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Kommentar 21

Die bittere Wahrheit

28. Juli 2016
Stephan Wehowsky
Niemand kann seine Hände in Unschuld waschen.

Anfang dieser Woche hat die Fraktionschefin der Linken, Sahra Wagenknecht, für Wirbel in ihren eigenen Reihen gesorgt, indem sie – nicht zum ersten Mal – die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel kritisierte. Es genüge nicht, mit der Durchhalteparole, „Wir schaffen das“, den Mangel an Kontrolle der Aussengrenzen zu kompensieren. Zeitgleich blies aus Bayern Horst Seehofer ins gleiche Horn: „Die Flüchtlingspolitik Merkels war katastrophal“, schreibt sein Bayernkurier aus München. Und: „Deutlich wird vor allem, welchen Sicherheitsrisiken uns die Kanzlerin mit ihren offenen Grenzen und Armen ausgeliefert hat.“

Nach dem Anschlag von Saint-Etienne-du-Rouvray sagte Bundesaussenminister Frank-Walter Steinmeier: „Wir werden unsere Werte, unsere Freiheit und unsere Art zu leben nicht aufgeben.“ Während Wagenknecht und Seehofer aus entgegengesetzten politischen Lagern schrill warnen, versucht der Aussenminister ganz auf der Linie der Kanzlerin zu beruhigen. Aber kann das gelingen? Es ist einfach zu argumentieren, dass die Serie der diversen Terrorakte der vergangenen Wochen mit der aktuellen Flüchtlingsproblematik nur lose gekoppelt ist. Die Probleme liegen tiefer und reichen weitaus länger zurück. So ist es nicht nur in Frankreich während der vergangenen Jahrzehnte versäumt worden, den nötigen sozialen Ausgleich auch für Zuwanderer zu schaffen. – Da haben Steinmeier und die Seinen recht.

Aber darum geht es gar nicht mehr. Was rechte Populisten und eben auch Horst Seehofer und Sahra Wagenknecht zum Ausdruck bringen, ist ein ganz anderes Unbehagen: Haben Deutschland und Europa ein Konzept im Hinblick auf die Migrationsproblematik? Und da lautet die klare Antwort: nein. Unsere ach so freiheitlichen Werte und Lebensformen werden derzeit gegen unerwünschte Zudringlichkeit von aussen durch eine Figur wie Erdogan geschützt. Er macht die schmutzigen Dinge, von denen Europa verschont werden will.

Die bittere Wahrheit besteht darin: Europa wird seine Aussengrenzen nicht mit seinen „Werten“ abdichten, sondern mit Methoden, die „unserer Art zu leben“ ganz sicher nicht entsprechen. Im Moment kann man sich mit dem Kalfaktor Erdogan noch darum herumlügen. Aber wenn der Druck zunimmt und der Erdogan-Behelf verschlissen ist, müssen Regierungen Ross und Reiter ihrer Abwehr nennen. Das ist hart und schwer, aber ohne diese „Handlungsfähigkeit“ brechen im Inneren die rechten Horden los.

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