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Kommentar 21

Die Aufgabe des Pazifismus

7. April 2022
Stephan Wehowsky
Friedenstaube
Vor der ukrainischen Botschaft in Berlin (Foto: Keystone/ DPA/Carsten Koall)

Der Krieg in der Ukraine hat den Pazifismus schlagartig ins Abseits gestellt. Er erscheint in Anbetracht der Notwehr der Überfallenen als weltfremd. Aber das ist er nicht.

Der ehemalige deutsche Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung seine zeitweilige Suspendierung des Pazifismus bekannt gegeben. Später aber möchte er wieder darauf zurückkommen. Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer Verlagsgruppe, schrieb in der Weltwoche, dass er nie ein Pazifist gewesen sei und jetzt schon gar nicht. Denn Hitler habe nun einmal nicht mit friedfertigen Gedanken und Gesten besiegt werden können. Und die Ukraine brauche jetzt in erster Linie Waffen, denn sonst werde ein Verbrecher wie Putin nicht gestoppt.

Pazifismus in Anbetracht skrupelloser Gewalt wie gegenwärtig in der Ukraine für weltfremd zu erklären, verstellt den Blick auf Sinn und Zweck des Pazifismus. Klar ist: Wer überfallen wird, muss sich wehren. Und er braucht Unterstützung. Wer anderes sagt, ist, gewollt oder nicht, ein Zyniker. Aber darum geht es nicht beim Pazifismus. Pazifistisches Denken zielt auf eine andere Dimension.

Das pazifistische Denken richtet sich gegen eine Militarisierung, die unmittelbaren Kriegshandlungen vorangeht. Diese zunehmende Militarisierung ist in vollem Gange. So hat der deutsche Bundeskanzler Scholz unmittelbar nach dem Überfall auf die Ukraine 100 Milliarden Euro für deutsche Rüstung projektiert. Andere Staaten werden ähnlich aufrüsten. Und das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri stellt seit Jahren eine geradezu alarmierende Steigerung von Rüstungsausgaben in aller Welt fest.

Dieser allgegenwärtigen Aufrüstung entspricht schon lange eine mentale Militarisierung. Sie verläuft zum Teil ebenso unbewusst wie die Durchdringung der Alltagstechnik mit Anwendungen, die ursprünglich zu militärischen Zwecken entwickelt wurden. Offensichtlicher ist diese Durchdringung in der gigantischen Industrie der Computerspiele, die zu einem erheblichen Teil von Kriegsspielen lebt. Überhaupt dient Gewalt auch in Filmen und Serien als selbstverständliches Ingredienz der Unterhaltung.

Die Aufgabe der Pazifisten besteht darin, dieser mentalen Militarisierung entgegenzutreten. Das ist eine ebenso grosse wie mühsame Aufgabe. Sie wird nicht durch Moralisieren gelöst. Vielmehr geht es darum, immer wieder Alternativen zu erkennen und ins Gespräch zu bringen. Pazifisten werden die Hochrüstung nicht beseitigen, aber sie können darauf hinwirken, dass Gewaltandrohung nicht die einzige Sprache in der multipolaren Welt bleibt. Das ist mit viel Arbeit verbunden. So müssen Pazifisten ständig nach Gesprächspartnern auch in verfeindeten Ländern suchen, die ihre Grundsätze und Ziele teilen.

Lange Zeit waren pazifistische Motive politisch produktiv. Sie haben zu Abrüstungsverträgen und zu internationalen Abkommen geführt, die der Vertrauensbildung dienten, auch wenn die Politiker, die sie aushandelten, sich selbst vielleicht nicht als Pazifisten verstanden haben. Aber sie waren von pazifistischen Persönlichkeiten und Bewegungen beeinflusst.

Pazifisten müssen jetzt sehr darauf achten, dass im Zeichen des Krieges in der Ukraine diese Tugenden nicht mit einem Schulterzucken ad acta gelegt werden. Das ist es, wovon Thierse auch sprach und worauf er in Zukunft wieder zielen möchte. In diesem Sinne liesse sich zuspitzen: Die Zeit des Pazifismus beginnt jetzt.

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