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Ravenna

«Werft Kriegstreiber ins Feuer und in siedendes Blut!»

21. August 2025
Heiner Hug
Gustave Doré
Gustave Doré: Purgatorio

Wer das fordert, ist kein fanatischer Hitzkopf. Es handelt sich um einen hochverehrten, besonnenen Mann. Wer Kriege verursacht, verlangt er weiter, soll von Dämonen zerrissen werden.

In seiner weltberühmten «Divina Commedia» (Göttliche Komödie) geht Dante Alighieri hart mit Kriegstreibern und Kriegsverbrechern ins Gericht. 

Dante wurde 1265 in Florenz geboren. Doch der «grösste Dichter Italiens», ein Papst-Gegner, zerstritt sich mit seiner Heimatstadt und wurde zum «Tod durch Verbrennen» verurteilt. 

Dante
Dante Alighieri (Bild: Biblioteca Classense, Ravenna Turismo)

Über Umwege flüchtete er nach Ravenna, wo er in der Nacht vom 13. auf den 14. September 1321 starb. Dort ist er begraben.

Nachdem Dante und seine Divina Commedia weltberühmt geworden sind, merkten die Florentiner endlich, welche Dummheit sie begangen haben, indem sie ihn verachtet und verurteilt hatten – und sie wollten seine Knochen zurück. 

Doch Ravenna sperrt sich dagegen. Der Streit um Dantes Gebeine dauerte mehrere Jahrhunderte lang und war teils virulent. Noch heute gibt es unbelegte Geschichten, wonach florentinische Grabräuber versuchen wollten, Dantes Überreste zu stehlen. Jedenfalls ist das Grab diskret bewacht. 

Während des Zweiten Weltkrieges wurden die Knochen aus dem Grab entfernt. Aus Angst vor Bombenangriffen versteckte man sie unter einem riesigen Erdhaufen. 

Ravenna
Unter diesem überwachsenem Erdhaufen wurden die Gebeine Dantes versteckt. (Foto: Journal 21/hh)

Den Gebeinen durfte keineswegs etwas geschehen, denn Mussolini und das faschistische Italien verehrten den Nationaldichter, feierten ihn, den «Vater der italienischen Sprache», als Initiator der italienischen Einheit, der italienischen Grösse. Einige Faschisten verstiegen sich gar in der Behauptung, Dante sei ein Vorläufer des Faschismus gewesen.

«Il Tempietto»

Das Mausoleum Dantes, das seine Knochen enthält, war zwischen 1780 und 1782 im Zentrum Ravennas errichtet worden. Die Einheimischen nennen es «Il Tempietto». Auftraggeber war Kardinal Luigi Valenti Gonzaga, Spross einer der nobelsten Familien des italienischen Rinascimento.

Mausoleum
Das Mausoleum in Ravenna mit Dantes Gebeinen (Foto: Journal 21/hh)

Vor diesem Mausoleum versammeln sich jeweils um 18.00 Uhr einige andächtige Menschen. Manchmal sind es zwanzig, manchmal dreissig; es waren auch schon hundert. 18.00 Uhr, das ist die Zeit, die Dante im «Purgatorio» poetisch als «Die Stunde, die sich dem Verlangen neigt» beschreibt (L’ora che volge al disio).

Vor Dantes Grab
Vor Dantes Grab (Foto: Journal 21/hh)

Die Menschen treffen sich hier, um einige Verse von Dante zu hören – rezitiert von jungen Menschen, von Studentinnen und Studenten, von Künstlern und Künstlerinnen, auch von Schülerinnen und Schülern.

Rezitation vor Dantes Grab
Rezitation vor Dantes Grab (Foto: Journal 212/hh)

Und was da vorgetragen wird, würde einigen unserer heutigen Gewaltmenschen in Russland oder dem Nahen Osten einen Schauer über den Rücken jagen. Denn die Verse, die wir vor dem Mausoleum hören, handeln von schrecklichen Strafen.

Laut der Divina Commedia ist die Hölle in neun Kreise unterteilt. Je nach Schwere der Sünden landen die Verbrecher in einem dieser Kreise. Am schlimmsten geht es im neunten Kreis zu.

Der Fluss in der Hölle mit kochendem Blut

Im siebten Kreis (erster Ring) würde Dante wohl einige unser heutigen Gewaltherrscher sehen. Den Ausdruck «Kriegsverbrecher» gab es zu Dantes Zeiten noch nicht, doch manche Verbrechen, die er beschreibt, fallen heute in die Kategorie «Kriegsverbrechen». Und wie sollen diese Möder, Folterer, Tyrannen, Plünderer oder grausamen Feldherren bestraft werden? Dante verlangt, dass sie in den «Phlegeton» geworfen werden, in einen Fluss in der Hölle, in dem kochendes Blut dampft. Je grausamer die Verbrechen sind, desto höher soll der Pegel des kochenden Blutes sein.

Im achten Kreis befinden sich politische Verräter, Betrüger und Heuchler. Darunter fallen jene, die durch List, Intrige oder falsche Ideologie Kriege verursachen oder durch Täuschung Macht gewinnen. Für sie sieht er vor, dass sie von Dämonen zerrissen oder gekocht werden.

Der neunte Kreis ist der grausamste und wird von den schlimmsten Sündern bewohnt: Darunter befinden sich Kriegstreiber und Verräter, die ihr eigenes Volk ins Verderben führen. Der neunte Kreis ist der kälteste und furchtbarste Ort in der Hölle. Die Sünder, die hier ankommen, werden nicht im Feuer verbrannt, sondern enden im Eis eines zugefrorenen Sees(Cocytus). Auch der Teufel ist in diesem Eis gefangen.

Aktueller denn je

Die Divina Commedia entstand zwischen 1308 und 1321 und zählt zu den wichtigsten Werken der westlichen Literatur. Sie beschreibt Dantes Reise durch die Hölle (Inferno), das Fegefeuer (Purgatorio) und das Paradies (Paradiso). 

Die Rezitationen vor dem Grabmal in Ravenna finden – vor allem im Sommer – fast täglich statt. Vorgetragen werden vor allem Texte aus dem «Inferno», dem bekanntesten und dramatischsten Teil der Commedia. 

Wegen der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten haben Dantes Verse wieder besondere Aktualität erhalten. Kürzlich, an einem lauen Abend, rezitierten zwei junge Menschen vor dem Mausoleum einen Text, der es in sich hatte. Dante fordert darin, dass Kriegsherren «zerstückelt» werden. 

Einige der Zuhörerinnen und Zuhörer klatschten freudig in die Hände.

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