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Kommentar 21

Donald Trumps «seelische Qualen»

5. Juni 2025
Ignaz Staub
Walter Cronkite, CBS
Walter Cronkite, der legendäre Fernsehjournalist des US-Senders CBS wurde in den 1960er Jahren als «glaubwürdigste Person der Nation» bezeichnet. Jetzt verlangt Präsident Trump von dem Sender wegen einer umstrittenen Aussage über ihn im zurückliegenden Wahlkampf Dutzende von Millionen Schadenersatz. (Foto: Keystone)

Eine der skurrilsten Klagen, mit denen Donald Trump unliebsame Medien einzudecken pflegt, ist jene gegen den Fernsehsender CBS. Zwar halten Rechtsexperten den Vorwurf «seelischer Qualen» für haltlos, doch der Film- und Videokonzern Paramount, dem CBS gehört, will sich mit dem US-Präsidenten einigen. Trumps ursprüngliche Forderung: 20 Milliarden Dollar.

Stein des Anstosses für Donald Trump ist ein Interview des renommierten TV-Nachrichtenmagazins «60 Minutes», dass der Sender im vergangenen Herbst mit Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris geführt hat. Trump selbst hatte sich im Wahlkampf der Sendung nicht für ein Gespräch stellen wollen. Seine Anwälte werfen «60 Minutes» nun vor, das Harris-Interview verfälschend geschnitten und in Trailern zum Voraus zwei unterschiedliche Antworten der Kandidatin auf dieselbe Frage ausgestrahlt zu haben. 

Das habe, so seine Anwälte, Donald Trump «seelische Qualen» bereitet und seinen Status als «content creator» beschädigt, weil das national ausgestrahlte Interview mit Kamala Harris so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen habe. Verwirrte Wählerinnen und Wähler hätten es deshalb versäumt, dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten und seinem Kurznachrichtendienst «Truth Social» mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Trump, eine «Medienikone», sei gezwungen gewesen, «viel Zeit, Geld und Anstrengung» aufzuwenden, um die öffentliche Wahrnehmung zu korrigieren. 

Entschuldigung gefordert

Paramount Global und dessen Mehrheitsaktionärin Shari Redstone befinden sich derzeit in Fusionsgesprächen mit Skydance Media, ein lukrativer möglicher Zusammenschluss, den die US-Regierung, d. h. am Ende Donald Trump, absegnen muss. Dem Konzern ist deshalb daran gelegen, sich mit dem Präsidenten im Fall «60 Minutes» zu einigen. Dessen Chefproduzent Bill Owens hat bereits aus Protest gekündigt, wie auch seine Vorgesetzte Wendy McMahon, die Präsidentin von CBS News. 

Dem «Wall Street Journal» zufolge bietet Paramount 15 Millionen Dollar an, um sich mit dem Weissen Haus zu einigen, aber Donald Trump will dem Vernehmen nach mindestens 25 Millionen Dollar, wenn nicht mehr – und eine öffentliche Entschuldigung des Senders dazu. Insidern zufolge geht es dem Präsidenten mehr um eine Entschuldigung als um Geld, um behaupten zu können, es sei juristisch erwiesen, dass die Medien ihm gegenüber Vorurteile hegten.

Vorauseilend eingeknickt

«Konzerne, die Nachrichtenmedien besitzen, sollten sich nicht dazu herablassen, sich im Fall grundloser Rechtsklagen zu einigen, die klar gegen den Ersten Verfassungszusatz verstossen und andere Medien gefährden», argumentiert Seth Stern, Direktor der «Freedom of the Press Foundation» (FPO). Falls Paramount sich mit Trump einige, könne das «einer Bestechung» des Präsidenten und seiner Regierung gleichkommen. Eine Senatorin und zwei Senatoren der demokratischen Partei sprechen von einem möglichen Rechtsbruch im Fall eines Einknickens gegenüber dem Weissen Haus. 

In einem ähnlichen Fall angeblicher Persönlichkeitsverletzung wie bei CBS hat sich der Fernsehsender ABC bereits erklärt, der Trump-Stiftung oder der Trump-Bibliothek 15 Millionen Dollar sowie eine Million Dollar für Anwaltskosten zu zahlen. Star-Moderator George Stephanopoulos hatte in seiner Sendung gesagt, Donald Trump sei in einem Zivilprozess von den Geschworenen schuldig gesprochen worden, die Autorin E. Jean Carroll vergewaltigt zu haben. In Tat und Wahrheit war das Gericht zum Schluss gekommen, der Angeklagte sei des sexuellen Missbrauchs schuldig. Im Übrigen hat auch Amazon-Gründer Jeff Bezos, Besitzer der «Washington Post», dem Weissen Haus gegenüber Konzessionen gemacht, die zu einem Exodus von profilierten Mitarbeitenden sowie Zahntausenden von Abonnenten führten. 

Das «Trump-Wahnsyndrom»

Der Vorwurf, der Präsident habe «seelische Qualen» erlitten, ist allein schon deshalb kaum haltbar, weil Trump selbst bei Pressekonferenzen im Weissen Haus Medienschaffende aufs Übelste beschimpft oder beleidigt. So hat Trump unlängst einen Korrespondenten des Fernsehsenders NBC während seines Auftritts mit Südafrikas Cyrill Ramaphosa als «Blödmann» und «Idioten» beschimpft, weil der es gewagt hatte, eine Frage nach der Boeing-747 zu stellen, die das Emirat Katar der US Air Force schenkt. 

Er sei «ein schrecklicher Reporter» und «nicht schlau genug», warf Trump dem NBC-Mann vor, ein Vertreter von «fake News», gegen dessen «korrupten» Sender ermittelt werden sollte. Anhänger des Präsidenten werfen Medienschaffenden in solchen Fällen vor, unter «Trump Derangement Syndrome», einem Trump-Wahnsyndrom, zu leiden, das unter Umständen «unheilbar» sei.

CBS’ glorreiche Vergangenheit

CBS ist jener Fernsehsender, dessen Journalist Edward R. Murrow in der Sendung «See It Now» in den 1950er Jahren die Machenschaften des republikanischen Senators und Kommunistenjägers Joe McCarthy aufdeckte. Im neuen Broadway-Stück «Good Night, and Good Luck» sagt der von George Clooney gespielte Murrow bezüglich des gegen ihn ausgeübten politischen Drucks, er fürchte, unter Umständen mit seinen Enthüllungen nicht durchzukommen – eine prophetisch anmutende Aussage. Für CBC präsentierte seinerzeit Walter Cronkite die Abendnachrichten. Das Publikum nannte ihn liebevoll «Uncle Walter» und er war Umfragen zufolge jener Amerikaner, dem die Bevölkerung, noch vor den Präsidenten, am meisten trauten.

Unter Beschuss des MAGA-Lagers ist neuerdings nicht nur die Sendung «60 Minutes», sondern auch deren Korrespondent Scott Pelly geraten. Der 67-jährige Fernsehjournalist sprach als Gastredner bei der jährlichen Abschlussfeier der Wake Forest University (North Carolina): «Um vorwärts zu kommen debattieren wir, wir dämonisieren nicht. Wir diskutieren, wir zerstören nicht. Doch in diesem Augenblick wird unsere Rechtsordnung attackiert. Die Medienschaffenden werden attackiert, Universitäten werden attackiert. Die Redefreiheit wird attackiert.»

«Das Streben nach Wahrheit» 

Pelly erinnerte an die amerikanischen Gründerväter, die in der Verfassung «das Streben nach Wahrheit» als einen der Grundsätze der jungen Nation festgeschrieben hätten. Doch Ignoranz helfe den Mächtigen: «Als Erstes lasse jene, welche die Wahrheit suchen, in Angst leben. Klage die Medienschaffenden an. Wegen nichts. Dann schicke maskierte Agenten los, um eine College-Studentin zu entführen, die für die Zeitung ihrer Universität einen Leitartikel geschrieben hat, der sich für die Rechte der Palästinenserinnen und Palästinenser einsetzte, und schicke sie in ein Gefängnis in Louisiana and klage sie an wegen nichts. Dann mache weiter, um Anwaltskanzleien zu zerstören, die sich für die Rechte anderer einsetzen.»

Sei dies einst getan, so der CBS-Korrespondent, könnten die Mächtigen die Geschichte neu schreiben: «Mit grotesken und falschen Narrativen können sie aus Schurken Helden und aus Helden Schurken machen. Und sie können die Definition von Wörtern ändern, mit denen wir die Wirklichkeit beschreiben. ‘Diversität’ ist heute ‘illegal’. ‘Gleichheit’ gilt es zu meiden. ‘Inklusion’ ist ein Schimpfwort. Das ist eine alte Geschichte. (…) George Orwell hat das 1949 ‘Newspeak’ (Neusprech) genannt. Er wusste, dass Ignoranz den Mächtigen hilft.»

Unerwarteter Rückschlag

Obwohl Pelly in seinen Ausführungen Trump nicht namentlich erwähnte, stürzen sich dessen Anhänger in den sozialen Medien vehement auf ihn. Einer unter ihnen nannte den TV-Mann «einen selbstverliebten, predigenden Propagandisten», einen Vertreter etablierter Medien, der sich «Journalist» schimpfe. Laut einem anderen Trump-Anhänger war Pellys Rede schlicht «wütend und verrückt». 

Mitunter gibt es jedoch noch so etwas wie eine ausgleichende Gerechtigkeit für jene, die Orwells Neusprech praktizieren und skrupellos Fake News und Verschwörungstheorien verbreiten, von denen sie annehmen, sie würden der Macht gefallen. So ist es dem rechten Radio- und Fernsehmoderator Dan Bongino ergangen, der sich als früherer Trump-Propagandist unvermittelt in der Rolle des stellvertretenden FBI-Direktors wiederfand.

Bongino beklagte in einem bizarren Interview auf dem Sender Fow News die Arbeitsbelastung in seinem neuen Amt, die langen Nächte, den schleppenden Gang der Strafverfolgung und sogar das Rauschen des Wasserhahns im benachbarten Büro seines Chefs Kash Patel. Dem FBI-Vize brandet aus dem MAGA-Lager heftige Kritik entgegen, weil er öffentlich gesagt hat, was die Rechte zu glauben sich weigert: dass der des sexuellen Missbrauchs verdächtige Milliardär Jeffrey Epstein Selbstmord begangen hat.

Fehlende Beweise

Dabei hatte Bongino zu jenen gehört, die während Jahren behauptet hatten, Epstein sei Teil eines grossen, finsteren Vertuschungsmanövers des «Deep State» gewesen, in das unter anderen angeblich auch die Clintons und das FBI verwickelt waren. Doch jetzt fehlen Dan Bongino schlicht die Beweise, um seine früheren Behauptungen zu stützen, und plötzlich sieht er sich in den Augen Trump-treuer Influencer wie Alex Jones oder Tucker Carlson selbst als Verfechter des «Deep State» und als Verräter ihrer Sache gebrandmarkt. 

Auch Justizministerin Pam Bondi hat ihr Versprechen nicht wahr machen können, mit sogenannten «Epstein Files» zu beweisen, dass undurchsichtige Eliten mit dem Financier verbandelt gewesen sind. Noch ist nicht wie versprochen jemand verhaftet worden und noch sind keine Köpfe gerollt. Bongino, Bondi und wie sie alle heissen erfahren jetzt schmerzlich, dass es einfacher ist, Verschwörungstheorien zu verbreiten als sie zu beweisen. 

«Nur noch peinlich»

Was aber MAGA-Anhänger kaum davon abhalten dürfte, abstrusen Behauptungen weiterhin Glauben zu schenken. Wie auch den hohlen Beteuerungen von Pressesprecherin Karoline Leavitt, Präsident Donald Trump habe bei allem, was er tue, stets nur eines vor Augen: das Wohl des Landes und seiner Bürgerinnen und Bürger. Zumindest solange, als sie weiss – und noch besser – reich sind. 

Oder wenn ihm das Öl-Emirat Katar selbstlos einen Jumbojet schenkt. Oder wenn er und seine Familie sich mit dubiosen Krypto-Geschäften und Investitionen im Ausland bereichern. Oder wenn Individuen seiner politischen Organisation eine Million Dollar zahlen, um an einem Gruppen-Dinner in Mar-a-Lago teilnehmen zu dürfen. Oder fünf Millionen Dollar für eine Privataudienz mit dem Präsidenten aufwerfen. «So darf das grossartigste Land der Erde nicht regiert werden», schreibt «Washington Post»-Kolumnist Dana Milbank: «In Tat und Wahrheit ist es nur noch peinlich.»

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