
Amerikas Verteidigungsminister Pete Hegseth hat aus der Bibliothek der US-Marineakademie 381 Bücher entfernen lassen, die sich mit den Themen Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion (DEI) beschäftigen. Die Order erinnert frappierend an den dystopischen Roman «Fahrenheit 451», wenn nicht an ein historisches Ereignis Anno 1933.
Auf Pete Hegseths Bizeps steht «Deus vult» eintätowiert: Gott will. Als er noch Offizier der Minnesota Army National Guard war, hat der Wahlspruch der Kreuzritter aus dem 11. Jahrhundert den US-Verteidigungsminister daran gehindert, am 20. Januar 2021 bei Joe Bidens Amtseinsetzung aktiv im Einsatz zu sein. Ein Militärkollege hatte vor Hegseth als «interner Bedrohung» gewarnt und dieser wurde nicht zum Dienst in Washington DC aufgeboten – ein Vorfall, den er vier Jahre später im Buch «The War on Warriors» als Grund für seinen Austritt aus der Armee angab.
Gegen «unamerikanisches Denken»
Doch jetzt kann der 44-jährige Vater von vier Kindern, dessen bisheriger Lebenswandel mit zwei Scheidungen, ausserehelichen Affären, Vorfällen von sexuellen Übergriffen und Besäufnissen nicht eben herkömmlichen Vorstellungen von tief empfundener Gottesfurcht entspricht, seine christlichen Überzeugungen im Pentagon ungehindert ausleben. Dies umso eher, als der heutige Herr, dem er fraglos dient, Donald Trump heisst. Und dem sind Heuchelei und Doppelmoral so wenig fremd wie Golfen und Prahlen.
Wie dem Präsidenten sind Pete Hegseth alle Bemühungen um Vielfalt, Chancengleichheit und Inklusion (DEI) zutiefst verdächtig als Ausfluss radikalen, «unamerikanischen Denkens», das es in einem christlichen Land auszumerzen gilt. Was nicht heisst, dass das Streben nach Political Correctness oder Wokeness zuvor vielleicht gutgemeinte, aber auch absurde Züge angenommen hatte.
Auf jeden Fall ist Verteidigungsminister Hegseth als Kriegsveteran (Irak, Afghanistan) überzeugt, dass DEI-Programme, noch von Joe Biden befürwortet, der Moral der US-Armee schaden und deren Wehrkraft zersetzen. So hat er etwa einen hochqualifizierten afroamerikanischen Generalstabschef entlassen oder den General des Geheimdienstes NSA gefeuert, nachdem eine MAGA-Influencerin Donald Trump eingeflüstert hatte, der erfahrene Offizier sei nicht loyal genug. Entlassen worden ist auch eine Vize-Admiralin, die in Brüssel Amerika in der Militärkommission der Nato vertrat.
Auch Werke über Holocaust, Antisemitismus, Rassismus verbannt
Pete Hegseth selbst ist ausser als Soldat vor seinem Amtsantritt nie für das Pentagon oder die Regierung in irgendeiner Funktion tätig gewesen. Doch Donald Trump hält ihn nicht zuletzt aufgrund des Buches «The War on Warriors» als Pentagon-Chef für kompetent: «Das Buch entlarvt, wie die Linke unsere Krieger verrät und wie wir unser Militär erneut verdienstbasiert, tödlich, verantwortungsvoll und herausragend machen müssen» – alles Eigenschaften, welche die Leute in Trumps engem Umfeld, wie Signal-Gate das jüngst gezeigt hat, wohl im Übermass besitzen – mit Ausnahme der Tödlichkeit.
Um der Zersetzung der Wehrkraft der mächtigsten Armee der Welt gezielt entgegenzuwirken, hat Pete Hegseth Ende März befohlen, aus der Bibliothek der renommierten US-Marineakademie in Annapolis (Maryland) 381 Bücher zu entfernen – unter ihnen Werke über den Holocaust, über Antisemitismus, Bürgerrechte und Rassismus, über Feminismus, Sexualität und Transgenderfragen. Noch ist nicht bekannt, ob Amerikas übrige Militärakademien, jene der Landarmee in West Point (New York), der Luftwaffe in Colorado Springs (Colorado) und der Küstenwache in New London (Connecticut) ähnliche Befehle erhalten haben.
Zu den verfemten Werken der Naval Academy zählt die berühmte Autobiografie der schwarzen Autorin Maya Angelou («I Know Why the Caged Bird Sings»), Janet Jacobs’ «Memorializing the Holocaust: Gender, Genocide and Collective Memory» über das Schicksal der Frauen im Holocaust, oder Mathew F. Delmonts «Half American» über schwarze US-Soldaten im 2. Weltkrieg. Auch Ibrahim F. Xendis «How to Be Ant-Racist», Ken Witsmas «The Myth of Equality» oder Christopher Lebrons «The Making of Black Lives Matter» fielen Hegseths Ukas zum Opfer.
Verwirrung um Namen
Doch damit nicht genug. Bereits vor der Bücherverbannung hatte das Pentagon angeordnet, aus den Datenbasen der Armee sämtliche Fotos und Posts zu entfernen, die in irgendeiner Weise mit DEI zu tun haben. In einer ersten Runde wurden 26’000 Bilder als zu entfernen eingestuft, wobei deren Zahl Offiziellen zufolge noch auf bis zu 100’000 steigen könnte. Opfer der Säuberung sind in erster Linie Dokumente, die Frauen und Angehörige von Minderheiten betreffen. So ist zum Beispiel der Hinweis auf jene Frau entfernt worden, die als erste die rigorose Ausbildung zur Marineinfanteristin bestand.
Doch wie häufig derzeit in Washington hat auch dieser Säuberungsbefehl unter den Empfängern für etliche Verwirrung gesorgt. Als anstössig und folglich zu entfernen gelten laut der Liste des Verteidigungsministeriums zum Beispiel auch Aufnahmen, in deren Legenden der Begriff «gay» (homosexuell) auftaucht. Nur ist in Amerika «Gay» auch ein Familienname, so etwa jener eines abgebildeten Ingenieurs der Armee, der in Kalifornien Bewässerungsgräben aushob.
Ausserdem hiess der B-29 Bomber, der 1945 über Hiroshima die erste Atombombe abwarf, «Enola Gay». Verdächtig, also weg damit! Auf der Zensurliste stand auch ein Foto von Biologen der Armee, dessen Legende verrät, sie hätten Daten über Fische gesammelt, einschliesslich ihres Gewichts, ihrer Grösse, ihrer Laichtätigkeit und ihres Geschlechts. »Gender?» Ein «no go!».
Inzwischen hat das Pentagon eingeräumt, dass ihm bei seinen Bemühungen, alles DEI-Verdächtige aus den Archiven der US-Armee zu entfernen, auch Pannen unterlaufen sind. Dazu gehörte die Löschung jener weltberühmten Aufnahme, die zeigt, wie sechs Marineinfanteristen im 2. Weltkrieg auf der von den Japanern besetzten Pazifik-Insel Iwo Jima die amerikanische Flagge hissen. Der Grund: Einer der Soldaten, Ira Hayes, war ein «native American» aus dem Stamm der Pima. Oops!
John Kellys Warnung
Es wäre wohl vermessen, Pete Hegseths Säuberungsorder mit der Bücherverbrennung zu vergleichen, die 1933 nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland Höhepunkt der «Aktion wider den undeutschen Geist» war. Sie galten den Werken jüdischer, marxistischer, pazifistischer sowie anderer oppositioneller oder politisch unliebsamer Schriftsteller.
Nicht zu vergessen in diesem Kontext jedoch die Äusserungen John Kellys, des pensionierten Generals der Marineinfanterie, der von 2017 bis 2019 als Donald Trumps Stabschef amtete und vor dessen Wiederwahl warnte, der republikanische Kandidat erfülle die Definition eines Faschisten. In Presseinterviews erinnert sich Kelly, Trump habe seinerzeit gesagt, Adolf Hitler hätte «auch einige gute Dinge getan». Auch habe er gemeint, er könnte «Generäle, wie Hitler sie hatte» gut brauchen, um den «inneren Feind» zu bekämpfen.
Die Botschaft von «Fahrenheit 451»
Auf jeden Fall aber erinnert das Vorgehen des Pentagon-Chefs an Ray Bradburys dystopischen Roman «Fahrenheit 451», der 1953 erschienen ist. Laut Wikipedia spielt das Werk in einem Staat, «in dem es als schweres Verbrechen gilt, Bücher zu besitzen oder zu lesen». Dies, weil sie als Hauptquelle für nicht systemkonformes Denken und Handeln gelten.
Solche Bücher aufzuspüren und zu vernichten ist im Roman Aufgabe der «Feuerwehr», die anstössige Werke an Ort und Stelle verbrennt. Im Übrigen wird die Bevölkerung des Staates von einer autoritären Regierung mittels Fernsehshows und durch Vergnügungsparks bei Laune gehalten. Auch wird aggressives Verhalten belohnt und werden Hetzjagden im Strassenverkehr zu alltäglichen Vergnügen. Ein Fall, wie das Leben in Amerika die Kunst imitiert …
Zwar sagte Ray Bradbury 2007, er habe nicht in erster Linie vor einem totalitären Staat warnen wollen, der seine Macht durch Repression und Zensur zu sichern versucht. Seine ursprüngliche Absicht sei es gewesen, die Zerstörung des Interesses an Büchern durch das Fernsehen zu thematisieren. Doch der Autor, 2012 verstorben, hat Donald Trump und Pete Hegseth nicht mehr erlebt.