In Portugal fuhren an diesem Donnerstag kaum Busse und Bahnen, auch der Flugverkehr ruhte weitgehend. Schulen blieben geschlossen, Spitäler funktionierten auf Sparflamme. Auch in einigen Fabriken ruhte einen Tag lang die Produktion. Aus Protest gegen Pläne der Regierung für eine umfassende Revision des Arbeitsrechts riefen die zwei grossen Gewerkschaftsbunde des Landes zum Generalstreik auf – sehr zum Verdruss der Regierung.
«Dieser Streik macht keinen Sinn», sagte in der letzten Woche der portugiesische Regierungschef, Luís Montenegro, der eine bürgerliche Minderheitsregierung führt. Nun sind Streiks in einzelnen Branchen, etwa im öffentlichen Dienst und im Transportsektor, in Portugal nicht sonderlich selten. Für den Mann und die Frau auf der Strasse mögen die Gründe nicht immer einleuchten. In diesem Fall bezog sich Montenegro jedoch nicht auf irgendeinen gewöhnlichen Streik, sondern auf den ersten Generalstreik, den das Land seit zwölf Jahren erlebt hat.
Die Bevölkerung versteht, was der Regierungschef nicht versteht
Portugal stand an diesem Donnerstag ganz im Bann eines eintägigen Generalstreiks, zu dem die zwei grossen gewerschaftlichen Dachverbände – das sind die grössere und linkere CGTP und die eher moderate UGT - gemeinsam aufgerufen hatten. Wie zu erwarten betraf der Streik vor allem die öffentlichen Dienste, die Bildung, das Gesundheitswesen sowie den Bus-, Bahn- und Flugverkehr. Aber auch in einigen grösseren Industriebetrieben ruhte die Produktion.
Der Protest galt den Plänen der Regierung für eine umfangreiche Revision des Arbeitsrechts. Montenegro gab vor, nicht zu verstehen, was eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung offenbar sehr wohl versteht. In einer Meinungsstudie erklärten immerhin 61 Prozent der Befragten eine teilweise oder volle Unterstützung für den Ausstand.
Die Löhne sollen kräftig steigen – aber wann?
Ein konkreter Entwurf für die Revision liegt noch nicht vor, die Eckpunkte sind aber bekannt – und sie betreffen mehr als 100 Artikel des geltenden Arbeitsgesetzbuches. Unter anderem soll der Abschluss zeitlich befristeter Arbeitsverträge in mehr Situationen als bisher zulässig sein. Während die Regierung individuelle Kündigungen erleichtern will, erschwert sie für Beschäftigte, denen zu Unrecht gekündigt wurde, die Rückkehr an die früheren Arbeitsplätze. Vorgesehen sind Mechanismen für eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeit, die nach Ansicht der Gewerkschaften auf Kosten des Privatlebens gehen. Wenn Gewerkschaften zu Streiks aufrufen, sollen sie zur Sicherung von mehr Minimaldiensten verpflichtet werden können als bisher. Nicht zuletzt sollen Mütter, die Kleinkinder über das Alter von zwei Jahre hinaus stillen, deshalb nicht mehr bei der Arbeit fehlen dürfen.
All das soll der Wirtschaft auf die Sprünge helfen. Montenegro stellt den Beschäftigten gar traumhafte Lohnerhöhungen in Aussicht. Im Land, in dem rund 2,8 Millionen Beschäftigte monatlich weniger als 1000 Euro brutto verdienen, soll der gesetzliche Mindestlohn, der sich 2026 von derzeit 870 Euro auf 920 Euro erhöht, auf 1600 Euro steigen. Für den mittleren Verdienst schwebt Montenegro eine Erhöhung von jetzt rund 1600 auf astronomisch anmutende 3000 Euro vor. Aber bis wann, verrät er nicht. Ein erklärtes Ziel dieser Regierung ist die schrittweise Anhebung des Mindestlohns auf immer noch bescheidene 1100 Euro bis zum Ende dieser Legislaturperiode im Jahr 2029.
Kritiker bemängeln, dass die Regierung zu viel auf Flexibilisierung und zu wenig auf wirtschaftliches Wachstum auf der Grundlage von Wissen und beruflicher Qualifizierung setze. Sogar einige frühere Arbeitsminister aus dem Lager von Montenegros bürgerlicher Allianz bekundeten Skepsis gegenüber den Regierungsplänen.
Was macht der nächste Staatspräsident?
Die Regierung hofft in einigen Punkten auf eine Verständigung mit dem moderaten Gewerkschaftsbund UGT. Im Parlament dürfte sie auf die Stimmen der rechtsextremen Partei Chega angewiesen sein. Mit dem, was das Parlament irgendwann beschliesst, wird sich der künftige Präsident der Republik befassen müssen. Er kann die Vorlage unterzeichnen, sie aber auch dem Verfassungsgericht zur vorsorglichen Prüfung zuleiten oder ein – vom Parlament überstimmbares – politisches Veto einlegen.
Die zweite Amtszeit von Präsident Marcelo Rebelo de Sousa endet am 9. März. Am 18. Januar entscheidet das Stimmvolk über seine Nachfolge, wobei alles darauf hindeutet, dass kein/e Bewerber/in auf Anhieb die absolute Mehrheit der Stimmen erhält. In diesem Fall kommt es am 8. Februar zu einer Stichwahl.
Die grössten Chancen, sich für die Stichwahl zu qualifizieren, haben laut Umfragen der Jurist Luis Marques Mendes, der dem bürgerlichen Partido Social Democrata von Montenegro angehört, Chega-Führer André Ventura und der parteilose Admiral Henrique Gouveia e Melo, der ein wenig in allen Flüssen nach Stimmen fischt. Eher abgeschlagen erscheint in Umfragen der moderate Sozialist António José Seguro. Im Präsidentenpalast von Belém, im Westen von Lissabon, dürften in den kommenden fünf Jahren also eher keine linken Winde wehen.