Russlands bekanntester Oppositioneller, Alexei Nawalny, hat in einem per Video verbreiteten Aufruf die russische Bevölkerung aufgerufen, gegen Putins Ukraine-Krieg unablässig zu protestieren. Nawalny sitzt seit einem Jahr in einem Straflager 100 Kilometer östlich von Moskau. Wie sein akustischer Aufruf aus dem Gefängnis übermittelt werden konnte, ist unbekannt. Seine Freunde haben ihn mit aktuellem Filmmaterial angereichert.
Wir veröffentlichen hier den Nawalny-Videoaufruf im russischen Originalton mit englischen Untertiteln. Er ist auf Youtube bereits eine Million Mal aufgerufen worden. Angefügt ist sein Aufruf als Text in deutscher Übersetzung:
«Putin ist nicht Russland»
Wir – Russland – wollen eine Nation des Friedens sein. Leider würden uns heute nur wenige so nennen.
Aber lassen Sie uns wenigstens nicht zu einer Nation von ängstlichen Schweigern werden. Von Feiglingen, die so tun, als würden sie den aggressiven Krieg gegen die Ukraine nicht bemerken, den unser offensichtlich wahnsinniger Zar entfesselt hat.
Ich kann, will und werde nicht stillschweigend zusehen, wie pseudohistorischer Unsinn über die Ereignisse von vor 100 Jahren zu einem Vorwand für Russen wird, Ukrainer zu töten, und für Ukrainer, Russen zu töten, während sie sich verteidigen.
Es ist das dritte Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, und wir sehen Nachrichten über Menschen, die in Panzern und bombardierten Häusern verbrennen. Wir sehen reale Drohungen, einen Atomkrieg zu beginnen, auf unseren Fernsehern.
Ich selbst stamme aus der UdSSR. Ich bin dort geboren. Und der wichtigste Satz von dort – aus meiner Kindheit – war «kämpft für den Frieden». Ich rufe alle dazu auf, auf die Strasse zu gehen und für den Frieden zu kämpfen.
Putin ist nicht Russland. Und wenn es irgendetwas in Russland gibt, auf das Sie im Moment am meisten stolz sein können, dann sind es die 6824 Menschen, die verhaftet wurden, weil sie – ohne Aufforderung – mit Plakaten mit der Aufschrift «Kein Krieg» auf die Strasse gingen.
«Wir können nicht länger warten»
Sie sagen, dass jemand, der nicht an einer Kundgebung teilnehmen kann und nicht riskiert, dafür verhaftet zu werden, nicht dazu aufrufen kann. Ich bin bereits im Gefängnis, also denke ich, dass ich das kann.
Wir können nicht länger warten. Wo auch immer Sie sind, in Russland, Weissrussland oder auf der anderen Seite des Planeten, gehen Sie jeden Wochentag und an Wochenenden und Feiertagen um 14 Uhr auf den Hauptplatz Ihrer Stadt.
Wenn Sie im Ausland sind, kommen Sie zur russischen Botschaft. Wenn Sie eine Demonstration organisieren können, tun Sie dies am Wochenende. Ja, vielleicht werden am ersten Tag nur ein paar Leute auf die Strasse gehen. Und am zweiten – noch weniger.
Aber wir müssen, zähneknirschend und die Angst überwindend, auf die Strasse gehen und ein Ende des Krieges fordern. Jeder Verhaftete muss durch zwei neue ersetzt werden.
Wenn wir, um den Krieg zu beenden, Gefängnisse und Gefangenentransporter mit uns selbst füllen müssen, werden wir Gefängnisse und Gefangenentransporter mit uns selbst füllen.
Alles hat seinen Preis, und jetzt, im Frühjahr 2022, müssen wir diesen Preis zahlen. Es gibt niemanden, der es für uns tut. Lasst uns nicht nur «gegen den Krieg sein». Lasst uns gegen den Krieg kämpfen.
R. M.