Direkt zum Inhalt
  • Politik
  • Kultur
  • Wirtschaft
  • Gesellschaft
  • Medien
  • Über uns
close
Medien

«Das Auge Gazas» sieht nicht mehr

24. April 2025
Ignaz Staub
Fatima Hassouna
Die am 16. April 2025 bei einem Luftangriff der IDF in Gaza getötete 25-jährige Fotografin Fatima Hassouna (Bild: Instagram)

Seit Jahresbeginn sind weltweit 16 Medienschaffende getötet worden, 14 allein in Gaza. Seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 sind mindestens 166 Journalistinnen und Journalisten Opfer des Krieges geworden, wobei Israels Armee der NGO Committee to Protect Journalists (CPJ) zufolge 35 Medienleute gezielt getötet hat. Jüngstes Opfer: die 25-jährige Fotojournalistin Fatima Hassouna, als «das Auge Gazas» bekannt und Protagonistin eines Dokumentarfilms, der in Cannes gezeigt werden wird.

Es ist die alte Leier: Die israelische Armee (IDF) behauptet, Ziel eines Luftangriffs Mitte vergangener Woche sei «ein Terrorist der Gaza-City-Brigade der Hamas» gewesen. Doch getroffen worden an der Al-Nafak-Strasse im Norden Gazas ist das Haus der Familie Hassouna: Die 25-jährige Fotografin Fatima, ihre schwangere Schwester und neun weitere Familienmitglieder starben. Ihre Eltern überlebten schwer verletzt. Fatima hätte in einer Woche geheiratet. 

Zwar teilten die IDF mit, sie würden jeweils Massnahmen treffen, um den Schaden für Zivilisten in Grenzen zu halten: «Der Terrorist plante und führte Terrorattacken gegen Truppen der IDF und israelische Zivilisten aus.» Nähere Angaben aber gab es wie meist in solchen Fällen keine. Das Palestinian Journalists’ Protection Center (PJPC) dagegen nannte den israelischen Luftangriff ein Verbrechen gegen Medienschaffende und eine Verletzung des internationalen Rechts.

«Ich will einen lauten Tod»

«Wenn ich sterbe, will ich einen lauten Tod», hatte Fatima Hassouna in den sozialen Medien geschrieben: »Ich will nicht nur Breaking News oder eine Zahl unter anderen sein. Ich will einen Tod, von dem die Welt erfährt, Auswirkungen, die über die Zeit hinaus anhalten und ein immerwährendes Bild, das weder die Zeit noch ein Ort auslöschen kann.» Mit dem Dokumentarfilm «Put Your Soul On Your Hand And Walk» der in Frankreich exilierten iranischen Regisseurin Sepideh Farsi geht Fatima Hassounas Wunsch zumindest teilweise in Erfüllung. Sie hatte am Vorabend ihres Todes noch erfahren, dass der Film in Cannes gezeigt werden wird. «Mein letztes Bild von ihr ist ein Lächeln», postete Farsi zwei Tage nach Hassounas Tod: «Ich klammere mich daran.»

Sepideh Farsi nennt ihren Film «ein Fenster, geöffnet durch eine wunderschöne Begegnung mit Fatima, auf das anhaltende Massaker von Palästinenserinnen und Palästinensern». Die Iranerin befürchtet, dass die Fotografin von den IDF gezielt getötet worden ist.18 Monate lang hatte Fatima Hassouna unerschrocken das Kriegsgeschehen in Gaza dokumentiert: die Luftangriffe, die Zerstörungen, die endlosen Vertreibungen und all die Toten. Ihre Leute nannten sie «das Auge Gazas».

Auf Facebook und Instagram hatte Fatima Hassouna mehr als 35’000 Follower. «Mit ihrer Kamera dokumentierte sie Massaker, inmitten von Bomben und Gewehrfeuer, und fing das Leiden und die Schreie der Menschen in ihren Bildern ein», erinnert sich Anas al-Shareef, ein Reporter Al Jazeeras in Gaza: «Die Besatzung tötet nicht nur Menschen, sie lässt auch Stimmen verstummen, löscht Bilder aus und begräbt die Wahrheit.»   

«Fatimas starke Bilder, die das Leben unter der Besatzung dokumentieren, sind weltweit veröffentlicht worden und werfen ein Licht auf den menschlichen Tribut des Krieges», lässt das PJPC verlauten. Eine Woche vor ihrem Tod hatte die Fotografin noch Aufnahmen von Fischern am Strand in Gaza gepostet – mit einem kurzen Gedicht: «Von hier aus lernst du die Stadt kennen. Du betrittst sei, aber du gehst nicht fort, weil du sie nicht verlassen wirst und auch nicht verlassen kannst.» 

Kein Einzelfall

Fatimas Hassounas Tod ist kein Einzelfall. Am Abend des 25. Dezember 2024 brachte der 28-jährige Ayman al-Gedi seine hochschwangere Frau Dania ins Al-Awda-Spital im Flüchtlingslager Nuseirat. Danach ging er mit vier Kollegen des Fernsehsenders Al-Quds Today essen und bat die Kollegen später, den deutlich als TV-Fahrzeug beschrifteten Van in der Nähe des Spitals zu parkieren, um die Geburt seines Kindes ja nicht zu verpassen. 

Gegen zwei Uhr nachts traf eine Bombe der israelischen Luftwaffe das Fahrzeug und tötete alle fünf Journalisten im Innern des Wagens: ausser Ayman al-Gedi auch Faisal Abu al-Qumsan, Ibrahim Sheik Ali, Mohammed al-Lada’a und Fadi Hassouna. Stunden später gebar Dania al-Gedi einen Sohn, ohne zu wissen, was mit ihrem Mann geschehen war. Die fünf Journalisten wurden gemeinsam bestattet, ihre Leichen in weisse Tücher gehüllt und mit ihren blauen Presse-Westen bedeckt.

Die israelische Armee bestätigte den Luftangriff. Sie teilte mit, sie habe «einen präzisen Angriff auf ein Fahrzeug mit einer Terroristenzelle des Islamischen Dschihad im Gebiet von Nuseirat» geflogen. Die fünf Männer seien in Tat und Wahrheit Kämpfer gewesen, die als Reporter posiert hätten; die fünf seien «Kampfpropagandisten» gewesen. Nähere Belege oder Antworten auf Fragen bezüglich der Attacke lieferten die IDF nicht. «Das absichtliche Ins-Visier-Nehmen von Journalisten ist ein Kriegsverbrechen», liess das CPJ verlauten: «Israel hat wiederholt ähnlich unbewiesene Behauptungen geäussert, ohne glaubwürdige Belege dafür zu liefern.»

Journalistinnen auch verhaftet

Zwölf Tage zuvor, am 13. Dezember 2024, hatte sich Radiojournalistin Eman al-Shanti in einem Post in den sozialen Medien gewundert, wie sie und ihre Familie es geschafft hätten, 14 Monate massiver israelischer Bombenangriffe auf Gaza zu überleben: «Wie ist es möglich, dass wir immer noch am Leben sind?» Wenige Stunden später war Eman tot. Ein Luftangriff auf ihre Wohnung im Quartier Sheik Radwan in Gaza City tötete sie, ihren Mann Helmi und ihre drei kleinen Kinder Alma, Omar und Bilal. Allein ihre 13-Jährige Tochter Banan überlebte schwer verletzt. 

Eman al-Shanti hatte während mehr als eines Jahrzehnts für lokale Radiostationen gearbeitet und Sendungen moderiert. Ihre Kollegen glauben, dass sie und ihre Familie gezielt attackiert worden sind, weil sie Journalistin war. Jedenfalls war ihr Apartment die einzige Wohnung, welche die IDF angriffen und zerstörten. Gemäss Kiran Nazish, der pakistanischen Direktorin der NGO Coalition für Women in Journalism (CFWIJ), haben die Israelis seit Kriegsbeginn in Gaza 27 Journalistinnen getötet und 49 weitere verwundet (Stand Ende 2024). 75 Journalistinnen sind festgenommen worden; zwei werden vermisst. 

«Jeder ist ein Feind»

Israelische Stellen mochten den Vorfall in Gaza City nicht kommentieren – ebenso wenig wie zwei Angriffe am 15. März 2025 in Beit Lahia, die mindestens zwei Journalisten töteten. Die IDF erklärten ohne nähere Belege, der eine sei Mitglied der Hamas, der andere Anhänger des Islamischen Dschihad gewesen. Offenbar gilt, was der Zeitung «Ha’aretz» zufolge der Kommandant einer Golani Brigade unlängst beim Briefing vor einem Einsatz in Gaza seiner Truppe mitgeteilt hat: «Jeder, dem ihr begegnet, ist ein Feind. Ihr seht eine Person – eröffnet das Feuer, eliminiert und geht weiter.» Dieser Logik zufolge sind auch Sanitäter, Kleinkinder und ganze Familien Feinde Israels. Und sie gilt offenbar auch für Journalistinnen und Journalisten.   

An sich ist der Sachverhalt klar: Medienschaffende sind gemäss dem Zusatzprotokoll I der Genfer Konventionen als Zivilisten geschützt, wenn sie in gefährlichen Missionen in Kriegsgebieten tätig sind. Der Schutz gilt, solange sie nicht an Feindseligkeiten teilnehmen. Sie dürfen zum Beispiel keine Waffen tragen, keine Kampfhandlungen durchführen oder sich an der Planung oder Ausführung von Angriffen beteiligen.

Missachung des Rechts

Gleichzeitig anerkennen die Genfer Konventionen die Bedeutung der Medien für die öffentliche Wahrnehmung von Kriegssituationen. Doch mit Ausnahme von kontrollierten Einsätzen mit «embedded» Medienschaffenden lässt die israelische Armee weder nationale noch internationale Medien zur freien Berichterstattung ins Kriegsgebiet in Gaza.

In einem Leitartikel zum Fall der 15 im März getöteten palästinensischen Rettungskräfte hat «Ha’aretz» Anfang April kein Blatt vor den Mund genommen und die Reaktion der IDF als inadäquat kritisiert – «besonders angesichts freizügiger Einsatzregeln der Armee im Gazastreifen sowie des Umstands, dass Offiziere im Feld internationales und selbst israelisches Recht ignorieren». Auch wenn, so der Leitartikel, die Regierung in Jerusalem es gerne sähe, dass der Krieg für immer weitergehe, werde er eines Tages enden: «Und an diesem Tag, werden die IDF und die israelische Gesellschaft als Ganzes gezwungen werden, in den Spiegel zu schauen und sich mit der Gewissheit auseinanderzusetzen, dass diese Grausamkeiten in unserem Namen geschehen sind.»

Ähnliche Artikel

«Mit Widersprüchen gespickt»

Ignaz Staub 22. April 2025

Letzte Artikel

Lasten der Geschichte und dräuende Apokalypse

Patrick Straumann 19. Mai 2025

Amerikas «ICH-MIR-MEIN»-Präsident

Ignaz Staub 19. Mai 2025

Rechtsruck – und keine tragfähige Mehrheit

Thomas Fischer 19. Mai 2025

Rutscht Polen ins rechtspopulistische Lager?

Heiner Hug 19. Mai 2025

Rot ist nicht Rot ist nicht Rot

Eduard Kaeser 18. Mai 2025

Das Kontrastive auf kleinstem Raum

Carl Bossard 18. Mai 2025

Newsletter abonnieren

Abonnieren Sie den kostenlosen Newsletter!

Abonnieren Sie den kostenlosen Newsletter!

Zurück zur Startseite
Leserbrief schreiben
Journal 21 Logo

Journal 21
Journalistischer Mehrwert

  • Kontakt
  • Datenschutz
  • Impressum
  • Newsletter
To top

© Journal21, 2021. Alle Rechte vorbehalten. Erstellt mit PRIMER - powered by Drupal.