
Amerikas Angriff mit schweren Bomben und Marschflugkörpern auf iranische Atomanlagen wirft die Frage auf, ob das autoritäre Regime in Teheran noch stark genug für eine Reaktion ist. Unklar bleibt, ob und wie lange Waffengewalt das Atomprogramm der Islamischen Republik stoppen kann. Eher einig sind sich Einschätzungen, wonach ein Regimewechsel in Teheran wohl unmöglich ist – Vorstellungen Israels zum Trotz.
Auf die Frage, was Amerikas Luftschläge auf drei iranische Atomanlagen in der Nacht auf Sonntag bedeuteten, antwortete Fawas Gerges, ein profunder Kenner des Nahen Ostens der London School of Economics, in Fernsehinterviews, er wisse nur, dass er nichts wisse. Die Einschätzung erinnert an den früheren US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, der 2002 auf die Frage nach Massenvernichtungswaffen des Irak von «known unknowns» sprach: von bekannten Unbekannten.
Offene Fragen heute: Wie wirkungsvoll waren beim Luftangriff auf Fordo die bunkerbrechenden Bomben des Typs GBU-57 der US-Air Force, die Donald Trump zufolge die Urananreicherung des Iran vollständig zerstört haben? Wie reagiert das geschwächte Regime in Teheran auf Amerikas Eskalation? Begnügt sich die Islamische Republik mit Gegenschlägen auf Israel oder greift sie auch amerikanische Militärbasen in der Region an, wo 40’000 Angehörige der US-Armee stationiert sind?
Gefährdete Energieversorgung
Wird das Regime in Teheran allenfalls versuchen, die Strasse von Hormuz und mit Hilfe der Houthis im Jemen das Tor der Tränen im Süden der arabischen Halbinsel für den Schiffsverkehr unpassierbar zu machen und so die globale Energieversorgung sabotieren? Durch die Meerenge von Hormuz wird ein Fünftel des weltweit geförderten Erdöls verschifft, einschliesslich jenes aus iranischer Produktion.
Was die Effizienz der von Donald Trump als überwältigenden Erfolg gepriesenen US-Luftschläge betrifft, hält Fawas Gerges es für möglich, wenn nicht für wahrscheinlich, dass die Iraner das angereicherte Uran aus den attackierten Atomanlagen zuvor bereits entfernt und anderswo deponiert haben. Gleichzeitig befürchtet der Politologe, dass nach Amerikas Intervention an der Seite Israels für das Regime in Teheran oder allfällige Nachfolgeregierungen der Moment gekommen sein könnte, erst recht eine Atombombe zu bauen, um wie Nordkorea unangreifbar zu werden.
Alarmistische Einschätzung
Dabei hat Ayatollah Ali Khamenei, der geistliche Führer des Iran, 2003 eine Fatwa erlassen, die es der Islamischen Republik verbietet, Nuklearwaffen zu entwickeln. Ein hochrangiger amerikanischer Geheimdienstler ist der Ansicht, Khameneis Verbot gelte nach wie vor. Der Offizielle hält Israels Einschätzung für alarmistisch, der Iran sei nur noch wenige Wochen davon entfernt, eine Bombe zu bauen. Als gesichert gilt, dass der Vorrat des Iran an auf 60 Prozent angereichertem Uran für die Region ein Risiko darstellt.
Nicht zu vergessen in diesem Kontext der Umstand, dass Israel Atombomben besitzt, auch wenn es deren Existenz offiziell nicht zugibt. Israel hat, anders als der Iran, den Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen nicht unterzeichnet und lässt auch keine Inspektoren der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) ins Land.
Widersprüchliches Völkerrecht
Stellt sich auch die Frage, ob Israels Attacke gegen iranische Atomanlagen und Militärinstallationen völkerrechtlich legal ist und ob die USA, nachdem sie zugunsten des Angreifers interveniert haben, nicht auch internationales Recht verletzen. Die Meinungen unter Experten sind geteilt: Die einen argumentieren, dass es wahrscheinlich illegal sei, wenn Israel präventiv Luftangriffe auf den Iran fliege, um eine mögliche Attacke der Islamischen Republik zu verhindern. Das würde auch für die Unterstützung der USA gelten.
Die anderen meinen, Israels Militäroperation «Rising Lion» sei lediglich die Fortsetzung eines Konflikts, der am 7. Oktober 2023 begonnen hat, als nach dem Massaker der Hamas iranische Stellvertreter im Libanon und im Jemen das Land angriffen. Das israelische Unterfangen sei wie der Krieg in Gaza lediglich Ausdruck legitimer Selbstverteidigung. Wobei eine solche internationalem Recht zufolge verhältnismässig ausfallen und sich auf das Notwendige beschränken sollte.
Instinkt oder Kalkül?
Zumindest bis vor Kurzem glaubten Amerikas Geheimdienste, dass sich die Islamische Republik noch nicht entschlossen habe, eine Atombombe zu bauen. Dies, obwohl der Iran einen genügend grossen Vorrat angereicherten Urans besitzt, um einen nuklearen Sprengkopf herzustellen. Die Einschätzung hatte sich nicht verändert, seit Tulsi Gabbard, die Direktorin der nationalen Geheimdienste, im März vor dem US-Kongress in dieser Sache aussagte – zum Ärger ihres Chefs im Weissen Haus.
«Ich kümmere mich nicht darum, was sie gesagt hat», sagte Donald Trump gegenüber den Medien: «Ich glaube, sie (die Iraner) sind sehr nahe daran, eine (Atombombe) zu haben.» Der Präsident liess noch am vergangenen Donnerstag mitteilen, er werde sich in den kommenden zwei Wochen entscheiden, ob die USA den Israelis zu Hilfe eilen und die Atomanlage in Fordo mit schweren Waffen bombardieren wollten. Noch ist nicht bekannt, was Trump am Wochenende zu einem abrupten Meinungswechsel veranlasst hat: pures Bauchgefühl oder zynisches Kalkül als Teil eines abgekarteten Spiels mit dem israelischen Premier, wie das die Iraner sehen.
Zweifel in Washington DC
Zwar hiess es in Washington DC, Donald Trump, der noch an Verhandlungen mit dem Iran glaube, sei nicht davon überzeugt gewesen, dass Amerikas 13,6 Tonnen schwere «bunker busters» Fordos 90 Meter tief in den Berg gebaute Atomanlage tatsächlich zerstören könnten. Die GBU-57 war zuvor noch nie eingesetzt worden, ihre Wirksamkeit also unbewiesen. Auch wurde das Argument laut, ein erfolgreicher Luftangriff könne das iranische Atomprogramm zwar um Jahre zurückwerfen, nicht aber völlig stoppen.
Laut Informationen des israelischen Auslandgeheimdienstes Mossad hiess es einmal, der Iran hätte innert 15 Tagen eine Atombombe bauen können – eine Prognose, der einige Offizielle in Washington DC Glauben schenkten, andere Regierungsvertreter aber misstrauten. Letztere gingen davon aus, dass die Islamische Republik noch Monate oder sogar Jahre von einer nuklearen Waffe entfernt war.
Benjamin Netanjahus Einfluss
Diese Stimmen glaubten, Israels Einschätzung sei durch die Haltung Benjamin Netanjahus beeinflusst, der Amerika im Krieg gegen den Iran um jeden Preis auf seine Seite ziehen wollte. An vollmundigen Ermutigungen des israelischen Premiers an die Adresse des Weissen Hauses, eine diplomatische Lösung zu vergessen und Israel militärisch zu unterstützen, hat es jedenfalls nicht gemangelt: «Ich verstehe ‘Amerika zuerst’», sagte er in einem Interview mit dem US-Fernsehsender ABC: «‘Amerika tot’ verstehe ich nicht.»
Zwar hat Benjamin Netanjahu dementiert, dass ein Regimewechsel in Teheran ein Kriegsziel seiner Regierung sei. Ein Sturz des iranischen Machtapparats, sagte er, könne aber die Folge des israelischen Angriffs sein – eine Vorstellung, die im Gegensatz zum französischen Präsidenten Emanuel Macron auch der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz hegt. Während der Franzose jüngst am G7-Gipfel in Kanada einen mit militärischer Gewalt herbeigeführten Regimewechsel in Teheran als Riesenfehler bezeichnete, sprach der Deutsche von einem im Innern wie im Äussern terroristischen Regime: «Es wäre gut, wenn dieses Regime zu Ende käme.»
«Easy say, hard do»
Israels Premier hat auch bemerkt, eine Ermordung des geistlichen Führers Ayatollah Ali Khamenei würde den Konflikt nicht eskalieren lassen, ihn aber wohl beenden. Den Fall der Sowjetunion oder den Sturz des Regimes von Bashar al-Assad in Syrien habe seinerzeit auch niemand vorausgesehen.
In Erinnerung bleibt jedoch, was der amerikanische General Norman Schwarzkopf 1991 vor Ausbruch des Golfkrieges auf die Frage eines TV-Reporters antwortete, ob er den irakischen Präsidenten Saddam Hussein stürzen wolle: «Easy say, hard do» – leicht gesagt, schwierig getan. Ein Regimewechsel in Teheran ist indes eine Option, über die selbst Ayatollah Ali Khamenei, der geistliche Führer der Islamischen Republik, in seinem Bunker nachzudenken scheint. Khamenei kommuniziert mit der Aussenwelt nicht mehr elektronisch, sondern nur noch über einen Vertrauten, um seinen Aufenthaltsort nicht zu verraten.
Nicht nur hat der geistliche Führer eine Reihe möglicher Nachfolger innerhalb der militärischen Führung ernannt, sollte Israel weitere hochrangige Offiziere töten: Der 86-Jährige hat iranischen Quellen zufolge drei führende Geistliche benannt, die auf ihn folgen könnten, sollte er getötet werden. Was Khamenei zum Märtyrer machen würde.
Eine stolze Nation
Im Regelfall würde es in der Islamischen Republik Monate dauern, bis der Expertenrat, der den geistlichen Führer wählt, einen neuen obersten Mann des Landes kürt, der als Kommandant der Streitkräfte sowie als Chef von Exekutive, Legislative und Judikative über eine enorme Machtfülle verfügt. Nicht zuletzt ist er auch der Vali Faqi, der oberste Hüter des schiitischen Glaubens.
Anders als 2003 vor Amerikas Krieg gegen den Irak gibt es in westlichen Hauptstädten keine Vorstellung davon, was nach einem Regimewechsel in Teheran, «am Tag danach», geschehen könnte oder passieren müsste. Der Iran ist kein künstliches Gebilde, dessen Grenzen einst koloniale Mächte gezogen haben, sondern eine auf eine lange Geschichte zurückblickende Nation mit 92 Millionen Menschen diverser Ethnien, verschiedener Religionen und unterschiedlicher politischen Vorstellungen.
Die Reihen geschlossen
Sollte das Regime in Teheran stürzen, wäre ein Auseinanderbrechen des Landes, in welchem Perser lediglich rund die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, eine mögliche Konsequenz. Eine Regierung oder gut organisierte Opposition in Wartestellung gibt es keine, denn politische Parteien sind verboten, viele profilierte Köpfe entweder im Gefängnis, zu alt oder im Exil und Mohammed Reza Pahlavi, der 64-jährige Sohn des 1979 gestützten Schahs, keine valable Option.
Laut Beobachtern ist die Eliminierung ungeliebter iranischer Militärführer, die bei der Landesverteidigung versagt haben, innerhalb der Bevölkerung zwar auf eine gewisse Zustimmung gestossen. Doch angesichts des Ausmasses der Zerstörung und Hunderter ziviler Opfer hat sich im Land nationale Solidarität breitgemacht. «Ich hasse Khameneis Regime», sagt der im Exil lebende Autor Arash Azizi: «Ich liebe aber den Iran noch mehr.»
Es stimme, schreibt Azizi, dass Khameneis Regime Dissidenten ins Gefängnis werfe und töte, die freie Meinungsäusserung unterdrücke, die Kultur zensiere und eine desaströse Aussenpolitik verfolge, die zum gegenwärtigen Schlamassel geführt hat: «Doch statt Israels Militärschlag zu feiern, packen mich Angst und Schrecken, was die Zukunft meines Landes betrifft.» Das Fazit des Autors: «Die Vorstellung, dass dieser Konflikt zu einem Volksaufstand führen wird, der das Regime stürzt, ist pure Phantasie.»