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Portugal

Ein Land mit Rechtsdrall und bröckelnder Brandmauer

30. Juni 2025 , Lissabon
Thomas Fischer
Metsola, Montenegro
Der portugiesische Ministerpräsident Luis Montenegro in Brüssel mit Roberta Metsola, der Präsidentin des EU-Parlaments (Keystone/EPA/Olivier Matthys)

Seit Anfang Juni hat Portugal eine neue bürgerliche Minderheitsregierung unter Luis Montenegro. Er hatte gleich nach der Parlamentswahl am 18. Mai wissen lassen, dass er ohne bevorzugte Mehrheitsbeschaffer über die Runden kommen und nach allen Seiten offen sein will. Also geht auch die rechtspopulistisch-rassistische Partei Chega in sein Kalkül ein. Und die ersten Signale der neuen Regierung weisen nach rechts.

«Nein heisst nein», so hatte der jetzt 52-jährige Luis Montenegro früher wiederholt seine Absage an irgendwelche Pakte mit der rechtsextremen Partei Chega formuliert. An Pakte scheint er auch nach der vorgezogenen Parlamentswahl am 18. Mai nicht zu denken. Spätestens seit dieser Wahl aber scheint die Brandmauer zu bröckeln. Auch die neue Exekutive von Montenegros bürgerlichem Wahlbündnis «Aliança Democrática» (AD) verfügt trotz Zugewinnen nämlich nur über eine relative Mehrheit im Parlament, wo sie fortan 91 (vorher 80) der 230 Sitze hat. Zweitstärkste Kraft ist jetzt Chega mit 60 (vorher 50) Abgeordneten, zwei mehr als die Sozialisten mit nur noch 58 (vorher 78).

In einer anderen Republik aufgewacht

Minderheitsregierungen waren seit dem Inkrafttreten der Verfassung von 1976 keine Seltenheit. In diesen fast 50 Jahren stellte fast immer entweder der bürgerliche Partido Social Democrata (PSD), führende Kraft in der AD, oder der Partido Socialista (PS) den Regierungschef. Zwischen diesen Parteien bestand ein Grundkonsens in systemrelevanten Fragen, in der Aussen- und Sicherheitspolitik sowie der EU-Integration. Ein Konsens bezüglich der Einwanderung erschien schon in den letzten Jahren zunehmend brüchig. In vielen wichtigen Fragen waren PSD und PS aufeinander angewiesen, denn nur sie verfügten zusammen über die Zweidrittelmehrheit, die etwa für Verfassungsänderungen nötig war.

Im neuen Parlament kommen AD, Chega und die rechtsliberale Iniciativa Liberal (IL, 9 Sitze) auf die Zweidrittelmehrheit, sie können die Sozialisten also links liegen lassen. Nach unerwartet hohen Verlusten bei der jüngsten Wahl sind die Sozialisten und die kleineren Parteien links von ihnen so schwach wie noch nie. Verständlicherweise müssen sich viele von deren Wählern am 19. Mai so gefühlt haben, als seien sie in einer anderen Republik aufgewacht.

Erschwernisse für Einwanderer

Die Sozialisten hoffen immer noch auf Chancen, als Mehrheitsbeschaffer zu dienen, und dazu biedern sie sich bei Montenegro geradezu an. Sie haben am letzten Wochenende den ehemaligen Innenminister José Luis Carneiro zum neuen Generalsekretär gewählt. Er hatte sich schon vor seiner Wahl grundsätzlich dazu bereit erklärt, das Staatsbudget für 2026 im Parlament passieren zu lassen. Mitte Juni stimmten die Sozialisten gegen einen Antrag der Kommunisten auf Ablehnung des Programms der neuen Regierung, der sie keinen Blankoscheck, aber wenigstens eine Chance geben wollen. Auf einer parlamentarischen Untersuchung der Affäre um ein Unternehmen der Familie von Montenegro, die im März zum Sturz zu dessen vorheriger Regierung geführt hatte, scheinen die Sozialisten nicht mehr bestehen zu wollen.

Die ersten Signale der Regierung weisen derweil klar nach rechts. Portugal hat viele Probleme, darunter schwere Engpässe im Gesundheitswesen, eine eklatante Wohnungsnot und das schwächelnde Wirtschaftswachstum. Um die Stimmung im Land etwas zu heben, verkündete sie vor einigen Tagen leichte Senkungen der Einkommenssteuer. Vorher hatte sie aber schon ein Zeichen gesetzt, indem sie einen Plan zur Änderung der für Migranten relevanten Gesetzgebung beschloss.

Ein Recht auf die bisherigen Visa für die Suche nach Arbeit sollen nur noch Leute mit qualifizierten Berufen haben und nicht mehr solche, die etwa einfache Arbeiten verrichten. Um die Einbürgerung beantragen zu können, soll nicht mehr der Nachweis eines legalen Aufenthaltes im Land von mindestens fünf Jahren erforderlich sein, sondern von sieben Jahren für Personen aus dem portugiesischen Sprachraum, sonst sogar von zehn Jahren. Eine Verurteilung zu fünfjähriger Haft soll zum Entzug der Staatsangehörigkeit führen können. Geplant sind auch Erschwernisse bei der Familienzusammenführung.

Sozialhilfe und Arbeitsrecht im Visier

Chega hatte immer wieder – entgegen aller statistischen Evidenz - versucht, einen Anstieg der Kriminalität mit dem starken Anstieg der Einwanderung in den letzten Jahren zu erklären. Um diesen Anstieg zu kontrollieren, hatte sich Montenegros vorherige Regierung mit Wirtschaftsverbänden schon auf ein Schnellverfahren für die geregelte Einwanderung geeinigt. Wie eine erschwerte Einbürgerung der Kriminalität entgegenwirken könnte, steht dahin. Viele Landsleute sehen eine Geste an die Wählerschaft von Chega.

Ein hoher Vertreter dieser Partei wünschte sich Portugal schon vor allem für die «portugueses originários», die ursprünglichen Portugiesen. Sogar Ministerpräsident Montenegro sorgte kürzlich für einiges Erstaunen, als er sich im sozialen Netzwerk X über einen internationalen Erfolg eines bekannten portugiesischen Kanuten freute und – möglicherweise unüberlegt – ein Zeichen von «lusitanischer Rasse» sah. Sollte ein eingebürgerter Fussballspieler aus Brasilien in einem Länderspiel ein entscheidendes Tor schiessen, oder wieder einmal eine Athletin mit afrikanischen Wurzeln eine olympische Medaille gewinnen, würde Montenegro vermutlich nach anderen Worten suchen.

Eine andere geplante Initiative der Regierung betrifft den Kampf gegen den Missbrauch von Sozialleistungen, und auch das ist ein wichtiges Anliegen der Rechtspopulisten, die mit dem Finger auf Roma-Gemeinden und auf Migranten zeigen. Was die Höhe der an sie geleisteten Zahlungen angeht, wuchert in den sozialen Netzwerken die Falschinformation. In der Pipeline sind zudem Änderungen am Arbeitsrecht, die namentlich auch das Streikrecht «ausgewogener» gestalten sollen. Für die Sozialisten dürfte es schwer sein, der Regierung in diesen Fragen die Hand zu reichen.

Eine rechte Revision der Verfassung?

Eine Revision der Verfassung ist für die Regierung erklärtermassen keine Priorität, die Liberale Initiative und Chega wollen aber das entsprechende Verfahren in Gang bringen, und da werden auch alle anderen Parteien ihre Wünsche vortragen. Ein Ziel der Liberalen Initiative besteht darin, das Gewicht des Staates in der Wirtschaft zu begrenzen und unter anderem im Gesundheitswesen die Konkurrenz zwischen öffentlichem und privatem Sektor zu ermöglichen. Gegner wenden ein, dass die Verfassung derzeit flexibel sei, die vorgeschlagenen Änderungen aber politisch rechte Akzente setzen würden. Chega träumt von einer Zulassung der – 1884 abgeschafften und in der Verfassung verbotenen – lebenslangen Haft für gewisse Delikte und von der Schaffung der Grundlagen für die chemische Kastration von sexuellen Straftätern.

In den Wochen seit der Wahl wurden in dem eigentlich als friedlich geltenden Land derweil mehrere gewaltsame Aktionen von Neonazis registriert. Erst war in Lissabon der Überfall auf einen Schauspieler, kurz vor einer Aufführung, die deshalb abgesagt werden musste. Einige Tage später attackierten Neonazis in Porto eine Gruppe von Freiwilligen, die Essen an Obdachlose ausgaben. Vor einigen Tagen verhaftete die Polizei mehrere Aktivisten einer Miliz, die über 3D-Waffen verfügte; unter den Festgenommenen war ein Polizeibeamter in gehobener Funktion. Nicht nur in der hohen Politik weisen die Signale nach rechts.

Die Emigration als Exil?

Für einige Fassungslosigkeit sorgt nach wie vor die Tatsache, dass Chega landesweit auf fast 23 Prozent der Stimmen kam – und sogar bei den Landsleuten im Ausland starken Zulauf hatte. Ihren höchsten Stimmenanteil im Ausland erreichten die Rechtspopulisten in der Schweiz. Sie erhielten dort 24’533 Stimmen, entsprechend einem Anteil 45,7 Prozent. Angesichts der Tatsache, dass viele Stimmen wegen einer Formalie ungültig waren, entspricht dies gar einer absoluten Mehrheit der gültigen Voten.

In beiden ausländischen Wahlkreisen (Emigranten in Europa und in Übersee) errang Chega je einen der zwei Sitze. Wie konnte diese Partei unter den Emigranten, die als solche auch so manche Probleme spüren, so gut abschneiden? Es gibt viele denkbare Erklärungen für unterschiedliche Situationen. Der Schreibende versetzt sich in die Lage junger Leute, die während der Finanzmarktkrise (zu Beginn der 2010er Jahre) keine Jobs fanden, bei den Eltern wohnten und auswanderten – vielleicht mit der Idee, einige Jahre zu kellnern und genug zu sparen, um die Anzahlung für die eigenen vier Wände in Portugal leisten zu können. Angesichts des brutalen Anstiegs der Mieten und der Kaufpreise für Immobilien in den letzten Jahren dürften viele solcher Träume geplatzt sein. Portugal legt für betuchte Ausländer und Touristen den roten Teppich aus. So manche Landsleute im Ausland mögen es aber schwer finden, wieder ihren Platz in der Heimat zu sehen – und die Emigration nun als Exil empfinden.

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