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Kommentar 21

Denn sie wissen nicht, was sie tun

1. Dezember 2016
Heiner Hug
Chronik eines angekündigten Desasters

Es ist eine radikale Verfassungsreform, die Italiens Ministerpräsident an diesem Sonntag seinem Volk zur Annahme präsentiert. Das italienische Zweikammernsystem soll faktisch ein Einkammernsystem werden. Damit soll das parlamentarische Palaver eingedämmt und das Land endlich regierbarer werden. Es wäre die einschneidendste Reform seit Abschaffung der Monarchie und Ausrufung der Republik im Januar 1948.

Doch das Volk scheint nichts davon wissen zu wollen. Sagen die Italienerinnen und Italiener am Sonntag Nein zu der Vorlage, will Matteo Renzi zurücktreten. Das könnte kapitale Folgen haben. Auch für Europa.

Zwar würde Italien auch diesmal nicht untergehen, aber das Land würde um viele Jahre zurückgeworfen. Strukturreformen gäbe es im kranken, reformbedürftigen Belpaese, das unter einer riesigen Schuldenlast stöhnt, für lange Zeit keine. Ein Nein würde im Ausland als Nein zu Reformen verstanden. Ausländische Investoren würden Italien noch weniger trauen als bisher. Die notleidenden Banken würden kein zusätzliches Geld erhalten.

Doch den Italienern ist das alles egal. Lethargisch wie immer leben sie ihr Schicksal. Laut Umfragen wird die Hälfte des Volkes gar nicht stimmen gehen. Kaum jemand befasst sich mit möglichen wirtschaftlichen Konsequenzen eines Nein. „Es ist ja ohnehin alles für die Katz.“ So lautet die Lebensphilosophie der meisten Italiener. Wieder einmal zeigt sich die resignierende, fast masochistische Ader dieses Volkes. „Wer auch immer regiert“, heisst es, „besser wird es nicht.“ Doch Renzi hat gezeigt, dass es besser werden könnte. Keiner hat in kurzer Zeit so viel erreicht wie er.

Seit langem kämpfen die Oppositionsparteien für seinen Sturz, um selbst an die Macht zu gelangen. Auch der linke Flügel seiner eigenen Partei ist gegen ihn. Mit viel Populismus und Gift wird Renzi in die Enge getrieben. Wenn er stürzt, könnte die populistische, Euro- und Europa-kritische „5 Sterne-Bewegung“ mit ihrem Klamauk-Häuptling Beppe Grillo an die Macht gelangen. Ihr lautes, mässig begabtes Personal hat vor allem eines gezeigt: dass es bisher gar nichts geleistet hat. Es fehlt den „5 Sternen“ an Persönlichkeiten und an jeder Erfahrung. Auch Berlusconis Forza Italia ist zerstritten und ausgelaugt. Die Lega-Nord, die vom Trump-Effekt profitieren möchte, trumpft immer mehr mit rassistischen Tiraden auf. Renzi ist in Italien im Moment der einzige Stabilitätsfaktor. Doch sein forsches, manchmal überhebliches Auftreten hat ihm geschadet. Verliert er das Plebiszit, diese „Mutter aller Schlachten“, wird es mindestens zehn Jahre dauern, bis sich eine starke, regierungsfähige Mannschaft etabliert hat.

Letzte Meinungsumfragen sagen dem Nein-Lager einen Vorsprung von 5 Prozent voraus. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, wird Renzi stürzen. Italien steht dann vor heftigen Turbulenzen. Die Renzi-Anhänger haben nur noch eine Hoffnung: dass sich die Meinungsforscher täuschen – so wie beim Brexit und in den USA.

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