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Kommentar 21

Allseitige Beschädigung

3. Dezember 2020
Stephan Wehowsky
Die deutsche Familienministerin Franziska Giffey steht im Zentrum einer Auseinandersetzung, die immer destruktivere Züge annimmt.

Der Anfang dieses Dramas schien zunächst nicht sonderlich aufregend. Franziska Giffey wurde von Plagiatsjägern der Plattform VroniPlag vorgeworfen, Teile ihrer Doktorarbeit an der Freien Universität Berlin schlicht und einfach abgekupfert zu haben. Das ist peinlich, gewiss, aber es kommt nicht so selten vor. Immerhin hat Angela Merkel schon zwei Minister verloren, nachdem ihnen ihre Doktortitel entzogen worden waren: Annette Schawan und Karl Theodor zu Guttenberg. Franziska Giffey kündigte an, bei Aberkennung ihres Doktortitels ebenfalls zurückzutreten.

Also machte sich ein Gremium der FU daran, Giffeys Doktorarbeit zu überprüfen. Tatsächlich konnte es einige Plagiate nicht ganz übersehen, aber irgendwie wollte dieses Gremium die Ministerin schonen, obwohl, wie es feststellte, die Täuschungen „einen systemischen Charakter“ hatten. Das Prüfungsgremium entzog ihr zwar nicht den Doktortitel, aber erteilte eine „Rüge“. Und damit ging das Unheil erst richtig los.

Denn sofort traten Gutachter auf den Plan, die darauf aufmerksam machten, dass die Erteilung einer Rüge als Sanktion für Verfehlungen bei einer Doktorarbeit rechtlich nicht vorgesehen ist. Wenn Plagiate und Täuschungen nachgewiesen werden, muss der Doktortitel entzogen werden. Alles andere ist rechtswidrig.

Das Prüfungsgremium beging noch einen zweiten Fehler. Anstatt sich allein auf die Plagiatsfrage zu konzentrieren, beurteilte es noch einmal die wissenschaftliche Qualität der Doktorarbeit und stellte fest, dass Giffey „durchaus in der Lage ist, eigenständig zu arbeiten“. Schön. Aber eine Doktorarbeit soll „neue wissenschaftliche Erkenntnisse“ liefern.

Dafür war das Thema, „Europas Weg zum Bürger – Die Politik der Europäischen Kommission zur Beteiligung der Zivilgesellschaft“, schon deshalb wenig geeignet, weil sich Giffey in ihrer „Doktorarbeit“ auf eigene Tätigkeiten im Zusammenhang mit „Europas Weg zum Bürger“ bezog. Es handelte sich also um eine Art Praktikumsbericht. Dieses Thema hätte nie akzeptiert werden dürfen.

Und damit rückt die Doktormutter Tanja Börzel ins Rampenlicht. Denn sie hat nicht nur das von Anfang an schräge Promotionsverfahren zu verantworten, sondern stellte gleich noch das Gremium zusammen, das nun die Vorwürfe überprüfen sollte.

Selbst für Berlin war das ein etwas zu starker Tobak, und so sah sich der Berliner Senat veranlasst, das Verfahren an sich zu ziehen und damit die FU unter seine Aufsicht zu stellen. Neben Giffey hatte nun also auch die FU einen erheblichen Schaden erlitten. Es wurde auch gefragt, weswegen die FU einer wissenschaftlich derartig halbseidenen Professorin wie Tanja Börzel eine Art Narrenfreiheit einräumt. Die Antwort: Börzel sei unschlagbar in der Einwerbung von Drittmitteln im Zusammenhang mit „Exzellenzinitiativen“. Das wirft wiederum überhaupt kein gutes Licht auf die Instanzen, die darüber entscheiden. Fallen die auf Scharlatane herein?

Die anfängliche Denunziation der selbsternannten Plagiatsjäger hat die Wirkung eines Schrapnellgeschosses. Niemand im Umfeld bleibt ohne Schaden. Der Ruf der FU ist ruiniert, aber auch der des Berliner Senats, dem nun vorgeworfen wird, seiner Aufsichtspflicht gegenüber der FU erst viel zu spät nachgekommen zu sein.

Franziska Giffey wiederum ist am vergangenen Wochenende mit grosser Mehrheit zur Berliner SPD-Vorsitzenden gewählt worden. Entsprechend wird sie auch für das Amt des Regierenden Bürgermeisters kandidieren. Man hört, dass die Berliner SPD dringend auf sie angewiesen ist, um ihre innerparteilichen Konflikte zu kalmieren und sich ein vernünftiges Programm zu geben.

Aber es schwirren noch einige Schrapnellkugeln herum. Giffey hat erklärt, ihren Doktortitel nicht mehr zu führen, was rechtlich ohne Belang ist. Eine zweite Überprüfung läuft an. Wird Giffey danach der Doktortitel entzogen, will sie neuerdings trotzdem Ministerin bleiben. Die CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer hat sich dagegen ausgesprochen. Darüber wird sich Kanzlerin Merkel ganz besonders gefreut haben.

Eigentlich hätte Franziska Giffey einen Ehrendoktor verdient. Denn sie hat durch ihre Arbeit in luzider Weise auf die Inkompetenz des akademischen und politischen Betriebes in Berlin hingewiesen. Ihre Arbeit mag nicht wissenschaftlich sein, aber ihre Wirkung ist verblüffend.
 

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