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Kommentar 21

Der Gedankenschlosser

2. November 2020
Christoph Kuhn
Friedrich Dürrenmatt ist in seinem Nachlass als ganz Grosser unter den Schriftstellern erst noch zu entdecken.

Im Januar 2021 wird man seinen 100. Geburtstag feiern und schon jetzt geht es los mit einer ihm gewidmeten Ausstellung im Zürcher Strauhof und einem parallel dazu konzipierten Heft der Zeitschrift «Du». Ausstellung und Zeitschrift konzentrieren sich hauptsächlich auf die zweite Lebenshälfte des Dichters, auf den Prosaisten Dürrenmatt, auf den Verfasser der «Stoffe». 

Durch die Fokussierung auf diesen Teil des Dürrenmattschen Werks ändert sich für die meisten von uns unweigerlich die Wahrnehmung, die wir von ihm haben. Das, wofür er zu Lebzeiten populär und berühmt war, was ihm Erfolge und Niederlagen einbrachte, das Theater, gerät in den Hintergrund zugunsten der «Stoffe», eines gigantischen Projekts, einer Mischung aus Autobiografie, Essay, Philosophie, Erzählung. Bloss ein kleiner Teil der Texte wurde zu Dürrenmatts Lebzeiten publiziert; es soll im Nachlass 30’000 Seiten Material geben. Eine Auswahl daraus wird im Gedenkjahr auf den Buchmarkt kommen. 

«Ich gehöre zu den Gedankenschlossern und -konstrukteuren, die Mühe haben, mit ihren Einfällen fertig zu werden …» Ein stimmiges, einleuchtendes Selbstbild, das Dürrenmatt in «Stoffe» von sich entwirft. Man sieht ihn förmlich in der Werkstatt stehen und schaut ihm zu, wie er verbale Metallstücke miteinander verquickt, wie er schweisst und hämmert. Seine Gedanken äussert er bildhaft und seine Sprachbilder sind gedankenschwer. 

Schon in ihrer vorliegenden rudimentären Form gehören die «Stoffe» zum Grossartigsten, was in deutscher Sprache in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschrieben wurde. Und eingedenk der Lust und Beharrlichkeit, mit denen sich der Dichter immer wieder mit letzten Dingen, mit der Welt, dem Weltall beschäftigt, lässt sich auch der Titel der Strauhof-Ausstellung rechtfertigen – sie nennt sich «Kosmos Dürrenmatt». Man betritt diesen Kosmos durch eine Art Schaufenster. Auf einem Riesenbild begegnet man dem von seinem Freund Varlin gemalten Dichter, im Bett liegend; ein Körper, wuchtig und entkräftet zugleich, Hülle für das, was dann im ersten Ausstellungsraum unter dem Titel «das Hirn» seine Sprachmacht entfalten wird.

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