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Kommentar 21

Von Frauen, Männern und anderen Menschen

6. Juli 2023
Urs Meier
Frauen in Afghanistan
Ein Taliban-Kämpfer bewacht Frauen, die auf die Verteilung von Nahrungsmitteln warten (Kabul, 23. Mai 2023, Keytone/AP Photo, Ebrahim Noroozi)

Genderthemen gehören zu den Aufregern heutzutage. Sternchen im Schriftbild sind Peanuts; es geht um Grundsätzliches: um geschlechtsunabhängige Menschenrechte. Hier besteht ein explosiver globaler Dissens, der die Weltkulturen trennt.

Mit der Entweder-oder-Einteilung der Menschen in Frauen und Männer ist es komplizierter geworden als auch schon, zumindest in Gesellschaften oder Teilen von Gesellschaften, welche die streng binäre Geschlechterordnung aufgegeben haben. Ob dieser Schritt richtig sei, ob er als Zeichen eines gesellschaftlichen Fortschritts betrachtet werden solle, das ist eine Streitfrage von globalen Dimensionen.

Nun war diese strittige Ordnung allerdings schon immer ein soziokulturelles Konstrukt. Vermutlich so ziemlich alle Gesellschaften haben für ihre weiblichen und männlichen Mitglieder ursprünglich unterschiedliche Rollen ausgebildet. So lange diese Kulturen stabil bleiben, können die von ihnen entwickelten Geschlechterrollen als «Natur» aufgefasst werden. Dann stellt sie auch niemand in Frage. Davon abweichendes Verhalten wird entsprechend als «unnatürlich» etikettiert und entweder als Ausnahme toleriert oder aber sanktioniert.

Diese stabilen Kulturen existieren noch als Überbleibsel einer vergangenen Welt. Sie sind selten geworden. Die grosse Mehrheit konservativ-traditionalistischer Gesellschaften ist in der Moderne angekommen. Sie mögen zwar an binären und starren Geschlechterordnungen festhalten, sind aber gleichzeitig konfrontiert mit deren Problematisierung: Da sind Individuen, vor allem Frauen, die aus ihren traditionellen Rollen ausbrechen; da erweisen sich die Selbstverständnisse bei beiden Geschlechtern als vielfältiger und veränderlicher als die traditionellen Bilder von Mann und Frau; und da sind schliesslich Minderheiten, die – als Homosexuelle, Bisexuelle, Transsexuelle, Nonbinäre, Asexuelle – nicht in die starre Ordnung passen. Traditionalistische Gesellschaften reagieren auf solche Erschütterungen ihrer Weltbilder, indem sie ihre Vorstellungen verhärten und ideologisieren. Als Reaktion auf die Modernisierung kämpfen sie vehement gegen das, was sie als Abweichung von der «Natur» verurteilen. Jetzt erst recht müssen Frauen «richtige» Frauen und Männer «echte» Männer sein.

Zu offenen Gesellschaften gehört die Veränderung und Überwindung von separierten Geschlechterrollen mit allen Konflikten und Entwicklungschancen, die das mit sich bringt. Solche Prozesse haben gegensätzliche Wirkungen: Auf der einen Seite gewinnen sie dank einzelner Erfolge an Breitenwirkung und Kraft; auf der anderen lösen sie Gegenbewegungen aus. So kommt es, dass neben der tiefen Spaltung zwischen – sehr grob gesagt – dem Westen und den meisten anderen globalen Kulturräumen sich zusätzlich auch scharfe Gegensätze innerhalb des Westens auftun.

Das wäre schon kompliziert genug. Nun aber werden in Teilen der offenen Gesellschaften zunehmend radikale Stimmen laut. Sie wollen das Konzept der unveränderlichen zwei Geschlechter endgültig über Bord werfen, fordern die freie Geschlechtswahl oder die Abschaffung der Geschlechtseinträge in amtlichen Dokumenten. Die Verwendung der Begriffe Mann und Frau wird als binäre Zumutung skandalisiert. Bei der freien Geschlechtswahl haben solche Ideen bereits in Gesetzgebung und Verwaltung verschiedener westlicher Länder – auch der Schweiz – Einzug gehalten.

Genderdebatten verhandeln einen sich global verstärkenden und verschärfenden Dissens, bei dem die Konfliktlinien nicht nur zwischen den grossen Kulturräumen, sondern auch innerhalb einzelner Gesellschaften verlaufen. Die hierzulande grosse Zahl von moderaten Fortschrittlichen und erst recht die radikalere Avantgarde sind mit den von ihnen als Selbstverständlichkeiten empfundenen Gleichheitsideen im Weltmassstab eine Minderheit. Ob ihre Vorstellungen sich jemals global durchsetzen werden, erscheint heute sehr fraglich.

Das stellt die Verfechterinnen und Verfechter von Gleichheit und geschlechtsunabhängigen Menschenrechten vor ein schwieriges Problem: Entweder wird an Geschlechtergleichheit als universalem Menschenrecht festgehalten – oder diese Leitvorstellung wird quasi zurückgenommen in den westlichen Kulturkreis als dessen integrierendes (aber nicht exklusives!) Element.

Beide Entscheidungen könnten die Beziehung zwischen der westlichen und der nichtwestlichen Welt tiefgreifend prägen. Die erste folgt der Intention der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und der Uno-Charta und postuliert grundlegende universale Werte für die gesamte Menschheit. Die zweite würde etwa in der islamischen Welt vermutlich als Abschied des Westens von seinem kulturellen Paternalismus willkommen geheissen. Allerdings wohl nicht von denjenigen, die beispielsweise einem islamischen Paternalismus unterworfen sind.

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