Alljährlich regt die Serpentine Gallery in London mit einem temporären Pavillon die aktuelle Architekturdiskussion an. Dieses Jahr ging die Einladung an die Architektin Marina Tabassum (geb. 1968) aus Bangladesh, die eine durchlässige Halle realisierte.
Gehörten die beteiligten Entwerfer zu Beginn zur ersten Garnitur der Szene, werden seit einigen Jahren kaum bekannte Gestalter und Gestalterinnen beauftragt, denen ein Potenzial für innovative Ideen zugeschrieben wird. Für die Wahl von Marina Tabassum war eine kleine Gruppe verantwortlich, u. a. der Schweizer Kurator Hans Ulrich Obrist, der seit 2016 als künstlerischer Leiter der Serpentine Gallery amtet.
Die 2012 eröffnete Bait Ur Rouf Moschee in einem Aussenbezirk von Dhaka gilt als Hauptwerk von Tabassum. Das Kleinod aus Klinker verrät augenscheinlich den Einfluss von Louis Kahn, der mit dem monumentalen, 1982 vollendeten Parlamentsgebäude in Dhaka die Moderne in Bangladesh eingeläutet hatte. Der Londoner Pavillon ist nun das erste Werk, das Tabassum ausserhalb ihrer Heimat verwirklicht.
Wie alle anderen 23 errichteten Pavillons im Hyde Park besteht auch der diesjährige nur für einige Monate, was Tabassum angeregt hat, gerade das Flüchtige dieser Art von Architektur zu thematisieren. Der Pavillon wird als «A Capsule in Time» betitelt, als Zeitkapsel, die nur für eine kurze Zeit materiell existiert, um danach höchstens in der Erinnerung oder als Fotodokument zu existieren.
Diese Haltung ist geprägt durch die Erfahrungen beim Bauen in Bangladesh. Das Land, weitgehend flach, verändert sich durch die gewaltigen Flussläufe ständig. Kein Gebäude an den unzähligen Ufern ist vor Zerstörung sicher. Ein wichtiges Projekt der Architektin betrifft ein mit einfachsten Mitteln konstruiertes und vor allem erschwingliches Minimalhaus, das ohne grossen Aufwand bei Gefahr abgebaut und an einem sicheren Ort wieder aufgestellt werden kann.
Eine weitere Referenz ist die in Bangladesh häufig verwendete üppig dekorierte textile Überdachung von Anlässen, Shamiyana genannt. Schnell aufgestellt und mobil. Dass der Serpentine Pavillon wieder verschwindet, ist für Tabassum nicht mit Wehmut verbunden, im Gegenteil, es ist ein Eingeständnis, dass alles vergänglich ist.
Die Grossform des Pavillons ist wohltuend klar und deutlich. Insgesamt vier Teile konturieren eine Halle, die jedoch durchlässig ist, einmal durch eine Lücke, einmal durch ein bewegliches Element. In der Mitte steht ein Ginkgo-Baum, ein biologisch altertümliches Gewächs, das mit seiner langen Geschichte als Art die zeitliche Beschränktheit jedes Bauwerkes bezeugt. Die zwei mittleren Elemente – bestehend aus Bögen, die direkt aus dem Boden wachsen – werden an beiden Enden von konchenartigen (muschelförmigen) Abschlüssen eingefasst. Ausgefacht wird das Holzskelett mit opaken, im Zickzackmuster gefalteten Kunststoffplatten in dezent bräunlich-gelblichen Tönen. Wie bei den vergangenen Pavillons waren zwei Anforderungen zu beachten: Es muss eine Bar eingebaut werden und es muss genügend Platz für kulturelle Anlässe vorhanden sein.
Für Tabassum soll Architektur eine dienende Funktion haben, so auch der Serpentine Pavillon. Dieser soll all die Zusammenkünfte ummanteln, die von den daran beteiligten Personen – so ihre Hoffnung – als friedliche Begegnungen erfahren werden. Ein Kontrapunkt zu den belastenden Nachrichten aus Krisenregionen, zu denen auch Bangladesh zu zählen ist.
Pavillon bis Oktober zugänglich.
Publikation:
Chris Bayley (Hg.): Maria Tabassum Architects. A Capsule in Time. Serpentine Pavilion 2025. Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, Köln 2025