Das ganze Zitat lautet: «Wenn alle Künste untergehn, die edle Kochkunst bleibt bestehn.» Es stammt von Daniel Spoerri und entstand 1969. Der Künstler starb im vergangenen Jahr im Alter von 94 Jahren. Das Bündner Kunstmuseum widmet dem bedeutenden Schweizer Vertreter des Nouveau Réalisme eine Gedenkausstellung.
Er war Künstler ohne akademische Ausbildung und krempelte in den 1960er Jahren zusammen mit Jean Tinguely, Armand, César, Yves Klein und anderen im Group des Nouveaux Réalistes den Kunstbegriff um. Er war Poet, schrieb dem Surrealismus verwandte Texte und setzte sich, zusammen mit Dieter Roth und Eugen Gomringer, mit Konkreter Poesie auseinander. Er war ausgebildeter Tänzer und liess sich vom Stadttheater Bern als Solist engagieren. Er war Theater-Regisseur, liebte das Absurde, inszenierte in einem Berner Kleintheater Eugène Ionescos «Die kahle Sängerin» und brachte 1956, ebenfalls in Bern, Picassos «Wie man Wünsche beim Schwanz packt» zur deutschsprachigen Erstaufführung (in der Übersetzung von Meret Oppenheim).
Er war Koch, lud seine Freundinnen und Freunde in seine eigenen Restaurants, fixierte Essensreste, Geschirr und Besteck sowie gefüllte Aschenbecher auf dem Tisch mit Klebstoff und hängte die Tischplatte als Kunstwerk, als «Fallenbild», wie er es nannte, zum Verkauf an die Galeriewand. Er schrieb über seine Zeit auf der Insel Symi in der Ägäis ein «Gastronomisches Tagebuch» voller Einblicke in die Küche Griechenlands und voller Anekdoten und Geschichten zum Alltag auf dieser winzigen Insel im Osten der Ägäis.
Nicht den «ganzen» Spoerri
Daniel Spoerri, bis ins hohe Alter aktiv, war all das zusammen. Am 6. November 2024 starb er, 94 Jahre alt geworden, in Wien, seinem letzten Wohnsitz nach stetem Wechsel zwischen der Schweiz – hier wuchs er auf und ging zur Schule –, Paris, Dänemark und deutschen Städten. Geboren wurde der Kosmopolit mit Schweizer Bürgerrecht als Sohn eines zum Protestantismus konvertieren Juden in Rumänien. Das Bündner Kunstmuseum in Chur, das in seiner Sammlung einige Werke Spoerris als eines der wichtigen Schweizer Künstler des 20. Jahrhunderts mit grosser internationaler Ausstrahlung besitzt, würdigt den Ausnahmekünstler in einer Gedenkausstellung – allerdings nicht den «ganzen» Spoerri, sondern jene Facette seines Schaffens, die ihm Bekanntheit weit über die Landesgrenzen hinaus einbrachte – die «Fallenbilder» und damit jene seiner Werke, die Alltagsdinge zu Kunstwerken erklärten, und mit denen Spoerri allerlei Zufälligkeit zum künstlerischen Prinzip erhob.
Doppelbödige «Fallenbilder»
Zwei Aspekte stehen für die «Fallenbilder» im Zentrum. Sie können gesehen werden als Fortsetzung der Duchamp’schen Kunstrevolution und im Kontext des Fluxus, dessen wichtiger Exponent, der Franzose Robert Filliou, mit Spoerri befreundet war: Einerseits sind es die Zufälligkeiten des Alltäglichen und andererseits die Wichtigkeit gemeinsamen Essens, der «Tafelrunde», für Kontakte und zwischenmenschliche Beziehungen. Die Zufälligkeit als ein Entstehungsprinzip des Kunstwerkes ist ein Element der Anarchie in der Kunst, das für die Gegenläufigkeit freier künstlerischer Äusserungen gegen eine durchrationalisierte Welt steht. Das Beteiligen ganzer Gruppen an Kunstaktionen wie dem Kochen und dem gemeinsamen Essen gibt dem Kult um den Künstler als einsamen und genialen Schöpfer auf ironisch-humorvolle Weise Gegensteuer. Mit beidem sind Daniel Spoerri und mit ihm auch andere Nouveaux Réalistes in den 1960er Jahren Pioniere und ihrer Zeit weit voraus.
Die Ausstellung in Chur wartet mit zahlreichen Dokumenten zu Spoerris «Fallenbildern» auf: mit in Vitrinen ausgelegten Aktionsfotos, Briefen, Zeugnissen usw. sowie mit Videos. Als wichtigen Fund kann das Museum mit einem 1964 gedrehten Film Andy Warhols aus der Sammlung des Andy Warhol Museums in Pittsburgh aufwarten, der als verschollen galt und für die Churer Ausstellung restauriert und digitalisiert wurde. Gezeigt wird ebenso eine Sendung des Schweizer Fernsehens von 1967, in der Eduard Stäuble (Leiter der Abteilung Kultur und Gesellschaft des Fernsehens) versucht, Daniel Spoerris Kunst zu erklären und zu deuten.
Die «Kronenhalle»-Tafel
Vor allem aber zeigen Stephan Kunz und Sabine Kaufmann zahlreiche wichtige Beispiele der «Fallenbilder» Spoerris – zum grossen Teil aus der Sammlung des Kunsthändlers Bruno Bischofberger in Männedorf. Darunter gibt es auch allerlei Humorvolles oder Abgründiges wie eine Maus, gebacken aus Brot, der eben die Mausfalle das Genick gebrochen hat, und ein Plakat mit dem Porträt Marylin Monroes, das im Abfalleimer gelandet ist («Marylin à la poubelle»). Für Daniel Spoerri waren auch ausgesprochene Luxus-Restaurants kein Tabu. Ein «Fallenbild» dokumentiert ein Dinner in der Zürcher «Kronenhalle» und erklärt, was die hier vereinigte Kulturprominenz auf dem Tisch zurückliess, zur Kunst, dem eleganten Ort der Entstehung ebenbürtig. Listig: Am Ende des Essens orderte Spoerri auf kleinem Silber-Tablett Araldit-Kleber und Geistlich-Kleister, um die Essensreste auf Tischtuch und Tisch festzukleben. Auf dass, was übrig blieb, als «edle Kochkunst bestehn» blieb.
Bündner Kunstmuseum Chur. Bis 22. März 2026. Kein Katalog.