Es gibt wenig Geschwisterpaare in der Filmgeschichte, die in engster Zusammenarbeit, sozusagen vierhändig zu einer gemeinsamen und unmittelbar identifizierbaren Handschrift finden konnten. Joel und Ethan Coen zählen dazu, auch die Israeli Schlomi und Ronit Elkabetz. Mit dem Tod von Paolo Taviani, der am 29. Februar, sechs Jahre nach seinem Bruder Vittorio, in Rom im Alter von 92 Jahren gestorben ist, nimmt nun eine der einzigartigsten Filmographien Italiens ein Ende.
Vielleicht auch eine der erfolgreichsten: 1977 hatte das Brüderpaar mit «Padre Padrone» in Cannes die Goldene Palme entgegennehmen können, 1986 erhielten sie, für ihr Gesamtwerk, an der Mostra von Venedig einen Goldenen Löwen. 2012, über fünfzig Jahren nach ihrem Regieeinstieg, wurde «Cesare deve morire», in dem sie die Häftlinge der Römer Strafanstalt Rebibbia Shakespeares «Julius Caesar» spielen liessen, auf der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet.
15 gemeinsame Langspielfilme
Legen die Brüder Coen indessen Wert darauf, zumindest die Posten des Produzenten und der Regieführung unter sich aufzuteilen, so erscheint die Arbeit von Paolo und Vittorio Taviani als das Resultat einer reinen Harmonie: Von der Themenauswahl bis zur Regieführung signierten die Brüder jede Werketappe jeweils gemeinsam, wie La Repubblica in ihrem Nachruf festhielt, «so dass man die von dem einen gedrehten Szenen nicht von jenen des anderen unterscheiden konnte». Fünfzehn Langspielfilme sind unter ihrer Inszenierung entstanden, die meisten von einem historischen Bewusstsein durchzogen und von einer grossen Stilsicherheit geprägt. Einzig «Leonora addio», vor zwei Jahren auf der Berlinale vorgeführt, firmiert unter dem alleinigen Namen Paolo Tavianis.
Als Söhne eines antifaschistischen Anwalts in der Toskana respektive 1931 und 1929 geboren, hatten Paolo und Vittorio erste filmischen Begegnungen in einem Filmclub in Pisa. Geprägt von Rossellinis Neorealismus drehen sie zunächst Dokumentarfilme, darunter «San Miniato, Iulio 44» (1954), an dessen Drehbuch Cesare Zavattini mitschrieb. 1960 signieren sie, zusammen mit Alberto Moravia, das Script für Joris Ivens’ Fernsehproduktion «L’Italia non è un paese povero».
Von «Padre padrone» bis zu Annäherungen an Bertolucci
Nach einer ersten Fiktion, «Un uomo da bruciare», 1962 entstanden, drehen sie 1969 mit «Sotto il segno dello scorpione» ihren ersten Farbfilm, der, mit Gian Maria Volontà in der Hauptrolle, auch zu ihrem ersten Erfolg werden sollte. Anfangs der 1970er Jahre folgte die am Festival von Moskau ausgezeichnete Tolstoi-Adaptation «San Michele aveva un gallo» (mit Marcello Mastroianni und Laura Betti) sowie die Revolutionsfantasie «Allonsanfàn».
1977 beginnt ihre international erfolgreichste Dekade, die zugleich auch die beachtliche Bandbreite ihrer Themen belegt. Mit «Padre padrone», auf der Autobiografie eines sardischen Hirten gründend, entsteht eine leuchtende Emanzipationsmetapher, «La Notte di San Lorenzo», 1944 in der Toskana situiert, kommt, von einer verträumten Atmosphäre getragen, auf die Kriegsjahre zurück. «Good Morning Babilonia», eine Variation auf die Entstehungsprozess von D. W. Griffiths «Intolerance», wirft einen intelligenten – und hochinteressanten – Blick auf die Filmgeschichte.
In dieser unter amerikanischer Beteiligung entstandenen Produktion scheinen die Regisseure zunächst von der Möglichkeit fasziniert, ihre inszenatorische Virtuosität unter Beweis zu stellen. Im Rückblick auf ihr Gesamtwerk besticht jedoch vor allem ihre stilistische Freiheit und die Ethik, die der Regieführung ihrer Filme unterliegt: jede Nebenfigur besitzt individuelle Züge, die leisen Verfremdungseffekte, oft durch den Schnitt und die Tonspur hervorgerufen, verleihen ihren Werken eine unaufgeregte Grundstimmung. Über die Jahrzehnte lassen sich überdies aufschlussreiche Bezugspunkte ausmachen: Sind ihre Filme Ende der Sechzigerjahre von Pasolini und Jean-Luc Godard beeinflusst, so erlaubt ihre Offenheit für die Psychologie später einen Vergleich mit der Filmographie von Bernardo Bertolucci.
Inspiration für das aktuelle italienische Filmschaffen
Heute ist es Paolo und Vittorio Tavianis Erbe, das im aktuellen Filmschaffen Italiens aufscheint: Ohne ihren genauen und zugleich trockenen Blick auf die italienischen Landschaften wäre etwa Alice Rohrwachers «Lazzaro felice» vermutlich kaum denkbar. Insofern ist auch die relative Diskretion, mit der Paolo Tavianis Tod ausserhalb der Landesgrenzen begegnet wurde, auch vergleichsweise unwichtig. Ein Nachleben in der Arbeit der nächsten Generation: Es ist dies eine Wertschätzung, die jede öffentliche Ehrung überwiegt.