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Kommentar 21

Bravo, Ignazio Cassis!

2. Mai 2025
Reinhard Meier
Reinhard Meier
Iganzio Cassis
Aussenminister Ignazio Cassis am Mittwoch in Bern bei der Erklärung des bundesrätlichen Entscheids über die Spielregeln eines Volksentscheids zu den Bilateralen III. (Foto: KEYSTONE/Anthony Anex)

Offiziell bestätigt ist es zwar nicht, aber die Spatzen aller Medien pfeiffen es von den Dächern: Ignazio Cassis hat bei der Vorentscheidung des Bundesrates über die Volksabstimmung zum EU-Vertragspaket Bilaterale III den Ausschlag gegeben. Mit seiner Stimme hat er dafür gesorgt, dass allein die Volksmehrheit über Annahme oder Ablehnung dieser Verträge entscheidet. Das von den rabiaten EU-Gegnern verlangte Ständemehr kommt nicht zum Zuge. 

 

Anders als vor vier Jahren, als der Bundesrat nach siebenjährigen Verhandlungen das abgeschlossene Vertragspaket über ein sogenanntes Rahmenabkommen mit der EU (Bilaterale III) mit Mehrheitsentscheid zurück an den Verhandlungstisch schickte, hat das Regierungskollegium in dieser Woche entschlussfreudiger und mit mehr Führungskraft gehandelt. Er hat entschieden, dass beim zukünftigen Volksentscheid über die inzwischen neu ausgehandelten Verträge die einfache Mehrheit der Stimmbürger ausschlaggebend sein soll. 

Gegen die «Killer-Bedingung» eines Ständemehrs

Für diesen Entscheid hat im siebenköpfigen Bundesrat die Stimme von Aussenminister Ignazio Cassis den Ausschlag gegeben. Auch wenn darüber bei der offiziellen Bekanntgabe des Beschlusses am Mittwoch wie üblich nicht offiziell informiert wurde, so besteht laut allen Kommentatoren und Insidern von links bis rechts kein Zweifel, dass diese Entscheidung mit vier gegen drei Stimmen zustande kam.

Klar war von Anfang an, dass die beiden SVP-Bundesräte Parmelin und Rösti für die Bedingung eines Ständemehrs bei der Volksabstimmung über die Bilateralen III eintreten würden. Denn dieses Ständemehr, das heisst die Zustimmung einer Mehrheit aller Kantone neben der Mehrheit aller Stimmbürger, ist nach übereinstimmender Meinung die sicherste Garantie, um die neuen Verträge mit der EU bachab zu schicken und somit eine stabile Anbindung der Schweiz an die Europäische Gemeinschaft zu verhindern. Angeschlossen hat sich Ihnen laut allen  Quellen  Bundespräsidentin Keller-Sutter. 

Gegen diese «Killer-Bedingung» eines Ständemehrs haben im Bundesratskollegium offenkundig die beiden SP-Vertreter Baume-Schneider und Jans votiert, sowie Martin Pfister, der neue Mitte-Bundesrat. Dass Pfister, der sich bei seiner Bewerbung um dieses Amt – im Gegensatz zu seinem parteiinternen Konkurrenten, dem stockkonservativen Markus Richter – als liberaler, weltoffener Geist profiliert hatte, sich für eine einfache Volksmehrheit entscheiden würde, ist keine grosse Überraschung. 

Die Mehrheit im Regierungskollegium gegen die Ständemehr-Bedingung sicherte erst die Stimme von Ignazio Cassis, der sich in dieser Frage für eine andere Richtung entschied als seine FDP-Parteikollegin Keller-Sutter. Der Aussenminister hat damit sozusagen matchentscheidend dafür gesorgt, dass bei der Abstimmung über die Bilateralen III mit der EU die Befürworter nicht praktisch zum Vornherein chancenlos wären, weil die Mehrheit der kleinen konservativen Kantone ein Ja der Volksmehrheit torpedieren würde. 

Willkommene Vorwärtsstrategie 

Dieser gewichtige Einfluss bei der abstimmungstaktischen Vorentscheidung ist Cassis, der von Kritikern auch in den bürgerlichen Reihen oft als entscheidungsschwacher und orientierungsloser Zauderer kritisiert wurde, hoch anzurechnen. Die Volksabstimmung über die Bilateralen III wird zwar möglicherweise erst in zwei oder drei Jahren stattfinden. In letzter Instanz wird ohnehin das Parlament darüber entscheiden, ob dabei auch ein Ständemehr für die Annahme erforderlich sein wird. Doch der Vorentscheid des Bundesrates über diese Frage ist eine politisch und psychologisch bedeutsame Weichenstellung. Er signalisiert eine willkommene Vorwärtsstrategie bei der Regelung des Verhältnisses unseres Landes zum grossen Verbund der europäischen Nachbarn und Handelspartner. Und damit eine tendenzielle Abkehr von der Politik der ewigen Aufschübe, Blockierungen und Unsicherheiten in diesem kardinalen aussenpolitischen Themenbereich. 

Als ein Hauptargument gegen ein Ständemehr hat Bundesrat Cassis darauf hingewiesen, dass auch bei den Volksabstimmungen über die Bilateralen I und II die Spielregel einer einfachen Volksmehrheit zur Anwendung kam. Weshalb das bei der anstehenden Abstimmung über das Vertragspaket III anders sein soll, leuchtet nach logischen Kriterien überhaupt nicht ein. Dass Cassis bei der Vorstellung der bundesrätlichen Entscheidung am Mittwoch neben juristischen Überlegungen auch taktische Argumente geltend machte, ist von den EU-Gegnern und -Verächtern in den Medien sofort als übles Ränkespiel attackiert worden. Überzeugend kann dieser Vorwurf in keiner Weise. Denn erstens ist bei jedem Entscheid von politischer Tragweite unausweichlich immer auch ein taktisches Element mit im Spiel.

Cassis-Gegner: «Unterwerfungsvertrag», «Verrat» 

Und zweitens haben die Matadore für ein zusätzliches Ständemehr bei der zukünftigen Volksabstimmung über die Bilateralen III damit offensichtlich kaum anderes im Sinn, als mit diesem «Trick» die EU-Verträge zu Fall zu bringen. In einer Internetdiskussion zu diesem Thema hat dieser Tage ein Kritiker vorgerechnet, dass bei Einbezug eines Ständemehrs eine Nein-Stimme aus dem Kanton Uri soviel Gewicht hätte wie 40 Ja-Stimmen aus dem Kanton Zürich. Was ein derartiges Ungleichgewicht mit dem demokratischen Volkswillen zu tun habe, fragt dieser Stimmbürger. 

Und natürlich werfen die schrillen Stimmen aus dem SVP-Lager Bundesrat Cassis auch vor, er habe mit seiner Ablehnung eines Ständemehrs in Sachen Bilaterale III dem «Unterwerfungsvertrag mit der EU» Tür und Tor geöffnet. Der EU-Dämonisierer und notorische Putin-Verklärer Köppel spricht in seiner täglichen Internet-Suada gar von «Verrat», die der Tessiner Bundesrat aus politischer «Unfähigkeit» durch sein Nein zum Ständemehr  begangen habe. Man wird sich im langen politischen Kampf um die Bilateralen III  an solche demagogischen Begriffe aus dem Gift- und Galle-Arsenal der EU-Gegner gewöhnen müssen. 

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