Die Volkszählung in der Schweiz ist fast gleich alt wie der Schweizer Bundesstaat. Aus Sicht der Liberalen und Radikalen jener Zeit waren nämlich die Statistik und deren wichtigste Grundlage, die Volkszählung, wesentlich für die Planung und die Politik.
Schon im Mai 1849 fand die Statistik Eingang in das «Pflichtenheft» des ersten Bundesrates, und im Dezember 1849 beschloss das Parlament die Durchführung der ersten eidgenössischen Volkszählung. Exakte Zahlen über die Bevölkerung benötigte der Bundesrat nicht zuletzt auch, um die Truppenkontingente zu bestimmen, die Heimatlosenfrage zu «regeln» oder um die Nationalratswahlen zu organisieren. Für Letzteres musste regelmässig auf der Basis der Wohnbevölkerung die Anzahl der kantonalen Sitze im Nationalrat ermittelt werden.
Pionier Stefano Franscini
Die Begeisterung für Statistik war jedoch im damaligen Bundesrat nicht gleichmässig verteilt. Treibende Kraft war der Tessiner Liberale Stefano Franscini. Mit seinen Statistikplänen war er in der Regierung allerdings immer wieder isoliert. Als Autor grundlegender bevölkerungsstatistischer Werke nahm er die Realisierung der Volkszählung 1850 gleich selbst an die Hand. Erhoben wurden die Zahlen mit Hilfe der Kantone. Dabei wurde nicht nur der Bevölkerungsbestand erfasst, sondern auch Personenmerkmale wie Geschlecht, Alter, Konfession, Heimatort, Herkunft, Aufenthaltsstatus oder Grundbesitz. Für eine wissenschaftliche Bearbeitung der erhobenen Daten fehlten jedoch die Mittel; es konnten auch nicht alle Daten befriedigend aufbereitet werden. Immerhin wurden die Zahlen in zwei umfangreichen Bänden mit einleitenden Erläuterungen publiziert. Das war die erste gesamtschweizerische Volkszählung, die – trotz Kinderkrankheiten – wissenschaftlichen Ansprüchen genügte.
Im Januar 1860 beschloss das Parlament die Errichtung des eidgenössischen statistischen Büros, wie das heutige Bundesamt für Statistik damals hiess. Im selben Jahr wurde auch das Bundesgesetz über die Volkszählung verabschiedet. Beide Gesetze sollten rund 130 Jahre lang in Kraft bleiben. Das Volkszählungsgesetz bestimmte, dass die Volkszählung alle zehn Jahre durchgeführt werden soll. Vom Zehnjahresrhythmus wurde bis zum Jahr 2000 nur zweimal abgewichen, 1888 und 1941. Stichtag war meistens der 1. Dezember.
Demografische und wirtschaftliche Fragen
Die Volkszählungen ab 1860 behielten die soziodemografischen Fragen von 1850 weitgehend bei. Einige Variablen wurden verfeinert wie etwa der Zivilstand oder die Sprache. Einen markanten Ausbau erfuhren die Fragen zur Arbeitswelt (Beruf, Erwerbsstatus, Tätigkeit der Unternehmen). Pro Volkszählung war künftig den Themen Bevölkerung, Aufenthaltsstatus und Beruf meistens je ein eigener Tabellenband gewidmet.
Gelegentlich wurden auch politische Fragestellungen in die statistischen Erhebungen aufgenommen. Als in der Zwischenkriegszeit in der Schweiz das Bevölkerungswachstum abflaute, kamen Diskussionen über eine Überalterung der Gesellschaft auf. Rechtskonservative Kräfte warnten vor «leeren Kinderwiegen» und warben für eine reaktionäre Familienpolitik, wie sie der katholisch-konservative Bundesrat Philipp Etter vertrat. Dies schlug sich in der Volkszählung 1941 nieder, wo Sonderfragen an die verheirateten Frauen nach der «ehelichen Fruchtbarkeit» bzw. nach der Zahl ihrer Kinder gestellt wurden.
Verbesserte Erhebungen
Mit jeder Volkszählung stieg die Qualität der Erhebung dank der gewonnenen Erfahrungen. Förderlich für die Genauigkeit war 1888 der Wechsel von den Haushaltungslisten zu den individuellen Zählkarten. Ab 1920 wurden mechanische Zählmaschinen eingesetzt, um die Verarbeitung zu beschleunigen; vorher waren die Datenerfassung und -auswertung noch von Hand durchgeführt worden. Neue Dynamik kam ab den 1960er Jahren mit der Einführung optischer Lesetechniken sowie von Lochkarten und Grossrechnern auf. Einen Paradigmenwechsel brachte der flächendeckende Einsatz der Personal Computer.
In der Nachkriegszeit wuchs die Bevölkerung stark an. Um die rasanten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen zu analysieren, zu verstehen und darauf reagieren zu können, verlangten Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft nach zusätzlichen und vertieften Informationen. Es waren insbesondere die Raumplanung, die Bildungspolitik oder die Verkehrspolitik gefordert.
Volkszählung unter Druck
Ab den 1980er Jahren kam vermehrt Kritik an der Volkszählung auf: Aufwand und Kosten seien zu hoch und der Zehn-Jahres-Rhythmus stehe dem Bedürfnis nach aktuellen Daten im Weg. Gleichzeitig wuchs in der Bevölkerung die Sensibilität für Datenschutz und es wurde – wie in der Bundesrepublik Deutschland – vor dem «gläsernen Bürger» gewarnt. In der Schweiz wurde dies noch akzentuiert durch den Fichenskandal von 1989, als enthüllt wurde, dass Bundes- und Kantonalbehörden jahrzehntelang heimlich Informationen über Hunderttausende von Menschen und Organisationen aus Politik und Kultur gesammelt hatten.
1990 fand die letzte traditionelle Vollerhebung in Papierform statt; sie war eine logistische Mammutaufgabe. Es brauchte Millionen gedruckter Fragebogen und x-tausende lokale Zählerinnen und Zähler vor Ort. Bei der Volkszählung 2000 kamen zwar nochmals die Fragebögen auf Papier zum Einsatz, die per Post verschickten Formulare enthielten aber schon vorgedruckte Registerdaten. Zudem konnten die Fragebögen auch direkt via Internet ausgefüllt werden.
Die Schwächen der Volkszählung und der amtlichen Statistik waren aber auch innovativen Amtsstatistiker:innen nicht verborgen geblieben. Bereits ab Mitte der 1970er Jahre arbeiteten sie auf eine Modernisierung der Statistik hin. Diese erreichte mit dem neuen Statistikgesetz von 1992 einen Meilenstein. Wesentlich für die amtliche Statistik war auch die Unterzeichnung des «Verhaltenskodex für europäische Statistiken», welche Unabhängigkeit, Objektivität und Transparenz verlangte und garantierte. Treibende Kraft hinter dieser grossen Reform war der damalige BFS-Direktor Carlo Malaguerra – wie Stefano Franscini ein Tessiner.
Mit der Totalrevision des Volkszählungsgesetzes von 2007 wurde schliesslich der Weg von der klassischen Volkszählung hin zur neuen Volkszählung geebnet: Diese reduzierte die Belastung der Bevölkerung stark und lieferte schneller und flexibler Informationen.
Aktuelle Registererhebungen und Personenbefragungen
Im Jahr 2010 erfolgte der definitive Wechsel. Der erste Stichtag für die neue Volkszählung war der 31. Dezember 2010. Seither wird sie jährlich durchgeführt. Die neue Volkszählung basiert auf bestehenden Verwaltungsregistern und auf Personenbefragungen.
Zentral ist die Registererhebung, sie liefert quartalsweise und jährliche Resultate. Mit ihr werden Informationen zur gesamten Bevölkerung und zu den Haushalten gewonnen sowie zu den Wohnungen und den Wohngebäuden. Die Registererhebung wurde möglich, nachdem die Register der Kantone und Gemeinden in einem aufwändigen Prozess auf der Grundlage des Registerharmonisierungsgesetzes von 2006 harmonisiert worden waren.
Ergänzt wird die Registererhebung durch drei Typen von Personenbefragungen. Die umfangreichste von ihnen ist die Strukturerhebung. Jährlich werden rund 200’000 Personen befragt, in erste Linie online, als eCensus, aber auf Wunsch auch via Papierfragebogen. Themen sind Bildung, Sprache, Religion, Erwerbsleben, Mobilität und Wohnen. Um die statistische Genauigkeit der Resultate zu erhöhen, können die Erhebungen aus mehreren Jahren zusammengefasst werden (Pooling). Die Kantone können bei Bedarf ihre Stichprobe erhöhen, sodass auch präzise kantonale Aussagen möglich sind.
Der zweite Typ von Personenbefragungen umfasst die sogenannten thematischen Erhebungen. Diese sehen einen Fünf-Jahres-Zyklus von Personenbefragungen zu folgenden fünf Themen vor: «Mobilität und Verkehr, «Aus- und Weiterbildung», «Gesundheit», «Familien und Generationen» sowie «Sprache, Religion und Kultur». Je nach Thema werden zwischen 10‘000 und 40‘000 Personen befragt. Auch hier können die Kantone bei Bedarf ihre Stichprobe erhöhen.
Zur Informationsbeschaffung über aktuelle Themen und Probleme sind schliesslich bei Bedarf «Omnibus-Erhebungen» vorgesehen. Die Stichprobe umfasst rund 3‘000 Personen.
Mit dieser Umstellung war die Schweiz eines der ersten Länder Europas, das auf ein registerbasiertes Zählsystem mit ergänzenden Stichprobenerhebungen umgestiegen war. In der Schweiz war ab 2010 die Zeit der Volkszählerinnen und Volkszähler vorbei.
Transparent erhoben und öffentlich zugänglich
Seit einiger Zeit liegen alle Volkszählungsdaten ab 1850 in digitalisierter Form vor – eine einzigartige und wertvolle Fundgrube. Die Volkszählungen dokumentieren umfassend und über einen langen Zeitraum die demografische und soziokulturelle Entwicklung der Bevölkerung, die Veränderungen der Wirtschaftsstrukturen, der Siedlungsverhältnisse oder der Haushaltsformen.
Die seither laufend erhobenen Zahlen wiederum bilden für die Analyse der Gegenwart und die Planung der Zukunft eine verlässliche, transparent erhobene und öffentlich zugängliche Datengrundlage. Gerade in einer Zeit, in der immer mehr Zahlen zirkulieren, deren Entstehung, Verarbeitung und Qualität nicht immer nachvollziehbar sind, kommen Statistiken, die nach den Prinzipien der Wissenschaftlichkeit, Unabhängigkeit und Transparenz erstellt werden, besondere Bedeutung zu – und sie stehen allen zur Verfügung.