollen. Die Welt, in der Metcalfe lebt, ist weitgehend überschwemmt. Das globale Machtzentrum ist Nigeria. Gestützt auf digitale Zeugnisse beschreibt der Literaturwissenschafter das intime Beziehungsgefüge von Viviens Geburtstagsparty. Im zweiten Teil spitzt sich der Bericht zu einer Art Kriminalroman zu. Die Entdeckung von Viviens handschriftlichen Aufzeichnungen lässt ihr Beziehungsnetz in teils skandalösen und teils tragischen Dimensionen erscheinen. Der 77-jährige Weltautor McEwan zeigt sich auf der Höhe seiner virtuosen Erzählkunst. Er liefert ein Lesevergnügen mit tiefgründigen moralisch-zwischenmenschlichen Einsichten vor dem Hintergrund einer fatalistisch und ironisch abgeklärten Zukunftsperspektive. 

Diogenes Verlag, Zürich 2025, E-Book oder Hardcover 480 S.


Emmanuel Carrère: Kolkhoze

Emmanuel Carrère

Emmanuel Carrère ist ein fulminanter Erzähler, der autobiografische, politische und psychologische Handlungsstränge spannend zu verbinden weiss. Er ist der Sohn von Hélène Carrère d’Encausse, der 2023 verstorbenen Historikerin und Grande Dame der Académie Française. In diesem Buch berichtet der Autor über das Leben seiner Mutter russisch-georgischer Herkunft, ihren Aufstieg von einer mittellosen Emigrantenfamilie zu einer führenden Intellektuellen und Kennerin Russlands, die in Paris und in Moskau Zugang zu höchsten Repräsentanten findet. Der Titel «Kolchose» geht auf eine Kindheitserinnerung zurück, als der Autor und seine Geschwister mit der Mutter im gleichen Bett kuschelten. Doch Carrère schildert seine berühmte Mutter und ihr zerrüttetes Eheleben gleichzeitig als kühl, berechnend und innerlich verunsichert. Putins Einmarsch in die Ukraine kurz vor ihrem Tod erschüttert ihr Weltbild zutiefst. Carrères neuestes Buch ist erst auf Französisch erschienen, es wird sicher bald eine deutsche Übersetzung herauskommen. 

Kolkhoze, Paris 2025, E-Book oder Hardcover 554 S.


Meinrad Inglin: Die graue March

Meinrad Inglin

Es ist immer eine gute Idee, die Lektüre ab und zu älteren Werken zuzuwenden, die man schon immer mal lesen oder wiederlesen wollte. Meinrad Inglins «Graue March» zählt zu solchen Titeln. Der 1935 erschienene Roman handelt in der engeren Heimat des Innerschweizer Autors. Er erzählt vom kargen Leben der Bauern und Jäger vor allem während der dunklen Winterzeit, ihren oft spröden Beziehungen untereinander, ihren Rivalitäten und schicksalhaften Verbindungen. Beeindruckend ist die Schilderung der Tierwelt in dieser Berglandschaft, mit der Inglin offenkundig aufs engste vertraut ist. Aber auch Handlungsstränge wie die Geschichte des Zigeunermädchens Berta oder des unglücklichen Bauernsohns Josef Scheckli, der im Schnee erfriert, lassen den Leser nicht so schnell wieder los. 

Ammann Verlag, Zürich 1987, 200 S.

Sterne
  • ALEX BÄNNINGER EMPFIEHLT

Terry Szuplat: «Say It Well»

Terry Szuplat

Zu viele Reden sind nicht der Rede wert. Schwunglos, vernebelnd, über die Köpfe hinweg. Es gibt Abhilfe. Neu und kompetent vom Ghostwriter Präsident Barack Obamas. Terry Szuplat, mit allen rhetorischen Wassern gewaschen, verfasste kein oberkluges Lehrbuch, sondern einen instruktiven und unterhaltsamen Reisebericht von der Idee für eine Rede übers Lampenfieber bis zum Schlussapplaus. Als Bonus mitgeliefert sind Einblicke ins Denken und in die Wertvorstellungen des Weissen Hauses von 2009 bis 2017. 

Piper, München 2025, E-Book oder Hardcover 431 S., ins Deutsche übersetzt von Jörn Pinnow


Christoph Hein: Das Narrenschiff

Christoph Hein

Die DDR, 1949 gegründet, 1990 politisch und wirtschaftliche untergegangen, war ein perfides Regime mit Bespitzelung, Demütigung, Unterdrückung und brutalen Strafen. Christoph Hein beschreibt das Grauen in einer mitreissend nüchternen und entlarvenden Sprache. Lesbar als Zeitgeschichte, endend mit einer raffinierten Pointe der Gerechtigkeit, und als Lehrstück, wie bieder beschworene Staatstreue zum abgrundtief Bösen wird und aus eigenem Verschulden in den Ruin führt. Eine Warnung mit Aktualität. 

Suhrkamp, Berlin 2025, E-Book oder Hardcover 751 S.


Michael Maar: Das violette Hündchen

Michael Maar

Das Buch hält in Überfülle, was der Untertitel verspricht: «Grosse Literatur im Detail». Michael Mahr wählt eine ungewöhnliche Perspektive und entdeckt in sprachlichen Winzigkeiten verblüffend Gemeinsames bei William Shakespeare bis Charles Dickens, Agota Kristof, Martin Walser, Patricia Highsmith, Salman Rushdie. Es nimmt kein Ende mit dem Hinweisen auf scheinbar Unwesentliches, das sich als Wesentliches erweist. Wie eben das violette Hündchen. Die gegen die Gewohnheit gelesene Weltliteratur ist eine reine Freude.

Rowohlt, Hamburg 2025, E-Book oder Hardcoiver 591 S.

Sterne
  • IGNAZ STAUB EMPFIEHLT

Natalie Amiri: Der Nahost-Komplex

Natalie Amiri

Für ihr neues Buch hat die deutsch-iranische Journalistin Natalie Amiri, langjährige ARD-Korrespondentin in Teheran, mit über 200 Personen im und aus dem Nahen Osten gesprochen, um mehr über die aktuelle Befindlichkeit einer schlagzeilenträchtigen Region zu erfahren. Wie haben sich jüngste Ereignisse wie das Massaker der Hamas und der Gaza-Krieg, Israels Zwölf-Tage-Krieg mit dem Iran oder die politischen Umwälzungen in Syrien und im Libanon auf den Alltag der Menschen ausgewirkt und wie sehen die Betroffenen ihre persönliche Situation sowie die Zukunft ihres Landes? Die Jury, die Amiri zur «Politikjournalistin des Jahres 2024» gekürt hat, bescheinigt der 48-jährigen Autorin, angesichts der Krisen im Nahen Osten über «hohe fachliche Kompetenz» zu verfügen sowie «empathische und schonungslose Analysen» zu verfassen – Einschätzungen, die Amiris Buch, das reich ist an unterschiedlichen Perspektiven, auch einlöst.

Penguin, München 2025, E-Book oder Hardcover 416 S.                       


Phoebe Greenwood: Vulture

Phoebe Greenwood

Kriegsreporterinnen und -reporter gehören einer Spezies an, die aus diversen Motiven einer ethisch mitunter fragwürdigen Tätigkeit nachgeht: Unter dem Strich profitiert sie vom Elend anderer Menschen. Im vorliegenden Debut-Roman der britischen Journalistin Phoebe Greenwood, der 2012 in Gaza spielt, ist dies die 33-jährige Sarah Byrne, welche die fiktive «London Tribune» ins Kriegsgebiet entsandt hat. Der Reporterin mangelt es zwar an Erfahrung, aber nicht an Ehrgeiz, einen Scoop zu ergattern und Karriere zu machen. Wozu sie die Hilfe von teils dubiosen lokalen Fixern benötigt. Sarahs Domizil im Küstenstreifen ist das Vier-Sterne-Hotel «The Beach», wo sich die internationale Journaille versammelt und an der Bar Anekdoten austauscht. In den satirischen Roman eingeflochten sind Sarahs Reminiszenzen an ihre Eltern, zu denen die Reporterin ein zwiespältiges Verhältnis pflegt, das sie nach wie vor umtreibt. Zudem sind in «Vulture» Parallelen zur heutigen Lage in Gaza nicht zu übersehen. 

Europa Editions, London 2025, E-Book oder Hardcover 281 S.


David Litt: It’s Only Drowning

David Litt

Der Untertitel der Memoiren verspricht, «eine wahre Geschichte davon zu erzählen, was es heisst, surfen zu lernen und Gemeinsamkeiten zu suchen». Autor der Erinnerungen ist der 39-jährige David Litt, in Yale ausgebildet und früher Redenschreiber für Barack Obama, ein Liberaler, wie er im Buche steht. Während einer Lebenskrise entschliesst er sich, an der Küste New Jerseys mit Surfen zu beginnen., Dabei kommt er seinem Schwager Matt, einem konservativen, tätowierten Elektriker, näher. Matt ist ein erfahrener Surfer und alles andere als auf Davids politischer Wellenlänge. Doch dessen grosser Traum ist es, einmal auf einer grossen Welle an der gefährlichen Nordküste von Hawaii zu surfen. So finden die beiden ungleichen Männer wider Erwarten zusammen und beweisen so, dass es in einem in zwei feindliche Lager gespaltenen Amerika noch möglich ist, scheinbar unüberbrückbare Differenzen zu überwinden und sich zu versöhnen.

Simon & Schuster, New York 2025, E-Book oder Hardcover 289 S. 

Sterne
  • HEINER HUG EMPFIEHLT

Eli Sharabi: 491 Tage – In den Tunneln der Hamas

Eli Sharabi

Es ist der erste grosse Erlebnisbericht einer israelischen Hamas-Geisel. Tief unter der Erde verbrachte der Autor, bewacht von Hamas-Terroristen, zusammen mit einigen andern Entführten 491 Tage. Detailliert beschreibt er diese Zeit, den Alltag im stickigen Dunkel. Manchmal richteten die Terroristen die Waffen auf seinen Kopf. Er war stärker als viele andere und behielt die Kontrolle über sich. Er trainierte Liegestütze und kämpfte mit autogenem Training gegen Depressionen. Immer wieder versuchte er, sich etwas Positives vorzustellen und redete sich ein, dass er eines Tages freigelassen und seine Frau und seine zwei Töchter wiedersehen würde. Zu Beginn seiner Geiselhaft wog er 75 Kilo, bei der Freilassung waren es 45. Es ist ein schreckliches, wichtiges Buch, ein Zeitdokument. Als er freigelassen wurde, erfuhr er, dass seine Frau und seine Töchter getötet worden waren. Die Terroristen verachtet er, die Palästinenser nicht. Politisch äussert er sich nicht, doch von Netanjahu will er sich nicht umarmen lassen. 

Suhrkamp, Berlin 2025, E-Book oder Hardcover 200 S., aus dem Englischen von Ursula Kömen


Till Kössler: Franco – Der ewige Faschist. Eine Biografie

Till Kössler

Vor 50 Jahren starb er, Anlass um zurückzublicken. Kein faschistischer Herrscher, weder Hitler noch Mussolini, hielt sich so lange an der Macht wie er. Fast 40 Jahre lang spannte er mit den Nazis  und den italienischen Rechtsexrtremisten zusammen, verfolgte seine Gegner, folterte und tötete sie, verurteilte sie zu Zwangsarbeit und liess das Volk leiden und teils hungern. Niemand war sicher vor ihm. Den Zweiten Weltkrieg überlebte er als einziger der europäischen Tyrannen, weil er sich in einer spektakulären Kehrtwendung dem neuen Zeitgeist, dem demokratischen Europa, anbiederte und sich als Modernisierer gab. Doch ein Faschist blieb er mit Haut und Haaren. Noch immer geniesst er in der spanischen Bevölkerung einige Sympathien. Wie ist das möglich? Das versucht das Buch zu ergründen.

C. H. Beck, München 2025, E-Book oder Hardcover 267 S.


Alessandro Manzoni: I Promessi Sposi (Die Verlobten)

Alessandro Manzoni

Dieser historische Roman, dessen erste Fassung vor fast zweihundert Jahren publiziert wurde, hat es in sich. Es geht dramatisch zu, es geht um Intrigen, Verrat, Gewalt und um Liebe. Goethe sagte, dass der Roman «alles überflügelt, was wir in dieser Art kennen». Da ist die schöne Lucia, die von einem alten Herrscher entführt und in einer Burg gehalten wird; und da ist der anmutige Renzo. Fast auf jeder Seite gelingt es dem Autor, neue Spannung zu erzeugen. Selten liest man 800 Seiten so schnell. Manzoni gilt als einer der italienischen Nationaldichter. «I Promessi Sposi» ist auch eine Abrechnung mit den fremden Mächten, die Italien beherrschten und eine soziale Misere anrichteten. Das Werk spielt (verfremdet) im 17. Jahrhundert, doch bezieht sich klar auf das 19. Jahrhundert. Das Buch hat wesentlich zur Vereinigung des Landes beigetragen, indem es zum Aufstand gegen die verhassten Österreicher anstachelt. Es gibt weit über ein Dutzend deutsche Übersetzungen dieses italienischen Jahrhundertwerks, das Literaturkritiker auf die Stufe von Goethes «Faust» heben.

Diverse Verlage, u. a. Insel, Berlin, Taschenbuch 2008, 871 S., übersetzt von Ernst Wiegand Junker

Sterne
  • GISELA BLAU EMPFIEHLT

John Irving: Königin Esther

John Irving

«Der letzte Sessellift» war also doch nicht der letzte Roman, obwohl er es beteuert hatte. Die Fans werden glücklich sein, denn es erwartet sie wie immer ein dichtgeschriebenes Buch mit allen Zutaten, die sie im Laufe der Jahrzehnte gewohnt sind: Hampshire an der historischen Küste der USA, Wien am anderen Ende der Welt, ein Mann, der Wettbewerbe in griechisch-römischem Ringen bestreitet. Doch diesmal mixt der Autor etwas ganz Neues dazu: jüdischen Glauben und jüdische Geschichte. Eine Mix-Tour, die es in sich hat. Diesmal hat er nicht behauptet, der Roman um die historische Königin Esther, die es ganz allein fertig gebracht hat, ihr Volk vor der Auslöschung zu bewahren, sei sein Letzter. Vielleicht dürfen wir uns ja auf ein neues Konvolut von vielen hundert Seiten dicht geschriebener, autobiografisch gefärbter und Spannung geladener Erzählungskunst freuen.

Diogenes Verlag, Zürich 2025 E-Book oder Hardcover 560 S.


Ken Follett: Stonehenge

Ken Follett

Nach zahlreichen Millionen von Büchern präsentiert der Bestseller-Autor wieder eine historische Geschichte, die er weitgehend selber erfinden musste. Es gebe fast keine Überlieferungen aus der Jungsteinzeit, erklärte er. So musste er Vornamen und Ereignisse weitgehend erfinden. Und das ist ihm vortrefflich gelungen. Nur ein Name hat sich bis heute gehalten, und das ist jener des berühmtesten Steinkreises auf der gewaltigen Ebene. Zwar haben die Wissenschafter noch weitere magische Kreise entdeckt, aus Holz und auch aus Steinen. Aber keiner ist so mächtig und so mysteriös wie jener von Stonehenge. Bis auf den heutigen Tag wird wird gerätselt, wie die Menschen jener weit entfernten Zeit diese riesigen Felsbrocken, die nicht aus der Gegend stammen, in der sie stehen, hierher geschafft haben, damit sie immer zweimal jährlich zur Sonnenwende Lichtstrahlen herleiten. Follett lässt eine Zeit und ihre Ereignisse entstehen, wie sie tatsächlich existiert haben könnten. Die Völker der Hirten, der Ackerbauern und der Waldleutr werden mit ihren Helden und Tyrannen lebendig, als es weder das Rad noch die Schrift gab und alle Distanzen zu Fuss zurückgelegt werden mussten. Bis heute erinnert der magische Steinkreis an eine Zeit, die geheimnisvoll und doch zukunftsweisend war.

Lübbe Bastei Verlag, Köln 2025, E-Book oder Hardcover 672 S.


Nelio Biedermann: Lázár

Nello Bidermann

Der mit Abstand jüngste deutschsprachige Bestsellerautor, Nello Biedermann, hat uns allen ein Buch geschenkt, das gleichzeitig in 20 Ländern eine weite Leserschaft erfreut hat. Die Geschichte einer ungarischen Grafendynastie ist gleichzeitig die Familiengeschichte des Autors und des Staates Ungarn. Die Sprache, die der erst 22-jährige Schriftsteller so wunderschön beherrscht, lässt uns teilhaben an der Familie und immer wieder an den historischen Ereignissen dieser verlorenen Heimat. Auch wer meinte, alles über das Geschick jenes Landes zu wissen, erlebt in diesem Roman ganz neue Facetten der Geschichte, bis zwei Geschwister einen Zug besteigen, um sich in der Schweiz niederzulassen. Am Ende dieses Buches kann die Leserschaft nur darauf hoffen, dass der junge Autor tatsächlich an einem neuen Werk arbeitet.

Rowolt Verlag,  Berlin 2025, E-Book oder Hardcover 336 S.

Sterne
  • ROLF APP EMPFIEHLT

Gabriel Zuchtriegel: Pompejis letzter Sommer

Gabriel Zuchtriegel

Seit zwei Jahrhunderten graben Archäologen in Pompeji, und ein Ende ist nicht abzusehen. Ihre Ernte ist enorm, das hat Gabriel Zuchtriegel, seit 2021 Direktor des Archäologischen Parks Pompeji, mit seinem Buch «Vom Zauber des Untergangs» vor zwei Jahren ein erstes Mal anschaulich gezeigt. Jetzt doppelt er nach und beschreibt in «Pompejis letzter Sommer – als die Götter die Welt verliessen» das Brodeln im Untergrund der römischen Gesellschaft, das jener Eruption vorausgeht, die sich am Mittag des 24. August 79 nach Christus mit einer schwarzen Wolke über dem Vesuv ankündigt und danach mit einem Regen glühend heisser Lavasteinchen Tod und Verderben bringt. In einer Art archäologischer Reportage erzählt Zuchtriegel vom Wandel der Sexualität, vom Alltag der Bewohner, von denen ein Drittel Sklaven sind, und beschreibt, wie sich eine grosse spirituelle Revolution ankündigt in Gestalt des Christentums. Und am Ende macht er sich beim Besuch einer Ausgrabung Gedanken über Zeit und Vergänglichkeit. Denn «unter Haut und Fleisch sehen wir genauso aus: Unsere Skelette sind die gleichen wie die, die wir ausgraben».  

Propyläen, Berlin 2025, E-Book oder Hardcover 316 S.


Michael Köhlmeier: Dornhelm

Michael Köhlmeier

Der Kern unseres Lebens steckt in der Kindheit. Wenn der Schriftsteller Michael Köhlmeier seinen Freund, den heute 77-jährigen Regisseur Robert Dornhelm, befragt und dieses dreizehn Tage dauernde Gespräch in oft munterem, die schweren Themen allerdings keineswegs ausklammerndem Ton wiedergibt, geht es nur sehr am Rand um dessen Karriere in Hollywood. Die damit beginnt, dass die Schauspielerin Grace Kelly 1979 den Vorschlag macht, «dass der kleine Robert Dornhelm, ein Flüchtlingskind aus Temeswar, Regie bei einem Millionenprojekt führt». Dort, in Rumänien, wächst Dornhelm im Kommunismus auf. «Wir waren Buben», sagt er zu Köhlmeier. «Rumänische Buben! Jüdische Buben! Die haben andere Spässe als ihr.» Und sie machen andere Erfahrungen. Denn Vater und Grossvater sitzen im Gefängnis, die Mutter muss die Familie allein durchbringen. Es sind schwere, aber dennoch jugendlich-leichte Zeiten.    

Zsolnay, Wien 2025, E-Book oder Hardcover 284 S.


Lea Ypi: Aufrecht

Lea Ypi

Eines Tages taucht im Internet ein Foto auf, es zeigt Lea Ypis Grossmutter 1941 in den Flitterwochen in Cortina d’Ampezzo. Die Enkelin ist überrascht, noch überraschter ist sie über die teils abfälligen Kommentare, die in rascher Folge eintreffen. Und so macht sie sich auf, im Archiv des ehemaligen albanischen Geheimdiensts dem Leben ihrer 2006 verstorbenen Grossmutter zu folgen. Aus grossbürgerlichen Kreisen stammend und in Saloniki aufgewachsen, gerät sie nach 1932 in den Strudel zuerst der faschistischen, dann der kommunistischen Diktatur, hat aber bei aller Not den aufrechten Gang niemals verlernt.  

Suhrkamp, Berlin 2025, E-Book oder Hardcover 416 S.

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