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Zwischenruf

«Lehnt euch zurück und tut absolut nichts»

24. Juni 2025
Ignaz Staub
Ignaz Staub
The Onion
The Onion, Frontseite der Printausgabe vom 24. Juni 2025

«The Onion», Amerikas satirische Monatszeitung, hat in der Sonntagsausgabe der «New York Times» eine ganzseitige Anzeige geschaltet, in der sich die Leitartikler des Blattes über die Feigheit des US-Kongresses gegenüber Donald Trump lustig machen. Der Titel des sarkastischen Meinungsbeitrags: «Kongress, jetzt mehr als je zuvor braucht unsere Nation eure Feigheit.»

Die Anzeige in der «Times» stand einem aktuellen Artikel gegenüber, der berichtete, die USA hätten sich Israels Krieg gegen den Iran angeschlossen und dort tags zuvor drei Nuklearinstallationen bombardiert. «The Onion», die sich «Amerikas beste Nachrichtenquelle» nennt, publizierte den fiktiven Leitartikel auch gedruckt und sandte ihn allen 535 Mitgliedern des US-Kongresses zu.

«Wir stehen kurz vor dem Abgrund und drohen in einen autoritären Staat abzurutschen», argumentiert das Editorial Board der in Chicago erscheinenden Zeitung: «Deshalb fordert The Onion heute unsere Gesetzgeberinnen und Gesetzgeber auf, sich zurückzulehnen und absolut nichts zu tun.» Das Motto des erlauchten Meinungsgremiums: «Tu stultus es» – Du bist ein Narr.

Und weiter heisst es da: «Jetzt ist nicht die Zeit für Mut und Tapferkeit! Jetzt ist die Zeit, sich selbst zu schützen und die eigenen Taschen zu füllen. Jetzt ist nicht die Zeit, auf die idiotischen Wähler zu hören, die endlos davon schwadronieren, was mit ihrer kostbaren Demokratie geschieht. Jetzt ist die Zeit, sich auf alle Viere zu begeben und zu kriechen.»

Die vereinte Hilflosigkeit

Der satirische Leitartikel fährt fort: «Aber was kann ich, ein Feigling, allein schon ausrichten? fragen Sie sich vielleicht.» Und weiter: «Das ist wahr. Als Einzelperson wird Ihre Hilflosigkeit wenig bewirken. Aber wenn Sie sich mit den feigsten Senatoren und Abgeordneten im Kapitol zusammentun, wird die Wirkung immens sein: Die Korruption, die Missachtung der Rechtsstaatlichkeit, die Deportation von Einwohnern in ausländische Gulags, die Angriffe auf Richter, die Zensur und Einschüchterung der Meinungsfreiheit, die Bestrafung jeglicher Form von Dissens – all das kann noch viel schlimmer werden, wenn Sie sich einfach nur den Kopf in den Händen vergraben, ins Bett machen und sich verkriechen in der Hoffnung, vom Zorn des Weissen Hauses verschont zu bleiben.»

Und «The Onion» rät den Politikerinnen und Politikern in Washington DC: «Es wird nicht leicht sein, aber Sie müssen tief in sich gehen und jedes Quäntchen Feigheit aufbringen, das Sie haben. Dann beugen Sie sich vor und lecken die Stiefel des Präsidenten. Warum? Weil letztendlich nichts davon von Bedeutung ist. Demokratie? Gleichheit? Die Verfassung der Vereinigten Staaten? Das sind leere Phrasen. Sie bedeuten nichts. Aber Geld – köstliches Geld? Das ist solide. Man kann es in den Händen halten. Das wissen Sie. Das wissen wir auch. Nur unsere kindischen Bürgerinnen und Bürger verstehen nicht, wie viel Sie gewinnen können, wenn Sie den Ring küssen.»

«Das Himmler Institut»

Neben dem Leitartikel bringt die gedruckte Ausgabe auch Beiträge unter Titeln wie «Kongress verabschiedet einen leeren Gesetzesentwurf, damit Trump ins Gesetz reinschrieben kann, was immer er will». Oder: «Die Führer der Demokraten stehen ganz still und hoffen, dass niemand sie bemerkt». Und auch die Schlagzeile: «Denkfabrik ‘Das Himmler Institut’ versichert der Nation, dass all das (Donald Trumps Politik) legal ist».

Die ins US-Capitol verschickte Zeitung begleitete ein Brief von Bryce P. Tetraeder, dem fiktiven Verlagsboss des «Onion», der die Bedeutung des Leitartikels erläutert: «Als Wirtschaftsmagnat empfinde ich den Niedergang dieser Nation in Korruption und Tyrannei nicht nur als Balsam für meine Seele, sondern auch als enormen Gewinn für mein Geschäftsergebnis. Wir stehen an der Schwelle zu einer neuen Wirtschaftsordnung, in der wohlhabende Männer wie ich ihren Steuersatz aus einem Dropdown-Menü auswählen können. Das ist eine Realität, die ich mir vor wenigen Monaten noch kaum vorstellen konnte.» 

Eine eher einsame Stimme

Und direkt an die Adresse der Leute im Senat und Abgeordnetenhaus gewandt, schrieb Mr. Tetraeder: «Doch jedem Kongressmitglied eine Kopie unseres viel gepriesenen Berichts zu schicken, ist mehr als nur eine symbolische Geste des Dankes dafür, dass Sie eine Zukunft geschaffen haben, in der Sprösslinge wie ich unbegrenzten Einfluss auf die Regierung und ein Vetorecht über Fahrradwege haben. Angesichts der rauchenden Trümmer unserer demokratischen Regierung würden wir bei Global Tetrahedron LLC unseren Aktionären, ihren Nachkommen und den Vollblutpferden ihrer Nachkommen einen schlechten Dienst erweisen, wenn wir diese Gelegenheit nicht nutzen würden, um so viel Macht und Geld wie möglich an uns zu reissen, solange es noch geht.»

«The Onion», 1988 von Studenten der University of Wisconsin in Madison gegründet und zwischen 2013 und 2024 nur noch digital erschienen, weiss aus Erfahrung, dass das Leben mitunter die Satire imitiert. 2003 war die Zeitung in den USA eine der wenigen Publikationen, die konsequent gegen den Krieg im Irak anschrieben – und gegen die erlogenen Begründungen, unter denen Saddam Husseins Regime und dessen angebliche Massenvernichtungswaffen attackiert wurden.

Lieblingsziel CNN

Eine Schlagzeile von damals: «Bush: Unser langer nationaler Alptraum des Friedens und des Wohlstands ist endlich vorüber». Oder ein anderer Titel: «Neue Bombe kann auf einen Schlag 1’500 neue Terroristen kreieren». Ein Lieblingsziel der Satire in den 2000er-Jahren war CNN, dessen atemlose Kriegsberichterstattung der 2007 gegründete Fernsehkanal «Onion News Network» (ONN) persiflierte. Chefredaktor Chad Nackers, seit 28 Jahren beim Blatt, erinnert sich, dass CNN im Vorfeld der Kriege im Irak und in Afghanistan «vor Begeisterung sabberte» und «es kaum erwarten konnte, die fliegenden Raketen zu zeigen».

Heute ist in Amerika kein Medium und keine journalistische Rubrik vor einer Parodie des «Onion» sicher, seien es Leitartikel, Kolumnen, Interviews, Grafiken, Karikaturen, Pressebilder oder Leser-Wettbewerbe. «So kritisch The Onion auch gegenüber Amerika sein mag – und das zu Recht –, sollte man das nicht begrüssen?», sagt der Chefredaktor: «Es ist eine erstaunliche Freiheit, sein Land kritisieren zu können, wenn es etwas falsch macht, und zu versuchen, es auf den richtigen Kurs zu bringen. Ich denke, für die Autoren von The Onion liegt darin ihr Patriotismus.»

Ohne Einfluss der Bosse

In diesen Tagen, da sich der Fernsehsender Fox News und dessen Trump-treue Moderatoren anstelle von CNN als Kriegstreiber profilieren, hat The Onion nach Meinung der Journalistin Maria Kabbas erneut die Möglichkeit, unabhängig und – anders als andere Medien – ohne den Einfluss von Unternehmensbossen in der Form von Satire die Wahrheit über das aktuelle Geschehen zu berichten. Auf jeden Fall trifft eine seinerzeit vor George W. Bushs Krieg gegen Saddam Hussein erschienene Schlagzeile der Satire-Zeitung auch auf Amerikas Intervention im Iran zu: «Dieser Krieg wird die gesamte Nahostregion destabilisieren und eine globale Schockwelle des Antiamerikanismus auslösen – nein, wird er nicht.»

Quellen: The Onion, CNN, The Handbasket, Wikipedia

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