Im Februar war der ukrainische Präsident im Weissen Haus regelrecht gedemütigt und abgekanzelt worden. Und jetzt legte Präsident Trump die Hand auf Selenskyjs Schulter, lachte mit ihm, drückte ihm intensiv die Hand. Freundlicher geht es nicht. Doch Selenskyj wird bald vor der wohl schwierigsten Entscheidung seines Lebens stehen: Wird er bereit sein, den russischen Invasoren Land abzutreten – so, wie Trump es vorsieht?
Die Erinnerung blieb haften: Vor knapp einem halben Jahr, am 28. Februar, eskalierte im Oval Office im Weissen Haus das Treffen zwischen Selenskyj, Trump und Vizepräsident Vance. Der ukrainische Präsident wurde vor laufenden Kameras beschimpft und beleidigt. Nach kurzer Zeit wurde das Treffen abrupt beendet.
Jetzt wurde Selenskyj im Weissen Haus mit allen Ehren empfangen. Trump machte sich sogar die Mühe, vor die Tür zu treten und den ankommenden ukrainischen Präsidenten mit warmen Worten zu begrüssen. Selenskyj sagte nach dem bilateralen Treffen, er habe «ein sehr gutes Gespräch» mit Trump geführt. Beide hätten über Sicherheitsgarantien und humanitäre Belange gesprochen. Er freue sich, dass er Trump bei einem trilateralen Gespräch mit Putin «dabei habe».
Vizepräsident J. D. Vance, für seine scharfen Worte bekannt, wurde diesmal von Trump zurückgebunden und sagte nichts. Selenskyj quittierte Witze über seinen Anzug mit einem Lächeln. Er trug statt der üblichen militärischen Uniform einen schwarzen Anzug, schwarze Feldjacke, schwarzes Hemd und schwarze Hose. Er überreichte Trump einen Brief, den seine Frau an First Lady Melania Trump geschrieben hatte.
Beispiellose europäische Solidarität
Doch Selenskyj kam nicht allein ins Weisse Haus. In einer noch nie gesehenen Solidaritätskundgebung wurde er von fünf europäischen Staats- und Regierungschefs sowie von Nato-Generalsekretär Mark Rutte und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen begleitet. Einige der Regierungschefs brachen ihre Ferien ab, um zusammen mit den andern nach Washington zu reisen. Die Botschaft könnte deutlicher nicht sein: Die wichtigen europäischen Staaten stehen hinter der Ukraine, hinter Selenskyj.
Die europäischen Spitzenpolitiker waren offensichtlich bemüht, Trump für seine Friedenssuche zu loben und ihm zu schmeicheln. Sie dankten dem amerikanischen Präsidenten für seinen «unermüdlichen Einsatz für den Frieden».
Trump hatte die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni immer mit sehr zuvorkommenden Worten gelobt. Jetzt sagte Meloni: «Wenn wir Frieden erreichen und Gerechtigkeit gewährleisten wollen, müssen wir dies gemeinsam tun. Wir stehen auf der Seite der Ukraine.»
Der finnische Präsident Alexander Stubb sagte: «Es sind Team Europa und Team Vereinigte Staaten, die der Ukraine helfen.»
Trump, Selenskyj und die europäischen Spitzenpolitiker zeigten sich nach ihrem Treffen am Montag im Weissen Haus optimistisch. Die europäische Solidaritätsbezeugung hatte auch den Zweck, Trump aufzufordern, bei der Friedenssuche die Europäer nicht zu übergehen.
Sicherheitsgarantien
Ein Grossteil der Diskussion hatte sich darum gedreht, wie Sicherheitsgarantien für die Ukraine nach Beendigung des Krieges umgesetzt werden können. Trump sagte, Sicherheitsgarantien für die Ukraine würden von europäischen Ländern mit «Koordination» durch die USA «gewährt» werden. Er schloss den Einsatz amerikanischer Truppen nicht aus. (Am Dienstag erklärte er dann, er werden keine Friedenstruppen in die Ukraine schicken.)
Nato-Generalsekretär Mark Rutte bezeichnete Trumps Angebot, die USA würden Sicherheitsgarantien für die Ukraine übernehmen, als einen «Durchbruch» für die Sicherung des Friedens. Er dankte Trump auch dafür, dass er «die Pattsituation durchbrochen» und Putin an den Verhandlungstisch gebracht habe.
Selenskyj sagte später an einer Medienkonferenz, bei der Diskussion über Sicherheitsgarantien gehe es auch um den Kauf von amerikanischen Waffen im Wert von 90 Milliarden Dollar.
Während des Washingtoner Treffens hat Russland weitere Angriffe auf ukrainische Städte verübt. Dabei starben mindestens zehn Menschen. Angegriffen wurde unter anderem die zweitgrösste ukrainische Stadt, Charkiw. Selenskyj sagte, der Kreml wolle die diplomatischen Bemühungen des Westens «demütigen». Die neuesten Angriffe seien ein Beweis dafür, dass «verlässliche Sicherheitsgarantien notwendig» seien.
Waffenstillstand
Trump drängt auf einen schnellen Friedensschluss. Vor allem Emmanuel Macron und Friedrich Merz fordern aber als erstes einen Waffenstillstand. Trump lehnt einen solchen als Voraussetzung für ein Friedensabkommen weiterhin ab, aber die Staats- und Regierungschefs Frankreichs und Deutschlands bestehen darauf. Auch Putin wehrt sich gegen einen Waffenstillstand.
Trilaterales Treffen
Trump sagte, er habe Schritte für ein bilaterales Treffen zwischen Selenskyj und Putin an einem noch zu bestimmenden Ort eingeleitet. Anschliessend würde ein trilateraler Gipfel stattfinden, an dem er, Trump, teilnehmen werde. Selenskyj erklärte, er sei bereit, Putin bilateral zu treffen.
Nach den Treffen äusserte der französische Präsident Macron Skepsis, dass Putin zu Verhandlungen bereit sei. «Ich bin nicht davon überzeugt, dass Präsident Putin auch Frieden will», sagte er auf einer Pressekonferenz. «Sein oberstes Ziel ist es, so viel Territorium wie möglich zu gewinnen, um die Ukraine zu schwächen.» Macron sprach sich dafür aus, dass die Europäer bei einem Treffen mit Putin dabei sein sollten. «Wenn wir über Sicherheitsgarantien sprechen, sprechen wir über die gesamte Sicherheit des europäischen Kontinents», erklärter er.
Telefonat mit Putin
Trump unterbrach dann plötzlich die Diskussionen mit den Europäern und telefonierte mit Putin.
Juri Uschakow, Putins aussenpolitischer Berater, sagte, der russische Präsident und Trump hätten 40 Minuten lang miteinander gesprochen. Sie hätten vereinbart, dass hochrangigere Unterhändler für direkte Gespräche zwischen Russland und der Ukraine ernannt würden. Ob Putin an diesen Gesprächen teilnimmt, ist nicht klar und eher unwahrscheinlich.
Nach dem Telefonat mit Putin wurde das Gespräch zwischen dem amerikanischen Präsidenten und der europäischen Delegation kurz weitergeführt. Die europäischen Staats- und Regierungschefs hätten eigentlich zum Abendessen bleiben sollen, verliessen jedoch den Ort kurz vor 19 Uhr Ortszeit plötzlich. Über die Gründe ist nichts bekannt.
Trump könnte ungeduldig werden
Trump gib sich optimistisch: «Ich freue mich einfach darauf, zu arbeiten und ein grossartiges Ergebnis zu erzielen.» Der europäischen Delegation sagte er: «Wir fühlen uns wirklich geehrt, dass ihr gekommen seid.»
Trotz optimistischer Worte: Es gibt wenige konkrete Anzeichen, dass bald ein Ende des Krieges erreicht und ein Frieden geschlossen werden könnte. Trump hat angedeutet, dass die Ukraine erhebliche Zugeständnisse machen müsse, um den Frieden zu sichern. Das hat die Europäer in Alarmstimmung versetzt. Sie fürchten, dass Trump ungeduldig wird und deshalb auf einen Friedensschluss drängen könnte, den die Europäer nicht unterstützen. Trump hatte vor den Gesprächen gesagt, dass «mögliche Gebietsaustausche» zur Beendigung des Krieges zur Diskussion stünden.
Im Vorfeld des Washingtoner Treffens erklärten amerikanische Kreise, Trump wolle, dass die Ukraine Teile des Donbass und die Krim an Russland abtrete. Doch Selenskyj lehnt eine Abtretung ukrainischer Gebiete an Russland nach wie vor kategorisch ab.
Sollte sich Selenskyj weiterhin gegen eine Gebietsabtretung wehren, so wird befürchtet, er könnte den Zorn des amerikanischen Präsidenten auf sich ziehen. Der könnte dann einen Lieferstopp für amerikanische Waffen verfügen und so die Ukraine dem Aggressor Putin ausliefern.