
Steht in Portugal zum dritten Mal seit 2022 eine vorzeitige Parlamentswahl bevor? Regierungschef Montenegro ist wegen eines Unternehmens, das seiner Familie gehört, und möglichen Interessenkonflikten, die sich daraus ergeben könnten, unter Feuer geraten. Auf einer Flucht nach vorn hat er die Vertrauensfrage gestellt. Am kommenden Dienstag hat das Parlament das Wort – und schon im Mai voraussichtlich wieder das Stimmvolk.
Zwei Misstrauensanträge hat Luís Montenegro, der seit April 2024 eine bürgerliche Minderheitsregierung führt, in den letzten zwei Wochen schon überstanden. Rein rechnerisch wäre sein Sturz einfach gewesen, da sich seine Exekutive im Parlament nur auf 80 der 230 Abgeordneten stützen kann. Aber dafür hätten die zwei grössten Oppositionsparteien – das sind der Partido Socialista (PS) mit 78 und die rechtsextreme Partei Chega mit 49 Mandaten – am selben Strang ziehen müssen, doch da funktionieren wechselseitige Brandmauern. Nun stellt Montenegro selbst jedoch die Vertrauensfrage und nimmt seinen wahrscheinlichen Sturz in Kauf.
Neuwahl als «notwendiges Übel»
Schon im Februar war ein Misstrauensantrag von Chega gescheitert, an diesem Mittwoch hatte auch einer der Kommunisten keinen Erfolg. Aber das ist für Montenegro nicht genug. Er will von den grössten Parteien der Opposition eine Garantie dafür, dass sie seine Regierung ihr Programm umsetzen lassen. Sollte diese Politkrise keine überraschende Wende nehmen, so gilt es als wahrscheinlich, dass Montenegro die für nächsten Dienstag anberaumte Abstimmung über die Vertrauensfrage verliert. Für diesen Fall hat Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa schon wissen lassen, dass Neuwahlen eventuell schon am 11. oder 18. Mai stattfinden könnten. Ehe er das Parlament auflöst, muss er lediglich noch die darin vertretenen Parteien und den Staatsrat, ein Organ zu seiner Beratung ohne bindendes Votum, anhören.
Die Vorziehung der Wahl, die normalerweise erst 2028 fällig gewesen wäre, sei «nicht wünschenswert», sagte Montenegro am Mittwoch, aber «ein notwendiges Übel». Was die Opposition störe, seien die Erfolge seiner Regierung, meinte er, womit er nach Ansicht der Opposition unter dem Druck einer Affäre um ein Unternehmen seiner Familie nach vorn flüchtete. Seit Mitte Februar steht der 52-jährige Ministerpräsident als Mitbegründer und früherer Gesellschafter des Unternehmens Spinumviva wegen allfälliger Interessenskonflikte in der Schusslinie.
Diese Gesellschaft erbringt vor allem unternehmerische Dienstleistungen, sie kann laut Satzung aber auch Immobiliengeschäfte tätigen. Und da kam zunächst der Verdacht auf, dass sie von einer kürzlich erfolgten Änderung eines Gesetzes über die Nutzung von Böden profitieren soll, das die Umwandlung von unbebauten Grundstücken in Bauland für Wohnungen erleichtern soll. Aber der Wirbel um diese Frage klang rasch ab, da diese für das Unternehmen offenbar nicht sehr wichtig waren.
Pauschalzahlungen eines Casino-Konzessionärs
Um den Verdacht von Interessenskonflikten auszuräumen, gab Montenegro derweil bekannt, dass er die Gesellschaft 2021 zwar gemeinsam mit seiner Frau und den zwei gemeinsamen Söhnen gegründet habe. Als er Mitte 2022 den Vorsitz des bürgerlichen Partido Social Democrata (PSD) übernahm, habe er seinen Gesellschafteranteil an seine Frau abgegeben. Schwer tat sich Montenegro indes mit der Beantwortung der Frage, wer die Kunden des Unternehmens seien.
Es stellte sich unter anderem heraus, dass die Gesellschaft Solverde, die als Betreiberin von Spielcasinos auf Konzessionen angewiesen ist und auch Hotels betreibt, an Spinumviva eine monatliche Pauschale von 4500 Euro zahlte. Montenegro geriet zunehmend in die Enge. Am Abend des 1. März hielt er eine Fernsehansprache. Er betonte, von Mitgliedern des Kabinetts flankiert, dass er exklusiv als Regierungschef tätig sei und dass seine Frau ihre Anteile am Unternehmen an die Söhne abgeben werde. Er zählte dann Erfolge seiner Regierung auf, um sich als Opfer zu geben und zu sagen, dass er die Vertrauensfrage stellen könne.
Prompt stellten die Kommunisten ihren Misstrauensantrag, der an der Stimmenthaltung von Sozialisten und von Chega scheiterte. Anstatt die Regierung sofort zu stürzen, forderten die Sozialisten eine parlamentarische Untersuchung, ohne einen späteren Misstrauensantrag auszuschliessen. Es scheint indes, als wollte Montenegro lieber stürzen als schmoren.
Ein Superwahljahr
Wie die Wahl ausgehen könnte, ist schwer abzusehen. In den letzten Wochen durchgeführte Umfragen deuteten auf keine grundlegenden Änderungen der Mehrheitsverhältnisse an. Für die Sozialisten käme der Gang an die Urnen daher wohl auch zu früh. Allerdings böte sich so schnell keine neue Chance zum Sturz der Regierung, da der Staatpräsident das Parlament in den letzten sechs Monaten seiner Amtszeit, die am 9. März 2026 abläuft, laut Verfassung nicht auflösen kann.
Eine Auflösung des Parlaments würde 2025/6 zu einem Jahr mit insgesamt vier Gängen an die Urnen machen. Schon am 23. März steht eine vorzeitige Neuwahl des Parlaments in der Inselregion Madeira auf der Agenda. Es folgen, noch ohne genaues Datum, landesweite Lokalwahlen im September oder Oktober. Im Januar 2026 entscheidet das Stimmvolk schliesslich über die Nachfolge von Präsident Marcelo Rebelo de Sousa, der nach zwei Amtszeiten nicht wieder kandidieren kann. Ein gemächliches letztes Jahr im Amt dürfte ihm nicht bevorstehen, und angesichts absehbarer innenpolitischer Wirren müsste sich auch sein Nachfolger – dass es sich um eine Nachfolgerin handeln könnte, zeichnet sich nicht ab – auf harte Zeiten gefasst machen.