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Kommentar 21

Querschuss zur Unzeit

12. Juni 2025
Urs Meier
Ralf Mützenich
Rolf Mützenich, einer der Exponenten der «Manifest»-Gruppe der SPD, beim Rücktritt als Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion am 25. März 2025. Er forderte schon hier «diplomatische Gespräche mit Russland». (Keystone/DPA, Kay Nietfeld)

Mit einem «Manifest» fordert eine Gruppe prominenter SPD-Politiker gegenüber Russland eine auf Dialog und Zusammenarbeit beruhende Friedenspolitik statt der «militärischen Konfrontationsstrategie». Die Aufrüstung in Europa bezeichnen sie als «irrational». 

Bei den deutschen Sozialdemokraten rumort es. Zwar ist es einstweilen eine überschaubare Gruppe, die den Konsens in der Koalition aufkündigen will. Die Exponenten der Revolte sind der frühere Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich, der Bundestags-Abgeordnete Ralf Stegner und der einstige Ko-Parteichef Norbert Walter-Borjans. Ihr Vorstoss zielt ins Vorfeld eines wichtigen Nato-Gipfels und eines SPD-Parteitags.

Auch wenn Mützenich und seine Mitstreiter zurzeit nur für einen eher kleinen Teil der SPD sprechen, machen sie mit ihrer Aktion eine Spannung in der Partei deutlich, die durchaus das Potenzial hat, die Koalition ins Wanken zu bringen und in Deutschland eine Regierungskrise heraufzubeschwören. Sollte dies eintreten, käme es zu Neuwahlen, welche die AfD noch weiter stärken und eine Regierungsbildung ohne Beteiligung der Rechtsextremen äusserst schwierig machen würden. Und selbst wenn es SPD-Chef Lars Klingbeil gelingt, den politischen Super-GAU abzuwenden, wird das Manifest die Position von Kanzler Merz gegenüber Putin schwächen. Der «Spiegel» titelt in seinem heutigen Newsletter: «Wie ernst kann Putin diese Bundesregierung nehmen?»

Der Vorstoss der SPD-Dissidenten dürfte nämlich in der deutschen Öffentlichkeit und besonders in der Partei auf einige Sympathien stossen. Die Erfahrung zweier Weltkriege hat sich im geistigen Erbgut von Teilen der Gesellschaft niedergeschlagen als pazifistisches Dogma, als Misstrauen gegen alles Militärische, aber auch als Hang zu politischem Moralismus und oft realitätsferner Gesinnungsethik. Hinzu kommt ein Fremdeln mit der Westbindung der Bundesrepublik und eine verbreitete Aversion gegen die Nato und insbesondere die USA (und zwar lange vor Trump).

Parteiexponenten wie Mützenich, Stegner und Walter-Borjans beanspruchen, für die «Friedens-SPD» zu stehen. Deren Rhetorik unterscheidet sich wenig von plakativen Friedensforderungen der Linken, des BSW und sogar auch der AfD. Obschon etwa Stegner das jeweils entrüstet von sich weist: Seine apodiktischen Forderungen, mit Putin zu verhandeln und auf massive Aufrüstung zu verzichten, bringen ihn und seine Gesinnungsgenossen immer wieder in die Nähe der Haltungen ganz links und ganz rechts.

Gemeinsames Kennzeichen dieser Positionen ist eine Verweigerung der gebotenen Eindeutigkeit. Man konzediert allenfalls, dass Russland der Angreifer ist und fortlaufend Kriegsverbrechen begeht, schiebt aber stets mehrere grosse «Aber» hinterher: Aber die USA sind nicht besser, aber die Nato hat Russland provoziert, aber die Sanktionen schaden ja mehr uns als den Russen. Es wird der Eindruck einer moralischen Äquidistanz gegenüber Angreifer und Angegriffenem erweckt, der allerdings in groteskem Gegensatz zu den brutalen Tatsachen steht. Russland intensiviert permanent seine Angriffe auf Zivilbevölkerung und zivile Infrastrukturen in der Ukraine. Das wird dann in irritierender Weise so verurteilt, also ob daraus keine Konsequenzen zu ziehen wären.

Vor dem Hintergrund russischer Aggression und Expansion die europäischen Anstrengungen zur Aufrüstung «irrational» zu nennen, setzt einen Beobachtungsstandpunkt voraus, der sehr hoch über dem aktuellen Geschehen, irgendwo im ganz Grundsätzlichen angesiedelt ist. Diese distanzierte, aus moralischer Überlegenheit urteilende Haltung lässt die brutale Wirklichkeit nicht an sich herankommen. Ihr Mitgefühl mit dem geschundenen ukrainischen Volk bleibt eine halbe Sache, weil es eine klare Parteinahme und Unterstützung verweigert.

Was Russland seit 2014 und dann vor allem 2022 in der Ukraine anrichtet, hat die Welt, in der wir in Europa leben und Politik machen, verändert. Man kann über Krieg und Frieden nicht mehr so reden, wie das ab 1989 höchstens 25 Jahre lang möglich war. Zwar hat Kanzler Scholz 2022 die «Zeitenwende» ausgerufen – und daraus (zögernd) Konsequenzen gezogen. Seine Partei steht seither im Zwiespalt zwischen ängstlicher Vorsicht und entschlossenem Handeln. In die jetzige Koalition ist sie dann aber mit gestärkter Entschlossenheit eingetreten. 

Nun jedoch ist in der SPD der Machtkampf eröffnet. Die selbsternannte Friedensfraktion mobilisiert gegen den neuen starken Mann, Lars Klingbeil. Mit ihrem Querschuss brechen die Manifest-Leute einen riskanten innerparteilichen Konflikt vom Zaun, der ganz Europa betreffen kann.

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