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Journal 21

Wir trauern um Kurt R. Spillmann

30. Mai 2025
Heiner Hug
Kurt Spillmann
Kurt Spillmann (Foto: © Journal 21)

Der Schweizer Historiker, Konfliktforscher, Professor für Sicherheitspolitik und Autor von Journal 21 ist im Alter von 88 Jahren gestorben. Ein persönlicher Nachruf.

Kurt Spillmann war auch ein Fernsehstar. Brach irgendwo auf der Welt ein Konflikt aus, ein neuer Krieg – die «Tagesschau» des Schweizer Fernsehens rief Kurt Spillmann an. Und er kam, meistens kam er ins Studio an den Leutschenbach in Zürich.

Er war deshalb so gefragt, weil er – im Gegensatz zu manch anderen Professoren – die wunderbare Gabe hatte, komplizierte Sachverhalte in wenigen kurzen, anschaulichen Sätzen zu erklären. Und er tat dies mit seiner ruhigen, sonoren Stimme. Man glaubte ihm, was er sagte. Stets war er unpolemisch, sachlich. So war er denn, weit über seine Pensionierung hinaus, einer der gefragtesten Analytiker der News-Sendungen von Fernsehen und Radio. 

Sein Wort galt etwas

Stets war er kontrolliert, kein Polterer, er fiel niemandem ins Wort. Doch auch andere fielen ihm nicht ins Wort, denn wenn er sprach, hatte das Gewicht und man hörte andächtig zu. Und kam es bei Diskussionen zu Konflikten, wirkte er immer als Brückenbauer.  

Einmal befand ich mich in einem Tram in Zürich. Vor mir sass ein älteres Ehepaar, das ich nicht kannte. Da hörte ich den Mann zu seiner Frau sagen: «Gestern Abend in der Tagesschau hat auch Professor Kurt Spillmann gesagt, dass …» Ja, er war bekannt, sein Wort galt etwas. Ich war damals Auslandchef und später Redaktionsleiter der Tagesschau von SRF. Mit der Zeit entwickelte sich zwischen ihm und mir ein eigentliches Freundschaftsverhältnis. Es dauerte fast 40 Jahre. Wir trafen uns oft, in Italien oder in Zürich. Die Diskussionen mit ihm gehörten für mich zum Wertvollsten, was ich in meiner langen Journalistenzeit erlebte. 

Gründer des «Center for Comparative and International Studies»

Spillmann war 1986 zum Ordinarius für Sicherheitspolitik und Konfliktforschung an der ETH Zürich berufen worden. An der ETH leitete er auch die Abteilung für Militärwissenschaft. Zusätzlich war er Titularprofessor an der Uni Zürich und Berater der Schweizer Regierung in Sachen Sicherheitspolitik und Armeereform. 

Unter seiner Leitung entstand 1997 an der Uni Zürich das «Zentrum für Internationale Studien» (heute Center for Comparative and International Studies, CIS) als Dachorganisation für die Zusammenarbeit verschiedener Lehrstühle für Politikwissenschaften, Geschichte und Wirtschaft an der Universität Zürich und an der ETH Zürich. Unter anderem gab er das «Bulletin zur Schweizerischen Sicherheitspolitik» heraus. Seine Spezialität war die amerikanische Aussen- und Sicherheitspolitik. 

Und Kurt Spillmann war dabei

Im Jahr 2010, acht Jahre nach seiner Pensionierung, fand im Zürcher Niederdorf die Gründungsversammlung von Journal 21 statt. Und Kurt Spillmann war dabei. Wie waren wir stolz, dass wir ihn für unser Projekt begeistern konnten. «Obama weiss, dass er in Afghanistan nicht gewinnen kann» – so lautete die Überschrift eines seiner ersten Artikel in unserem Journal. Ein weiterer Text trug den Titel «Wieder einmal haben die USA in Syrien keine Langzeit-Strategie».

Kurt Spillmann blieb uns treu. Wir veranstalten in Zürich Diskussionsabende mit ihm – der Saal war jeweils zum Bersten voll; das Publikum hing an seinen Lippen. Zum Beispiel: 2016 sprach er an einer Journal21-Veranstaltung in einem Zürcher Zunfthaus zum Thema «Zerstört die EU sich selbst?».  

Weltgewandt, kosmopolitisch

Immer wieder erzählte er von seinem engen Freund, Joachim Gauck, zu dessen Amtseinsetzung als Bundespräsident er 2012 nach Berlin eingeladen wurde. Die beiden trafen sich oft, in Deutschland, in Italien und in der Schweiz. Auch wenn Spillmann unaufgeregt und bescheiden wirkte, er hatte immer etwas Weltgewandtes, Kosmopolitisches, leicht Aristokratisches an sich. Auch im persönlichen Umgang war seine Sprache stets gepflegt, selten mit einem Kraftausdruck garniert. Nie wirkte er gestresst.

Dann kam die Zeit, als er etwas kürzer trat, doch noch immer gelang es uns, ihn für Artikel zu motivieren. Doch er wurde zusehends müde. Müde, aber keineswegs uninteressiert. Noch immer brannte ein Feuer in ihm.

«Trump – L’État c’est moi!»

Unter seiner Pergola in Cortona in der Toscana sprachen wir stundenlang miteinander – meist bei einem Glas Wein. Von Donald Trump hielt er gar nichts. Schon während seiner ersten Amtszeit bezeichnete ihn Spillmann im privaten Gespräch als «rachsüchtig, eitel, egoistisch, nur auf sich bezogen, engstirnig, überheblich, dünkelhaft, selbstverliebt, auf dem hohen Ross sitzend, ohne wirkliche Vision». Es gehe Trump nicht um das Wohl Amerikas und der Welt, es gehe ihm nur um seinen Glanz. 

Am 30. Juni 2020 sagte Spillmann in einem Interview mit Journal 21: «Der amerikanische Präsident ist selbstherrlich und versteht sich als absoluter Monarch wie Ludwig XIV. Putin sah er ganz anders, viel gefährlicher als Trump. Der Kreml-Chef werde nicht nach der Eroberung der Ostukraine Halt machen, war sein Fazit. 

«Schau mal, wie schön das alles ist»

Es ist noch nicht lange her, da trafen wir uns wieder in Cortona. Wir blickten zusammen ins weite Chiana-Tal hinunter, links der Trasimenische See, weit im Süden der Monte Amiata, der höchste Berg in der südlichen Toscana. Da sagte er leise: «Schau mal, wie schön das alles ist.» Und er sagte es mit einer solchen Traurigkeit in der Stimme, dass ich mir sagte: Jetzt hat er aufgegeben.

Er litt immer mehr unter seiner Krankheit. Mit seiner Frau zog er in eine Alterswohnung, und da war kein Platz für die vielen Bücher, die ihn in seinem langen Leben begleiteten. «Ich musste Hunderte Bücher fortwerfen», sagte er. «Ich habe einen Teil meines Lebens forgeworfen.» Noch einmal trafen wir uns bei einem Mittagessen in Zürich. Er war müde, das Feuer brannte nicht mehr. Beim Hinausgehen umarmte er mich. Ich dachte: «War das seine letzte Umarmung?»

Es war die letzte Umarmung. Am vergangenen Freitag ist er gestorben. Doch tot ist er noch lange nicht. «Der Mensch ist erst tot, wenn sich niemand mehr an ihn erinnert», sagte Bertold Brecht. Und ich und viele, viele andere werden sich noch lange erinnern: an seine Intelligenz, seine analytischen Fähigkeiten, seine stets warme, herzliche, freundschaftliche Art. Und an seine Toleranz und Weltoffenheit.

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