Russland behauptet, ukrainische Drohnen hätten eine Residenz von Putin attackiert, die alle abgewehrt worden seien. Der Kreml, dessen Streitkräfte seit vier Jahren ukrainische Städte und Dörfer bombardieren, spricht von «terroristischen Methoden des Kiewer Regimes». Die Ukraine dementiert die behaupteten Angriffe. Will Putin mit dieser scheinheiligen Opfer-Inszenierung die laufenden Verhandlungen bremsen?
Der angebliche ukrainische Drohnenangriff auf eine Putin-Residenz in der Region Novgorod soll laut einer Erklärung des russischen Aussenministers Lawrow in der Nacht auf den Montag erfolgt sein – also nur wenige Stunden nach den amerikanisch-ukrainischen Konsultationen über einen möglichen Friedensplan in Trumps Anwesen Mar-a-Lago in Florida.
«Komplette Fabrikation»
Am Montagnachmittag hat Trump erneut mit dem Kremlchef Putin telefoniert, offenbar um über den neuesten Stand seiner Gespräche mit Selenskyj zu informieren. Bei diesem jüngsten Telefongespräch, so berichtete später Putins Berater Juri Uschakow, soll der russische Machthaber dem US-Präsidenten über den ukrainischen Drohnenangriff auf sein Anwesen Valdai, das zwischen Moskau und St. Petersburg liegt, erzählt haben. Uschakow berichtete weiter, Trump sei über diesen Angriff «schockiert» gewesen. Putin habe erklärt, es werde eine «sehr ernsthafte Antwort» auf diese «terroristische Attacke» geben. Aussenminister Lawrow sagte im gleichen Zusammenhang, Russland werde die laufenden Verhandlungen zum Krieg in der Ukraine nicht verlassen, aber man werde die eigene Verhandlungsposition überdenken.
Die ukrainische Regierung hat die angebliche Drohnen-Attacke gegen eine Putin-Residenz vehement bestritten. Präsident Selenskyj bezeichnete diese Behauptung schon am Montag als «komplette Fabrikation». Offenbar gehe es Moskau mit dieser erfundenen Geschichte darum, die Verhandlungen über eine Beendigung des Krieges zu erschweren oder gar zu torpedieren. Bisher sind von russischer Seite keine Beweise wie Trümmerteile abgeschossener Drohnen über die angebliche Attacke gegen das Putinsche Anwesen publiziert worden. Auch zur Frage, ob sich Putin während des behaupteten Angriffs in der Nacht auf den Montag in dieser Residenz aufgehalten hat, gibt es keine Angaben. Putin verfügt neben seinem Hauptwohnsitz Nowo-Ogarjowo ausserhalb von Moskau in ganz Russland über eine Reihe von Residenzen, die alle streng bewacht werden.
Der Aggressor inszeniert sich als Opfer
Was immer die tatsächlichen Fakten über den von Moskau behaupteten und von Kiew resolut bestrittenen Angriff gegen ein Putinsches Anwesen sein mögen – die russische Empörung über diese Geschichte und die dazu in Aussicht gestellten Konsequenzen machen einen hochgradig inszenierten Eindruck. Seit dem 24. Februar 2022 führt Russland einen gnadenlosen Angriffskrieg gegen die Ukraine, der von Moskau verharmlosend als «spezielle Militäroperation» bezeichnet wird. Zehntausende von Soldaten sind bisher bei diesem Krieg getötet, Hunderte von ukrainischen Dörfern und Städten zerstört, Millionen von Bürgern in die Flucht getrieben worden, jede Nacht werden die Einwohner in grossen Städten wie Kiew, Charkiw, Odessa oder Saporischja durch Gleitbomben, Drohnen oder Raketen terrorisiert.
Und nun beklagt sich Putin bei seinem jüngsten Telefongespräch mit Trump bitter über eine abgewehrte Drohnen-Attacke gegen eine seiner Residenzen in einem Waldgebiet zwischen Moskau und St.Petersburg, die wahrscheinlich gar nicht stattgefunden hat. Putins Höflinge empören sich scheinheilig über «terroristische Methoden des Kiewer Regimes» und sein eifrigster Wadenbeisser, der frühere Präsident Dmitri Medwedew, beschimpft Selenski im gleichen Zusammenhang als «stinkenden Kiewer Bastard», der «sein wertloses Leben» nun bis zu dessen Ende verstecken müsse. Diese offenkundig orchestrierte Selbstdarstellung des russischen Aggressors als Opfer einer niederträchtigen Attacke von Seiten des angegriffenen Nachbarlandes riecht penetrant nach billiger Propaganda.
Wie reagiert Trump?
Und selbst wenn einiges an dieser Geschichte zutreffen sollte und ukrainische Drohnen tatsächlich einen Wohnsitz des Kriegsherrn Putin angegriffen haben sollten – wo liegt das angebliche terroristische Verbrechen? Darf ein von fremden Armeen überfallenes Land sich nicht mit allen Mitteln gegen den Angreifer zur Wehr setzen? Darf der Wohnsitz des angreifenden Machthabers, dessen Geheimdienste nach verschiedenen Berichten schon mehrere Anschlagsversuche gegen Präsident Selenskyj unternommen haben und der ohne Skrupel auch Regierungsgebäude in Kiew beschiessen lässt, nicht ins Drohnen-Visier genommen werden? Wer dazu Empörung vorspielt und von Terrorismus fabuliert, entlarvt sich selbst als Heuchler.
Die Frage stellt sich, ob und wie weit der «Friedensvermittler» Trump sich von diesem Moskauer Entrüstungstheater im laufenden Verhandlungsprozess zur Beendigung des Ukrainekrieges beeinflussen und manipulieren lässt. Wird er die von Putin erfundene oder hochgespielte Episode benutzen, um Selenskyj noch stärker unter Druck zu setzen, die russischen Konzessionsforderungen zu akzeptieren? Oder wird er Putins Opfer-Inszenierung durchschauen, der Ukraine ernsthaft den Rücken stärken und endlich auch vom Kreml mehr Entgegenkommen für eine Friedenslösung mit seriösen Sicherheitsgarantien verlangen? Die bisherigen Erfahrungen sprechen nicht dafür, dass Trump sich für diese Ukraine-freundliche Variante entscheiden könnte.