In der Klimapolitik hat der Wind gedreht. Der Rückenwind der grünen Welle von 2019 ist verflogen – heute herrscht eher Gegenwind. Dazu passt, dass sich die diesjährige Weltklimakonferenz nicht auf einen Fahrplan zum Ausstieg aus den fossilen Energieträgern einigen konnte.
Laut einer 2025 vom Forschungsinstitut Sotomo (1) durchgeführten Umfrage befürwortet die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung das Netto-Null-Ziel, hält dessen Umsetzung bis 2050 jedoch für unrealistisch.
Diese wachsende Skepsis gegenüber Klimaschutzmassnahmen ist jedoch kein neues Phänomen. Bereits eine Studie von Lamb (2) aus dem Jahr 2020 zeigte, dass der Anteil jener zunahm, die an der Wirksamkeit klimapolitischer Strategien zweifelten. Vermutlich wurde während der «grünen Welle» nach 2019 manch ambitioniertes Ziel ausgerufen, ohne die praktische Umsetzung ausreichend zu durchdenken. Heute zeigt sich, dass einige dieser Versprechen – etwa das 1,5-Grad-Ziel – kaum einzuhalten sind.
Hinweise auf Ursachen dieser Umsetzungsskepsis liefert eine soziologische Studie von Dennis Eversberg (3) aus dem Jahr 2024. Obwohl eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung den Klimaschutz grundsätzlich für wichtig hält, räumt mehr als die Hälfte dem Beibehalten der eigenen Lebensweise dennoch Vorrang ein. – Ängste vor unbekannten Veränderungen und möglichen Verlusten scheinen eine zentrale Rolle zu spielen.
Was hartnäckig bleibt, ist das Klimaproblem
Einige Autorinnen und Autoren fordern in dieser Situation einen Neuanfang in der Klimapolitik – pragmatischer, realistischer und breiter anschlussfähig soll sie werden. So etwa geschehen im international vielbeachteten Essay «Pragmatic Climate Reset» von Michael Liebreich (4), aus dem sich folgende Forderungen ableiten lassen:
- Abkehr von Perfektionismus. Konzentrieren wir uns auf die Gebiete, in denen es funktionierende Lösungen gibt und setzen diese konsequent um. Konzentration auf die Massnahmen mit dem grössten Effekt.
- Fokus auf machbare kurzfristige Ziele zu unseren Lebzeiten und nicht nur ein heilsversprechendes Endziel in ferner Zukunft.
- Allianzen und Mehrheiten aktiv suchen. Wirksame Klimapolitik sollte breit abgestützt sein und nicht zu einem Kulturkampf-Thema werden.
- Mit weniger Moralismus operieren. Weniger ideologische Reinheit, Angstmacherei und Diffamierung politischer Gegner.
- Fokus auf das, was funktioniert, anstatt auf das, was noch nicht funktioniert. Erfolg motiviert besser als Stänkerei und Pessimismus.
Was kann dies für die Schweizer Klimapolitik bedeuten?
Gefragt ist ein Fokus auf das, was bereits funktioniert und schnell Wirkung zeigt. Für die Schweiz sind dies insbesondere der Ausbau der Elektromobilität, der erneuerbaren Energien mit Photovoltaik, Wind und Batterien und nachhaltige Heizsysteme. Entscheidend ist, umsetzbare und finanzierbare Ziele anzugehen. Andernfalls drohen Projekte Schiffbruch zu erleiden – wie etwa das ambitionierte Netto-Null-2040 Ziel, das in Zürich kürzlich an der Urne scheiterte.
Es geht jetzt darum, das Machbare und Wirksame umzusetzen
Trotz Fokus auf das kurzfristig Machbare, dürfen die grossen, langfristigen Herausforderungen nicht aus dem Blickfeld geraten. Als Orientierungshilfe kann die sogenannte 70/20/10-Regel aus dem Innovationsmanagement dienen: Siebzig Prozent der finanziellen Mittel und der Aufmerksamkeit sollen für das kurzfristig Machbare eingesetzt werden. Zwanzig Prozent für Lösungsmöglichkeiten reserviert sein, die sich noch in der Pionierphase befinden wie z. B. leistungsfähigere Solarzellen, die Elektrifizierung von schweren Spezialmaschinen für Baustellen und Landwirtschaft oder elektrische Binnen- und Küstenschiffe. Zehn Prozent sollte reserviert sein für Visionen, Forschungsprojekte, Prototypen und Träume.
Die Anwendung dieser Regel bedeutet beispielsweise, dass wir weniger Energie in Debatten über neuartige AKW-Technologien, Wasserstoff oder CO₂-Abscheidung (Carbon Capture) investieren sollten. Stattdessen braucht es deutlich mehr Aufmerksamkeit für die Frage, wie es der Schweiz endlich gelingt, den für die winterliche Stromproduktion zentralen Ausbau der Windkraft voranzubringen – und zwar im Einklang mit einem pragmatischen Naturschutz.
Eine Klimapolitik, die sich auf das konzentriert, was technisch machbar und wirtschaftlich erfolgversprechend ist, eröffnet die Grundlage für eine zukunftsorientierte und mutige Industriepolitik. Auf geopolitischer Ebene sollten wir den Blick weniger auf Verzicht und Einschränkungen richten und stattdessen stärker die Chancen und Möglichkeiten betonen. Zwar wird es erheblicher Anstrengungen, Veränderungsbereitschaft und ambitionierter Ziele bedürfen, doch bedeutet dies nicht, dass unsere Wirtschaft schrumpfen oder wir unseren Wohlstand grundsätzlich einschränken müssten. Vieles deutet darauf hin, dass derzeit eine globale elektrotechnische Revolution (5) im Gang ist. Gerade die Schweiz, die historisch auf bedeutende Erfolge in der industriellen Elektrotechnik zurückblicken kann, sollte den notwendigen Strukturwandel als Chance begreifen, die Zukunft aktiv mitzugestalten – aber ebenso als Verpflichtung, die aus der Transformation entstehenden sozialen Belastungen und Ungleichheiten solidarisch abzufedern.
(1) Sotomo: Energieziele der Schweiz – Studienbericht, 2025
https://sotomo.ch/site/wp-content/uploads/2025/10/EnergiezieleDerSchweiz_de.pdf
(2) William Lamb et al.: The article «Discourses of climate delay» by W. F. Lamb, G. Mattioli, S. Levi, and others, published in Global Sustainability, 2020, 3,1-5
(3) Dennis Eversberg et al.: Der neue sozial-ökologische Klassenkonflikt: Mentalitäts- und Interessengegensätze im Streit um Transformation, 2024
(4) Michael Liebreich: Pragmatic Climate Reset, 2025
Part II: https://about.bnef.com/insights/clean-energy/liebreich-the-pragmatic-climate-reset-part-ii-a-provocation/
(5) ember-energy.org, The Electrotech Revolution, 2025
https://ember-energy.org/latest-insights/the-electrotech-revolution