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Kommentar 21

Kurzschluss

14. April 2020
Stephan Wehowsky
Rückkehr in die Vormoderne?

Die moderne Gesellschaft habe keine zentrale Instanz mehr, die sie steuere, diagnostizierte der Systemtheoretiker Niklas Luhmann. Zahllose Akteure verfolgten ihre eigenen Ziele. Keine Ethik wäre in der Lage, allen ein einheitliches Ziel zu geben.

Kritiker nannten diese Diagnose zynisch, aber Luhmann beschrieb die Realität. Denn für ihn ist die moderne Gesellschaft gerade deswegen funktionstüchtig und erfolgreich, weil sich in ihr die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Jurisprudenz, die Verwaltung, die Politik und zahllose andere Akteure als selbständige Einheiten etabliert haben. Jede dieser Einheiten hat ihre eigenen internen Regeln; Luhmann nannte sie Codes. Und jede dieser Einheiten will ihren Nutzen optimieren. So weit, so gut.

Allerdings ist die Gesellschaft in Luhmanns Augen nicht in der Lage, sich auf ökologische Gefahren einzustellen. Darin besteht ihr systembedingtes Defizit. Denn ein Problem wie der Klimawandel wird in den unterschiedlichen Systemen völlig verschieden verstanden: Die Publizistik macht daraus ein verkaufsträchtiges Thema, die Wirtschaft will Grenzwerte vermeiden, aber mit Öko-Sigeln verdienen, die Juristen wollen ihre Klienten vor Schadenersatz schützen, und die Politik will ihre Wähler nicht verprellen. Und so weiter.

Luhmann selber hat unter dieser Einsicht gelitten, aber er sah zu der Vielfalt unserer gesellschaftlichen Systeme keine Alternative. So fragte er in Bezug auf die Schäden der schrankenlosen Wirtschaft mit ihren Finanzmärkten: „Soll man jetzt die Computer einfach abstellen?“

Natürlich nicht. Wenn man die Computer einfach abstellt, stellt man mit ihnen gleichzeitig die moderne Gesellschaft ab. Denn zu ihr gehören, ob man es gerne möchte oder nicht, das System der Finanzmärkte ebenso wie die Sinnangebote der Religionen. Und die Wissenschaft. Und die Politik.

Jetzt aber hat sich weltweit das System der Politik als fähig erwiesen, sich zur zentralen Instanz zu machen. Sie steuert ihre jeweilige Gesellschaft so direkt, als wäre sie das einzige Subjekt und die einzige Vernunft. Die Politik und mit ihr die Verwaltungen sind absolutistisch geworden.

Eine solche soziologische Diagnose in Anlehnung an Niklas Luhmann fragt nicht vordergründig nach der Berechtigung dieser oder jener Massnahme auf der Basis dieser oder jener wissenschaftlichen oder statistischen Prognose. Das Problem liegt tiefer: Sind wir auf dem Weg zurück in die Vormoderne?

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