
«There is a new sheriff in town», hat JD Vance in seiner historischen Rede an der Münchner Sicherheitskonferenz den Europäern zugerufen. Der Sheriff ist ein ur-amerikanischer Mythos: der Boss, der kurzen Prozess macht und mit dem Schiesseisen argumentiert.
Wie sehr die Welt sich mit Trumps zweiter Präsidentschaft verändert hat, zeigt die Sprachlosigkeit, mit der seine fortgesetzten Ungeheuerlichkeiten mittlerweile hingenommen werden. In seiner Rede vor dem Kongress letzte Woche war es nur eine kleine Episode: Trump erklärte, er benötige Grönland für die nationale Sicherheit der USA. Und er fügte mit vielsagendem Grinsen an: «Wir kriegen euch, auf die eine oder andere Weise.» So zu reden, ist für das Oberhaupt eines demokratischen Rechtsstaats eigentlich undenkbar. Doch inzwischen ist es nicht nur denkbar, sondern neue Normalität.
Mit Trump treten die USA dem exklusiven Club autokratisch geführter Weltmächte bei, die sich das selbstverständliche Recht herausnehmen, Grenzen zu verschieben. China praktiziert das seit Jahrzehnten im südchinesischen Meer, wo es mit künstlichen Inseln neue Gebietsansprüche geltend macht. Tibet hat es sich schon einverleibt, und Taiwan könnte das nächste Opfer chinesischen Expansionsdrangs werden. Russland hat die Krim und Teile des Donbass annektiert und will die Ukraine durch ihren mit zahllosen Verbrechen geführten Krieg als souveränen Staat auslöschen. Und sollte Putin dies erreichen, so sähe er sich noch lange nicht am Ziel.
Von China und Russland unterscheiden sich die USA dadurch, dass sie eine Demokratie sind, wenn auch eine gefährdete. Denn die Machenschaften von Trump und seiner Kamarilla zielen auf die Substanz demokratisch-liberaler Staatlichkeit. So setzen sie die kritische Presse unter Druck und fördern an deren Statt dubiose mediale Claqueure. Mit einem Feldzug gegen Wissenschaften sabotieren sie die freie Forschung, um dort, wo ihre Politik auf «alternativen Fakten» beruht, freie Hand zu bekommen. Mit unablässiger Wiederholung haben sie die Verschwörungsgeschichte der «gestohlenen Wahl» von 2020 zum Identitätskern der Republikaner erhoben. Damit unterminieren sie die Integrität und Respektierung von Wahlen gnerell. Diese und viele weitere Schläge gegen die Grundlagen der freien Demokratie erzeugen im Ganzen eine gefährliche Dynamik.
Doch bei aller Sorge um die rechtsstaatlich-liberale Demokratie in den USA wird eine andere Dimension der Trumpschen Kahlschlagpolitik bislang erstaunlich wenig beachtet. Der sich als Boss gebärdende Präsident hat sich daran gemacht, den modernen Staat aus den Angeln zu heben. Dieser Staat ist, wo immer er funktioniert, ein fein austariertes Konstrukt aus politischen Institutionen, aus Staats- und Privatrecht sowie aus einer dem Ethos des Staatsdienstes verpflichteten Verwaltung. Moderne Staatlichkeit ist ferner angewiesen auf eine politische Kultur, in der Meinungspluralismus herrscht und in der es den Parteien obliegt, die Artikulation von Überzeugungen und Interessen zu organisieren. Ein weiteres Element dieses empfindlichen Konstrukts ist die Zivilgesellschaft, die sich aktiv in ihre eigenen Angelegenheiten einbringt. Und schliesslich ist kein moderner Staat denkbar ohne kritische Begleitung durch eine von unabhängigen Akteuren geschaffene Öffentlichkeit.
Schon diese summarische Beschreibung dessen, was einen modernen Staat ausmacht, zeigt auf, dass Trump genau auf dessen tragende Elemente losgeht. Er verachtet die politischen Institutionen, das Recht ist ihm schnuppe, die Staatsverwaltung lässt er von Musk verschrotten. Die eigene Partei hat er zum Trump-Fanclub heruntergewirtschaftet. Mit rigorosem Freund-Feind-Denken trachtet er danach, jegliche zivilisierte Auseinandersetzung in seinem Land zu ersticken und die Lebenselemente der gesellschaftlichen Partizipation wie der öffentlichen Debatte zu zerstören.
Vom Staat und seinen Organen redet Trump eigentlich nur voller Hass und Verachtung. Genauso verwirft er internationale Organisationen und Regulierungen, welche den Strukturen moderner Staatlichkeit auf globaler Ebene entsprechen: WHO, UN-Menschenrechtsrat, Unwra, Unesco, Pariser Klimaabkommen, Transpazifische Partnerschaft TPP haben die USA unter seiner Führung verlassen. Vielleicht erscheinen demnächst auch die Nato und die Uno auf dieser Liste.
Indem er sich mit Leuten umgibt, die ihm bedingungslos folgen und hofieren, macht Trump den Sinn des Kabinetts als eines diskutierenden und Lösungen suchenden Gremiums obsolet. Loyalität entscheidet alles, Kompetenz ist irrelevant, Eigenständigkeit ein No-Go. An der von der Verfassung vorgegebenen Präsidentenrolle interessiert ihn nur die grosse Macht, die sie ihm gibt – und selbst die ist ihm nicht genug; daher all die Bestrebungen, die präsidiale Machtfülle zu erweitern.
Es geht immer um ihn als Person. Die geforderte Loyalität gilt nicht seinem Amt, sondern ihm persönlich. Trump hat zwar politische Vorstellungen, aber keine Ideologie. Eine solche braucht er nicht, sie würde ihn nur einengen. Das Einzige, worauf er sich beruft, ist seine Genialität als Dealmaker, eine rein formale Qualifikation ohne jeden Inhalt. Deshalb kann er die Richtung von einem Moment auf den anderen wechseln.
Trumps Herrschaft ist eine reine Form des Personenkults. Merkmale der Fankultur halten seine Anhängerschaft zusammen, politische Schlagworte («MAGA») sind sekundär, politische Programminhalte inexistent. Sollten die in der Anhängerschaft begeistert begrüssten Zölle sich in einem Jahr als Rohrkrepierer erweisen und der Boss eine Kehrtwendung hinlegen, würden die Fans umgehend deren Abschaffung bejubeln.
Stabil an der Trumpschen Herrschaftsform ist ihre vor allem innenpolitische Markierung von Feinden. Aussen kann das mit der Feindschaft je nach Opportunität schnell ändern, aber die Fronten im Innern stehen fest. Feinde sind unter anderem das Woke, das Fremde, die Migranten, das weltläufig Urbane, das Akademische, die kritischen Medien. Schon Carl Schmitt hat in seiner antimodernen Staatstheorie die These aufgestellt, der Kern des Politischen sei die Unterscheidung von Freund und Feind. Trump bewegt sich – ohne es zu wissen, denn er liest ja keine Bücher – ganz auf dieser Linie. Sie hat nicht unwesentlich zur Formierung des NS-Staats beigetragen.