Ein russischer Diplomat bei der Uno in Genf kritisiert den «aggressiven Krieg», den Putin in der Ukraine führt, und ist zurückgetreten. «In den zwanzig Jahren meiner diplomatischen Laufbahn habe ich verschiedene Wendungen unserer Aussenpolitik miterlebt, aber noch nie habe ich mich so sehr für mein Land geschämt wie am 24. Februar dieses Jahres», schrieb Boris Bondarev.
Wird laufend aktualisiert
- Russischer Diplomat «desertiert»
- Russische Grossoffensive im Donbass
- Lokale russische Erfolge
- «Die Russen haben 20 Mal mehr Waffen»
- 29'000 getötete Russen?
- Russische Militärbasis in Cherson
- Veteranen fordern mehr Krieg
- Kleine Normalität in Charkiw
- Ukrainische Partisanen
«Sie leben in geschmacklosen Palästen»
In einem Brief, der an Kollegen in Genf verteilt und auf einem LinkedIn-Account in seinem Namen sowie auf Facebook veröffentlicht wurde, erklärte Bondarev, dass er am Montag aus dem Staatsdienst ausgeschieden sei.
«Der aggressive Krieg, den Putin gegen die Ukraine, ja gegen die gesamte westliche Welt entfesselt hat, ist nicht nur ein Verbrechen gegen das ukrainische Volk, sondern vielleicht auch das schwerste Verbrechen gegen das russische Volk, das mit dem fetten Buchstaben ‹Z› alle Hoffnungen und Aussichten auf eine blühende freie Gesellschaft in unserem Land durchkreuzt», heisst es in dem Brief.
«Diejenigen, die diesen Krieg geplant haben, wollen nur eines – für immer an der Macht bleiben, in pompösen, geschmacklosen Palästen leben, auf Jachten segeln ... und dabei unbegrenzte Macht und völlige Straffreiheit geniessen», schrieb er.
«Totaler Horror statt Entwicklung»
«Um das zu erreichen, sind sie bereit, so viele Menschenleben zu opfern, wie es nötig ist. ... Tausende von Russen und Ukrainern sind allein dafür schon gestorben.»
Bondarev sagt, der russische Präsident hätte die letzten zwei Jahrzehnte damit verbringen können, «das Land zu entwickeln», aber stattdessen hat er es «in eine Art totalen Horror, eine Bedrohung für die Welt» verwandelt.
In Bondarevs LinkedIn-Profil heisst es, er sei ein Spezialist für Rüstungskontrolle und Abrüstung. Er gehörte zum mittleren Kader in der russischen Botschaft in Genf. Er sagte, er habe nicht die Absicht, die Rhonestadt zu verlassen.
Hart auf hart
Die nächsten Tage könnten im Ukraine-Krieg entscheidend sein. Nach wochenlanger Stagnation können die Russen einige Erfolge in der Ostukraine verbuchen. Die russischen Streitkräfte versuchen nach Angaben des britischen Militärgeheimdienstes, die Städte Sewerodonezk, Lyssytschansk und Rubischne einzukesseln. Die ukrainischen Verbände leisteten starken Widerstand und besetzten gut eingegrabene Verteidigungspositionen, heisst es weiter.
«Russland hat jedoch einige lokale Erfolge erzielt, was zum Teil auf die Konzentration von Artillerieeinheiten zurückzuführen ist», schreibt der britische Militärgeheimdienst. Die Einnahme von Sewerodonezk durch russische Truppen wäre ein schwerer Schlag für die Ukraine. Die Russen würden damit die gesamte Region Luhansk kontrollieren. Unterstützt werden die russischen Truppen von pro-russischen Milizen aus den Regionen Luhansk und Donezk, sowie aus frisch rekrutierten russischen Verbänden und aus jenen Truppeneinheiten, die nach dem Fall von Mariupol in den Osten des Landes verlegt wurden.
Sewerodonezk wurde am Dienstag erneut heftig bombardiert. Die Menschen suchen in Kellern und Unterständen Schutz. Eine Evakuierung ist nach ukrainiscen Angaben wegen der Angriffe im Moment nicht möglich.
«Massaker im Donbass»
Russland verstärkt seine Angriffe auf den Donbass. Die russischen Truppen seien dabei, ein «Massaker» anzurichten und «alles Lebendige» in der Region zu zerstören, sagte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskyj am Montagabend. «Niemand hat den Donbass so sehr zerstört wie die russische Armee.» Hauptziel der Russen ist die Stadt Sewerodonezk in der Provinz Luhansk. Dort finden zur Zeit verlustreiche Kämpfe statt. Die Russen versuchen, die Stadt einzukreisen. In einer ans WEF in Davos übertragenen Ansprache sagte Selenskyj, die Russen verfügten «über 20 Mal mehr Waffen» als die Ukrainer. Die Ukraine brauche dringend Langstreckenwaffen.
29'000 getötete Russen?
Die russischen Streitkräfte haben nach offiziellen ukrainischen Angaben im jetzt dreimonatigen Krieg 29'200 Soldaten verloren. Zudem seien 1'293 russische Panzer und 3'166 gepanzerte Militärfahrzeuge zerstört worden. Russland büsste nach Angaben der ukrainischen Streitkräfte ferner 604 Artillerie-Batterien und 93 Flab-Geschosse ein. 204 russische Flugzeuge seien abgeschossen oder beschädigt worden.
Russische Militärbasis in Cherson
Die russischen Streitkräfte sollen in der südukrainischen Region Cherson eine Militärbasis aufbauen. Die staatlichen russischen Nachrichtenagenturen Ria-Novosti und Tass zitierten Kirill Stremousov, den stellvertretenden Leiter der von Russland eingesetzen Verwaltung der Region Cherson, mit den Worten: «Es sollte eine Militärbasis der Russischen Föderation in der Region Cherson geben. Wir werden dies beantragen, und die gesamte Bevölkerung ist daran interessiert.»
Cherson war die erste ukrainische Stadt, die die Russen teilweise besetzt hatten. In der Zwischenzeit installierte Moskau eine pro-russische Verwaltung, will den Rubel als Zahlungsmittel einsetzen und eine Volksabstimmung über den Anschluss der Region an Russland durchführen. Nach ukrainischen Angaben hat etwa die Hälfte der knapp 300'000 Einwohner die Stadt verlassen.
Kleine Normalität
Russische Veteranen fordern mehr Krieg
Russische nationalistische Veteranen sind mit dem Verlauf des Krieges in der Ukraine unzufrieden und fordern Putin auf, mehr Truppen zu mobilisieren. Dies meldet der renommierte amerikanische Thinktank «Institute for the Study of War» (IWS). Die «Allrussische Offiziersversammlung», eine unabhängige pro-russische, nationalistische Veteranenvereinigung, forderte Präsident Putin auf, «anzuerkennen, dass die russischen Streitkräfte nicht mehr nur die Ukraine 'entnazifizieren', sondern einen Krieg um Russlands historische Territorien und seine Existenz in der Weltordnung führen». Die Vereinigung soll auch die Todesstrafe für russische Deserteure fordern. Die Vereinigung erklärte laut IWS, Moskau habe seine Ziele in den letzten drei Monaten nicht erreicht. Erwähnt wird die gescheiterte Flussüberquerung im Donbass, bei der ein russisches Bataillon fast ganz aufgerieben wurde.
Ukrainische Partisanen
Selbst wenn die Russen den Krieg gewännen oder zumindest einzelne Gebiete eroberten, würde wohl kaum Ruhe einkehren. Dies prophezeien Militärstrategen seit Beginn der Kämpfe. Einen ersten Hinweis darauf geben die Ereignisse in der südukrainischen Stadt Melitopol, die zu Beginn des Krieges von russischen Truppen besetzt wurde. Dort haben sich Partisanengruppen gebildet, die gegen die Russen vorgehen, erklärte der ukrainische Militärgeheimdienst. Vom 20. März bis zum 12. April hätten die Partisanen 70 russische Soldaten getötet. Zudem brachten sie einen Zug, der Panzer transportierte, zum Entgleisen.
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