Nach der Verurteilung von Ex-Präsident Sarkozy zu fünf Jahren Gefängnis ohne Bewährung wegen «Bildung einer kriminellen Vereinigung» in der so genannten Libyen-Affäre stehen ein Teil der französischen Konservativen und die extreme Rechte Kopf und leisten sich einen Generalangriff gegen die Justiz.
Ein ehemaliger Staatspräsident, der in den nächsten Wochen tatsächlich ins Gefängnis wandert, das hat in Frankreich allgemein eine gewisse Verwunderung, teilweise aber auch Genugtuung, in bestimmten Kreisen jedoch Bestürzung, Empörung, ja Wut ausgelöst. Die Aufregung in Sarkozys Lager gilt vor allem der Tatsache, dass die Richter den Haftantritt ohne Aufschub festgelegt haben und Nicolas Sarkozy in wenigen Wochen tatsächlich hinter Gittern sein wird. Am 13. Oktober wird er erfahren, unter welchen Bedingungen und wann genau.
Vorwurf der politischen Justiz
Seitdem toben das konservative Lager und die extreme Rechte gemeinsam. Bezeichnend dabei: Marine Le Pen, vor einigen Monaten selbst verurteilt wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder und trotz ihres Gangs in Berufung für fünf Jahre als unwählbar erklärt, war eine der ersten, die Sarkozy zur Seite sprang, die Härte des Urteils anprangerte und hinzufügte: «Gewisse Gerichte, die Haftstrafen ohne Aufschub, auch im Fall von Berufung aussprechen, sind eine Gefahr im Hinblick auf die grossen Prinzipien unseres Rechts, zu denen an erster Stelle die Unschuldsvermutung zählt.» Einer aus der zweiten Reihe des Rassemblement National tönte: «Ich sage es mit voller Überzeugung: Die Justiz in diesem Lande ist politisch.»
Selbst der Vizepräsident der konservativen Les Républicains schlug in dieselbe Kerbe: «Diese aussergewöhnliche Behandlung eines ehemaligen Staatspräsidenten, die durch nichts zu rechtfertigen ist, sagt alles aus über diese politische Justiz.» Und ein Senator derselben Partei verstieg sich sogar zu der Aussage, Präsident Macron müsse Nicolas Sarkozy begnadigen – was purer Unsinn ist, da Sarkozy so seine Schuld anerkennen würde und eine präsidiale Gnade ohnehin nur nach dem Durchlaufen aller Instanzen möglich wäre.
Plötzlich herrscht eine ausgesprochen sonderbare Stimmung in der politischen Landschaft Frankreichs. Da wird ein ehemaliger Staatspräsident, so das Gericht in seiner Begründung, «auf Grund von aussergewöhnlich schweren Tatsachen, die dazu angetan sind, das Vertrauen der Bürger in die Volksvertreter zu erschüttern» verurteilt, und prompt sitzt in der Öffentlichkeit – so darf man inmitten des Lärms den Eindruck haben – hauptsächlich die Justiz selbst auf der Anklagebank. Dabei müsste eine gestandene, selbstbewusste Demokratie sich eigentlich zufrieden zeigen, dass die Unabhängigkeit der Justiz auch in turbulenten Situationen und Zeiten noch gewährleistet ist. Stattdessen blasen gestandene Politiker, aber auch ein beachtlicher Teil der Kommentatoren in Radio, Fernsehen und Presse, die in Frankreich derzeit immer weiter nach rechts driften, zum Halali auf Richter und Justiz.
Sarkozy, Opfer grenzenlosen Hasses?
Nicolas Sarkozy selbst, der sechste Präsident der Fünften Republik Frankreichs, das ständige Zucken seiner Schulterpartie mühsam unterdrückend, trat nach der Verkündung des Urteils vor die Kameras und sagte an die Adresse der Staatsanwälte und der Richter: «Was heute passiert ist, ist extrem schwerwiegend für unseren Rechtsstaat und das Vertrauen, das man in die Justiz haben kann. Der Hass kennt offensichtlich keine Grenzen mehr. Ich stehe zu meiner Verantwortung. Wenn diese Leute wollen, dass ich im Gefängnis schlafe, dann schlafe ich eben im Gefängnis, aber erhobenen Hauptes. Diese Ungerechtigkeit ist ein Skandal. Diejenigen, die mich derart hassen, glauben, mich erniedrigen zu können. Doch sie erniedrigen in erster Linie ganz Frankreich.»
Sagte es und machte auf seinen überhöhten Absätzen kehrt, mit Ehefrau Carla Bruni im Schlepptau, welche vor dem Abgang, mit einem verächtlichen Lächeln noch schnell den Windschutz von einem der entgegengestreckten Mikrophone riss und zu Boden warf. Es war der Windschutz vom Mikrophon des Internetportals «Médiapart», welches vor inzwischen fast 15 Jahren die ganze Affäre um die mögliche Finanzierung von Sarkozys Wahlkampf 2007 durch den libyschen Diktator Gaddafi ins Rollen gebracht hatte.
Gewaltenteilung – da war doch was
An diesem Wochenende hat Nicolas Sarkozy noch einmal nachgelegt. Bezeichnenderweise tat er dies in der ins extrem rechte Lager abgeglittenen Wochenzeitung «Journal du Dimanche» per langem Interview. Dort sagte er unter anderem: «Meine Verurteilung ist eine Verletzung des Rechtsstaats (…) Dieses Urteil ist ebenso ungerecht, wie beleidigend. (…) Ich kämpfe nicht gegen das Webportal ‘Médiapart’, die sind mir egal, ich kämpfe für unseren Rechtsstaat. Dieses Urteil ist noch weitergegangen, als ich mir es vorstellen konnte (…) Ich werde bis zu meinem letzten Atemzug kämpfen und ich werde siegen.»
Doch Sarkozy, von Beruf Rechtsanwalt und ehemaliger Staatspräsident, empört darüber, dass er tatsächlich hinter Gitter muss, obwohl er Berufung eingelegt hat, hätte wissen können, dass in 85 Prozent aller Fälle, in denen in erster Instanz Strafen von fünf Jahren und mehr ausgesprochen werden, exakt dasselbe passiert. Also keine böswillige Sonderbehandlung für den ehemaligen Staatspräsidenten, sondern eher der Alltag in der französischen Rechtsprechung.
Es ist noch nicht so lange her, da galt auch in Frankreich noch, dass ein laufendes Verfahren oder ein Gerichtsurteil nicht öffentlich und schon gar nicht von politisch Verantwortlichen kommentiert wird. Sie haben schlicht und einfach den Mund zu halten, ob es gefällt oder nicht. Jeder Jurastudent lernt das noch heute in den Anfangssemestern. Montesquieu und die Gewaltenteilung – da war doch was, oder?
Man bedenke bei den Äusserungen des verurteilten Nicolas Sarkozy schliesslich auch, dass in der Fünften Republik der Staatspräsident nach Artikel 64 der Verfassung auch Garant der Unabhängigkeit der Justiz ist. Bekanntlich war Sarkozy von 2007 bis 2012 einmal selbst ein solcher Staatspräsident.
Fünf Prozesse am Hals
Angesichts der Empörung weiter Kreise über das Urteil sei nebenbei bemerkt: Nicolas Sarkozy ist bereits in zwei anderen Verfahren verurteilt worden, in einem sogar definitiv wegen Bestechung eines Richters. Dort lag das Strafmass bei drei Jahren, davon zwei auf Bewährung, Sarkozy musste deswegen erst kürzlich einige Monate lang eine elektronische Fussfessel tragen. In einer anderen Affäre hatte er ein Jahr Gefängnis gefasst, davon sechs Monate auf Bewährung, wegen gigantischer Überschreitung der zulässigen Kosten für seinen am Ende verlorenen Wahlkampf im Jahr 2012.
Nun wird so getan, als habe sich die gesamte Justiz und die Richterschaft gegen den ehemaligen Staatspräsidenten verschworen. Doch es waren insgesamt über zwei Dutzend Richter, die sich mit Sarkozys verschiedenen Affären über mehr als ein Jahrzehnt hinweg befassen mussten. Dass sie allesamt böswillige Sarkozy-Hasser und unbelehrbare Linke mit Messern zwischen den Zähnen waren, ist wohl kaum anzunehmen.
Und schliesslich gibt oder gab es insgesamt fünf Prozesse gegen Sarkozy in ebenso vielen Affären. Zwei Verfahren stehen noch aus. Wer soll da wahrhaft glauben, dass es nur an der Bösartigkeit und an Rachegelüsten der französischen Staatsanwälte und Richter liegt, wenn Nicolas Sarkozy seit Jahren aus den Gerichtssälen kaum noch herauskommt. Er, ein Unschuldslamm, die Justiz eine Ansammlung von blutrünstigen Gestalten? Alles ein Komplott? Aus den Federn, aus den Mündern oder von den Handys zahlreicher Politiker und Journalisten in diesem Land tönt es seit drei Tagen tatsächlich so.
Ein Hauch von Trumpismus
Seit Jahren haben Sarkozy und Konsorten und vor allem auch die Ultrarechten um Marine Le Pen bei jeder Gelegenheit, Empörung heischend beim Wahlvolk, die angebliche Laschheit und Nachsicht der französischen Justiz an den Pranger gestellt. Freilich ging es in den Fällen, über die sie sich empörten, immer nur um Deliquenten oder Verbrecher, zumeist aus den Vorstädten oder um Ausländer, die kriminell geworden oder nicht ausgewiesen worden waren. Nun, da diese angeblich so nachsichtige Justiz sie selbst, Sarkozy oder Le Pen trifft, ist sie plötzlich eine politische Justiz, sind Staatsanwälte und Richter eine Ansammlung von unverbesserlichen, bösartigen Linken mit Rachegelüsten.
Eine Konsequenz des verantwortungslosen Getöns gewisser Politiker und der öffentlichen Beschimpfung der Justiz: Die vorsitzende Richterin, die am Donnerstag das Urteil gegen die insgesamt zwölf Angeklagten am Ende dieses Mammutprozesses wegen möglicher Korruption, illegaler Wahlkampffinanzierung und Gründung einer kriminellen Vereinigung vorgetragen und begründet hat, erhielt seitdem gleich mehrere Morddrohungen und steht unter Polizeischutz .
Beachtlich: Justizminister Darmanin, ein ehemaliger Sarkozy-Boy, der zu Macron gewechselt war, hielt es drei Tage lang nicht für nötig, die Justiz gegen all diese Anfeindungen in Schutz zu nehmen. Am Sonntagabend sah sich dann zumindest Präsident Macron zu einer Äusserung veranlasst: Diese Attacken gegen die Justiz und die zuständige Richterin seien absolut skandalös und unzulässig, hiess es aus dem Élyséepalast.
Ein Teil der bürgerlichen Rechten, die gerne als Prediger für die Ordnung auftreten, die Anhänger der ehemaligen Sarkozy-Partei, die sich gerne als Partei der ehrenhaften Bürger darstellt, sehen sich nach dem Urteil plötzlich als Partei der Opfer einer bösartigen Justiz, die ihrem früheren Chef zu Leibe rückt und an den Kragen will.
De facto aber haben die Richter auf knapp 400 Seiten eine extrem differenzierte Begründung ihres Urteils geliefert und alle Anklagepunkte der Staatsanwaltschaft, bei denen sie sich nicht zu 300 Prozent sicher waren, nicht als Grund für die Verurteilung herangezogen – so den Vorwurf der Korruption oder der illegalen Wahlkampffinanzierung.
Alles in allem weht mit den heftigen Angriffen auf die Justiz nach dem Urteil gegen Ex-Präsident Sarkozy fast so etwas wie ein Hauch von Trumpismus durch das Hexagon. Man darf hoffen, dass die französische Justiz standhält.