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Schweiz

Ausschaffen hat auch mit Feigheit zu tun

8. Oktober 2010
Peter Hug
Mit der Ausschaffung von Tätern ohne Schweizer Pass lässt sich vielleicht das Bedürfnis nach Rache befriedigen. Doch mit der Abschiebung von hier aufgewachsenen Menschen drückt sich die Schweiz um ihre Verantwortung für die hausgemachte Kriminalität.

Wieder einmal tönt das, was die SVP-Propagandisten und ihre Epigonen verkünden, gar nicht so unvernünftig. Wer das Gastrecht missbraucht und bei uns Straftaten verübt, soll gehen, soll zurück in sein Heimatland. Was spricht denn gegen dieses Prinzip, werden sich viele Stimmbürgerinnen und Stimmbürger fragen?

Tatsächlich ist dieser Grundsatz längst Praxis, sofern es um Taten von Gewicht und eine Strafe von mindestens einem Jahr Gefängnis geht. Allerdings sind nicht alle Kantone in dieser Beziehung gleich streng. Umstritten ist, wie weit diese Praxis verschärft werden soll. Doch bei der Abstimmung vom 28. November geht es in erster Linie um die Frage, ob gewisse Straftaten ohne Rücksicht auf den Einzelfall zur Ausschaffung führen sollen. Die Initiative fordert die automatische Ausschaffung nicht nur bei schweren Gewalt- und Sexualdelikten, sondern auch im Bereich der Alltagskriminalität, bei Einbruchsdiebstählen.

Vom Kriminaltouristen bis zum Quasi-Schweizer

Der Gegenvorschlag, der in mancher Beziehung sogar weiter als die Initiative geht – die Ausschaffung wäre bei über 30 Straftatbeständen möglich - ist in einem wichtigen Punkt differenzierter und gerechter als die Initiative. Jeder Einzelfall muss für sich beurteilt werden. Die Ausweisung muss dem Verfassungsgrundsatz der Verhältnismässigkeit entsprechen. Das heisst, die Ausländerbehörde muss auch berücksichtigen, wie lange der Täter schon in der Schweiz lebt. Ist er als Kriminaltourist illegal in die Schweiz gekommen, oder lebt er seit Jahrzehnten mit einer Aufenthaltsbewilligung hier? Hat der Täter auch eine Familie, vielleicht sogar mit hier aufgewachsenen Kindern? Oder gehört er der zweiten oder dritten Ausländergeneration an und würde in seiner so genannten Heimat zum Fremden?

Um solche Fragen foutierten sich die Väter der SVP-Initiative. Eine differenziertere Vorlage hätte auch schlecht zum Hardliner-Image gepasst, das ihre Wortführer so gerne tragen. Was geht es uns an, ob der Ausgewiesene hier aufgewachsen ist? Was geht es uns an, ob einer hier Familie hat? Raus mit ihm! Entscheidend soll allein die Farbe des Passes sein.

Schweizer werden milder bestraft

Die Ausschaffung ist eine Art Zusatzstrafe für Menschen mit ausländischem Pass. Sie führt zum Zweiklassen-Strafrecht. Der Vergewaltiger oder der Einbrecher, der zufällig Schweizer ist, wird milder bestraft als der hier geborene Ausländer. Als ob es für das Opfer einen Unterschied machen würde, welchen Pass der Täter trägt.

Die Ausweisung kann den Täter weit härter treffen als die Gefängnisstrafe. Das gilt vor allem für jene, die gar nie in ihrem so genannten Heimatland gelebt haben. Der von den Befürwortern einer verschärften Ausschaffungspraxis so gerne zitierte Spruch vom missbrauchten Gastrecht, wird hier vollends zynisch. Es geht nicht um Gäste, die kriminell geworden sind, sondern um Einheimische, um zur Schweizer Bevölkerung zählende Menschen.

Fragwürdig ist die Wegweisung von Quasi-Schweizern nicht nur den Betroffenen gegenüber. Mit solchen Ausschaffungen drückt sich die Schweiz feige um ihre Verantwortung für die hausgemachte Kriminalität. Ausländerkriminalität ist nicht genetisch bedingt und hat auch nichts mit der Religion der Täter zu tun, auch wenn das Islamhasser noch so gerne hören würden. In ihrem Heimatland lebende junge Bosnier zum Beispiel begehen weit weniger Straftaten als die Kinder bosnischer Migranten in der Schweiz, wie eine Studie unter Leitung des Kriminologen Martin Killias nachgewiesen hat.

Die misslungene Integration ist unser Problem

Der vergleichsweise hohe Anteil von Ausländern an der Kriminalität ist nicht zuletzt eine Folge misslungener Integration. Wer beruflich keine Chance hat und als Jugendlicher ohne Zukunftsperspektive auf den Strassen herumlungert, gleitet rasch einmal in die Kriminalität ab, versucht mit schnellen Autofahrten im getunten Wagen, mit Machogehabe und Gewalt sein angeschlagenes Selbstwertgefühl zu kompensieren.

Die hiesige Kriminalität hat viel mit den Verlockungen der Konsumgesellschaft und der so genanten 24-Stunden-Gesellschaft zu tun. Wenn sich Menschen in Massen nächtelang vor den Klubs in den Ausgehmeilen herumtreiben, darf sich niemand wundern, wenn es zu Gewalttaten kommt, sei es aus Langeweile, oder weil Alkohol- und Drogenkonsum die Stimmung aufgeheizt haben. Solche Entwicklungen, welche die Kriminalität fördern, muss man dort bekämpfen, wo sie entstanden sind. Für das, was hier geschieht, tragen wir die Verantwortung und dürfen unser Problem mit der Kriminalität nicht an irgendwelche andere Ländern auslagern.

Die Abschiebung mag in manchen Fällen angebracht sein, dort nämlich, wo es um schwere Taten von Ausländern und nicht von Quasischweizern geht. Doch das Kriminalitätsproblem lösen auch vermehrte Ausschaffungen nicht. Hier muss die Schweiz selber Verantwortung übernehmen und selber handeln.

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