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Kommentar 21

Merkels klare Worte

31. Mai 2019
Stephan Wehowsky
In Ihrer Rede an der Harvard Universität hat die Kanzlerin Massstäbe für klare Worte gesetzt. Das wurde auch höchste Zeit.

Angela Merkel hat etwa 35 Minuten lang gesprochen und wurde von den versammelten Akademikern 31 Mal mit Beifall bedacht. Manchmal sprangen ihre Zuhörer vor Begeisterung von ihren Plätzen. Da sprach aus der Kanzlerin etwas, was man im politischen Alltag heutzutage nicht mehr findet: Geist.

Ohne Trump zu nennen, hat sie ihn als Folie für das benutzt, worauf es in der Politik ankommt. Dazu gehören ein gewissenhafter Umgang mit der Wahrheit oder die Einsicht, dass ein stures Pochen auf nationale Interessen nicht im mindesten der Komplexität unserer weltweit vernetzten Welt entspricht. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, müsse sich ein Politiker Zeit zum Denken nehmen und dürfe nicht im Minutentakt Kurzmitteilungen in alle Welt senden.

Das alles ist gut und recht, aber Merkel hat bei Ihrem Auftritt noch viel wichtigere Massstäbe in Erinnerung gerufen: Es genügt nicht, dass Politiker sich nur insoweit äussern, wie sie unangreifbar bleiben. Sie müssen den Mut haben, sich zu Idealen zu bekennen und damit auch ihr Scheitern zu riskieren. Man möchte von Politikern klare Ansagen und klare Positionen hören und nicht schon in jeder Formulierung merken, dass jedes Wort bereits vorab von den zuständigen Parteigremien abgesegnet worden ist. Mut zum Geist heisst auch Mut zum Scheitern. Wer nur nett sein will, hat auf nichts gesetzt. Man kann das auch Belanglosigkeit nennen.

Merkels CDU ist bei den Europawahlen arg gebeutelt worden, und kurz davor hat ein junger Youtuber ihre Partei nach allen Regeln der Kunst vorgeführt. Ursprünglich hat man in der Parteizentrale geglaubt, es genüge, ebenfalls ein Video auf Youtube zu stellen. In letzter Sekunde liess man davon ab und ersparte sich eine zusätzliche Blamage. Die Jungen wollen nicht, dass die Alten auf jung machen. Sie wollen aber von den Alten klare Ansagen und klare Profile.

Dabei interessiert auch nicht so sehr die Frage, ob in dem Chor noch immer zu wenige Frauen mitsingen. Es geht um die Frage nach Köpfen und ihren Profilen. Welcher Politiker und welche Politikerin steht wofür? Kann das ohne Geschwafel und ohne Wenn und Aber erklärt werden? Spürt man Geist? Man kann nur hoffen, dass Merkel die Massstäbe, an die sie in Harvard erinnert hat, auch in Deutschland anmahnt – besonders in ihrer Nachfolgedebatte.

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