Die kürzlich vom Nationalrat und vom Ständerat beschlossenen Änderungen des Kriegsmaterialgesetzes (KMG) sind widersprüchlich und schaden der Schweiz. Die Argumentation von Bundesrat Parmelin zeugt zudem von einem problematischen Neutralitätsverständnis.
Bei der Lockerung der Beschränkungen des Exports von Rüstungsgütern geht es um drei Artikel im KMG: Art. 18 (Ausnahmen bei Nichtwiederausfuhr-Erklärungen), Art. 22a und Art. 22b (Bewilligungskriterien für Auslandgeschäfte), deren Änderung in beiden Räten eben eingehend diskutiert worden ist.
Zur Erinnerung
Punkt 1: Im Oktober 2021 hat das Parlament als Folge der sogenannten «Korrekturinitiative» (Verhinderung der Ausfuhr von Kriegsnmaterial in Bürgerkriegsländer) mit knapper Mehrheit die Fassung im KMG angenommen, die jegliche Ausnahmen von Ausfuhren oder Wiederausfuhren (durch Drittländer) in Länder, die in interne oder internationale Konflikte involviert sind, verbietet. Dann kam am 24. Februar 2022 der russische Aggressionskrieg gegen die Ukraine. Da war die KMG-Änderung vom Oktober 2021 noch nicht einmal in Kraft. Dies geschah erst am 1. Mai 2022.
Punkt 2: Mehre Länder (u.a. Deutschland, Dänemark) haben den Bundesrat ersucht, das vor Jahrzehnten auferlegte Wiederausfuhrverbot für in der Schweiz gekauftes Kriegsmaterial aufzuheben. Der Bundesrat hat aus «neutralitätsrechtlichen» Gründen alle Gesuche abgelehnt. Dies bewirkte, dass kein Nato-Land mehr Rüstungsgüter in der Schweiz kaufte und kauft. Als Folge davon sind die schweizerische Rüstungsindustrie und IT-Firmen (Dual-Use-Güter) in einer existentiellen Krise – oder wandern ab. Als Folge davon kann auch die Schweizer Armee nicht mehr auf die eigene Rüstungsindustrie bauen.
Punkt 3: Die ersten Bemühungen der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates (SiK-N) im Januar 2023 gingen dahin, durch eine Änderung des KMG die (Wieder-)Ausfuhr von Kriegsnmaterial nach der Ukraine zu erlauben und damit auch das Weiterbestehen der Schweizer Rüstungsindustrie zu ermöglichen.
Punkt 4: In der Botschaft zur Neutralitätsinitiative schrieb der Bundesrat am 27. November 2024 wörtlich: «Sie (die Schweiz) ist völkerrechtlich nicht zur Neutralität verpflichtet».
Punkt 5: In der rüstungspolitischen Strategie des Bundesrates vom 20. Juni 2025 heisst es: «… ist es (der Schweiz) jedoch nicht möglich, Abnehmern von Schweizer Kriegsmaterial zu garantieren, dass sie weiterhin beliefert würden, falls sie selbst in einen internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt werden – auch dann nicht, wenn sie sich selbst verteidigen».
Der Bundesrat widerspricht sich fortwährend selbst
Der Bundesrat beruft sich auch in den beiden parlamentarischen Debatten vom 2. und. 4. Dezember 2025 beharrlich auf das Neutralitätsrecht gemäss den Haager Abkommen von 1907. Er selber schrieb jedoch am 27. November 2024 in der Botschaft zur Neutralitäts-Initiative, die Schweiz sei völkerrechtlich nicht zur Neutralität verpflichtet. Wenn sie dies nicht ist, gibt es auch gar keine diesbezügliche völkerrechtliche Pflicht. Das ist nur logisch. Weshalb widerspricht sich der Bundesrat derart grundlegend?
In der langen Nationalrat-Debatte hat Bundesrat Parmelin die Uno-Charta nicht ein einziges Mal erwähnt. Das kommt nicht von ungefähr. Diese unterscheidet nämlich zwischen einem das zwingende Völkerrecht von Art. 2 Ziff. 4 verletzenden Aggressor-Staat und dem Opferstaat gemäss Art. 51 der Uno-Charta. Damit wurde seit dem Inkrafttreten der Uno-Charta1945 das Gleichbehandlungsgebot (das keineswegs zum zwingenden Völkerrecht gehört) aufgehoben.
Im Ständerat führte Bundesrat Parmelin aus: «Le droit de la neutralité et la Charte des Nations Unies sont applicables en parallèle selon le droit international en vigueur » (Das Neutralitätsrecht und die Charta der Vereinten Nationen sind parallel anwendbar gemäss geltendem Völkerrecht). Begründet hat es dies nicht, bloss apodiktisch behauptet. Begründen könnte er es auch nicht, denn dies trifft nicht zu. Die Haager Abkommen von 1907 waren Kriegsrecht. Das ehemals neutralitätsrechtliche Gleichbehandlungsgebot wurde mit der Uno-Charta als Friedensregelung mit der Unterscheidung zwischen Aggressor- und Opferstaat aufgehoben Eine angebliche Parallelität widerspricht jeder Logik. Um dies zu merken, braucht es keine juristische Ausbildung.
Hinzuweisen ist darauf, dass zwingendes Völkerrecht dem übrigen Völkerrecht, namentlich dem Völkergewohnheitsrecht, vorgeht. Das zwingende Völkerrecht ist dem anderen übergeordnet. Übrigens auch in der Bundesverfassung (Art. 193 Abs. 4 und Art. 194 Abs. 2).
Ungeheuerliche Formulierung
Im Nationalrat wurde Bundesrat Parmelin gefragt, ob die Schweiz im Fall eines Angriffs auf ein Nato-Land Kriegsmaterial in dieses auch zur Wiederausfuhr in ein anderes Nato-Land liefern würde. Bundesrat Parmelin antwortete: «Pour le dire autrement, si demain l'Estonie entrait dans un conflit armé international contre la Russie,… » (Anders gesagt, wenn morgen Estland in einen Konflikt mit Russland träte…). Im Klartext: Wenn Estland morgen Russland angriffe!
Dass diese Formulierung nicht bloss ein (allerdings unentschuldbarer) sprachlicher Ausrutscher war, zeigen seine Ausführungen zwei Tage später im Ständerat. Nachdem Parmelin zweimal hypothetisch vom Fall eines russischen Angriffs auf Polen gesprochen hatte, kehrte er dies einen Satz später wieder um: «Cela signifie concrètement que seules les exportations de matériel de guerre qui ne contribuent pas aux opérations militaires de la Pologne contre la Russie ou qui ne sont pas appropriées à une utilisation d'un conflit pourraient être autorisées.» (Das bedeutet konkret, dass nur Exporte von Kriegsmaterial, das keinen militärischen Operationen von Polen gegen Russland dient oder die für einen solchen Gebrauch gedacht sind, erlaubt werden könnten.) Es geht nach ihm also um Kriegsmaterial, das nicht zu militärischen Operationen dient. Eigenartige Logik!
Widersprüchliches und Unmögliches
Im neu formulierten Art. 22a Abs. 2bis wird festgelegt, dass Ausfuhrgesuche von Ländern einer Liste von 25 angehören, von der Einzelbewilligungspflicht ausgenommen seien. Der Bundesrat kann aber bei Vorliegen ausserordentlicher Umstände und aus aussen-, neutralitäts- oder sicherheitspolitischen Interessen der Schweiz (das neutralitätspolitische Kriterium ist neu) eine Ausfuhr ablehnen.
Diese Liste ist eine mehr oder weniger willkürliche Zusammenstellung «westlicher» Länder von 2011. Sie ist von einem neutralitätspolitischen Standpunkt her nicht haltbar. Es fehlen darin auch Länder, die heute zu den Schengen-Staaten gehören. Zudem wurde mehrfach erklärt, diese Länder folgten den gleichen Werten wie die Schweiz und verfügten über eine gleichwertige Waffenexportkontrolle. Beides trifft so nicht zu. Von den Werten her sind die USA mittlerweile weit davon entfernt. Auch für Ungarn und die Slowakei stimmt dies derzeit nicht. Die USA würden hemmungslos in der Schweiz gekauftes Kriegsmaterial in ihrem War on Drugs verwenden oder an Staaten wiederausführen, in denen die Menschenrechtssituation den Kriterien des KMG bei weitem nicht entspricht. Auch andere Staaten in dieser Liste könnten schweizerische Rüstungsgüter in solche Länder wiederausführen. Damit widerspricht sich diese Gesetzgebung selbst. Es ist umgekehrt schwer vorstellbar, dass der Bundesrat in der gegenwärtigen Situation einen Verkauf von Kriegsmaterial an die USA ablehnte. Das revidierte KMG verlangt Unmögliches, erst recht, da Bundesrat Parmelin im Parlament erklärt hat, der Bundesrat werde diese Liste nicht ändern.
Zudem hat das Parlament einen neuen Art. 22b ins KMG eingefügt: Abweichung des Bundesrates von den Bewilligungskriterien für Auslandsgeschäfte. Demnach darf der Bundesrat von den Exportrestriktionen abweichen, wenn ausserordentliche Umstände vorliegen und aussen- oder der sicherheitspolitischen Interessen des Landes dies erfordern. Zum einen beschränkt sich diese Befugnis nun nicht auf diese Liste der 25 Länder, zum zweiten werden hier keine neutralitätspolitischen Interessen angeführt.
Um den Waffenhandelsvertrag nicht zu verletzen, der für jede Aus- und Durchfuhr (gleich Wiederausfuhr) eine Bewilligung verlangt, wird das Seco gemäss Ausführungen von Bundesrat Parmelin jedes Gesuch prüfen, auch wenn jetzt im Gesetz steht, solche von den 25 Ländern würden generell bewilligt.
Darauf werden sich ausländische Käufer nicht einlassen. Sie werden sich vielmehr daran erinnern, was in der rüstungspolitischen Strategie (s. Punkt 5) zu lesen war: keine Kriegsmaterialausfuhr an Länder, die in einen bewaffneten Krieg involviert sind, selbst wenn sich diese vereidigen müssen. Der schweizerischen Rüstungsindustrie ist damit ein Bärendienst geleistet.
Worum ging es denn bisher?
In einem Interview in der NZZ vom 3. Dezember 2025 mit Nationalrat Salzmann wird dieses Verwirrspiel nun auf die Spitze getrieben. Salzmann erklärte, die jetzt geltenden scharfen Regeln für Rüstungsexporte basierten «primär nicht auf dem Neutralitätsrecht, sondern auf ethischen und moralischen Überlegungen». Der Bundesrat hat aber bisher alle Wiederausfuhrgesuch aus neutralitätsrechtlichen und nicht aus moralischen Gründen abgelehnt. Dabei hat er im Gegenteil jegliche ethischen Gründe ignoriert. Denn gegenüber Kriegsverbrechen kann es keine moralische Neutralität geben.
Nationalrat Salzmann sagt dann weiter: «Wir wollen keine Lex Ukraine.» Damit widersprach er dem SVP-Fraktionschef, der öffentlich erklärt hatte, man wolle Kriegsmaterial-Wiederausfuhren an die Ukraine verhindern. Salzmann führt sodann aus, Deutschland und die Niederlande hätten dieselben Exportkontrollen und Werte wie wir. Exportkontrollen offensichtlich nicht, sonst hätten sie keine Wiederausfuhrgesuche gestellt.
Es geht einfach darum, Kriegsmaterial-Wiederausfuhren an die Ukraine aus vorgeschobenen Gleichbehandlungsgründen weiterhin zu verweigern, um damit Russland aus rein wirtschaftlichen Interessen besänftigen zu wollen. Gleichzeitig wird so zwingendes Völkerrecht restlos ignoriert. Dabei werden, wie erwähnt, auch gleich noch die eigenen industriepolitischen Interessen übersehen.
Jede anständige Neutralitätspolitik wird damit ad absurdum geführt. Der Bevölkerung, die von dieser widersprüchlichen und ethisch untragbaren Argumentation möglicherweise nichts mitbekommt, werden moralische Motive vorgegaukelt. Diese Haltung schlägt jeglichen ethischen Anforderungen ins Gesicht. Der Glaubwürdigkeit von Bundesrat und Parlament dient dies nicht, im Gegenteil.