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Katastrophen in Japan

Viele Bilder - fernes Leid

15. März 2011
Stephan Wehowsky
Das Zusammenspiel von Natur- und Technikkatastrophen in Japan trifft die gesamte Zivilisation ins Mark. Die Annahme, dass der technische Fortschritt im Prinzip immer bessere Lebensbedingungen schaffen würde, gilt nicht mehr. Die Menschheit ist verletzlicher, als selbst Pessimisten sich das haben vorstellen können.

Die Medien übermitteln Bilder und Berichte und sie zetteln Diskussionen über die Zukunft der Energieversorgung an. Mitgefühl mit den leidenden Menschen und Trauer kommen kaum vor. Zeigt sich daran eine „Unfähigkeit zu trauern“, wie Margarete und Alexander Mitscherlich 1967 eine grundlegende Studie über kollektives Verhalten überschrieben haben?

Der Verdacht liegt nahe. Japan ist fern und nah zugleich. Die Bilder von den Katastrophen bringen uns das Leid nicht wirklich näher. Was sie zeigen, überschreitet unsere Vorstellungskraft und wird damit ungewollt zu einer Art Fiktion. Wir sehen und wir sehen nicht. Die Unfähigkeit zu trauern hat aber noch tiefere Gründe.

Wunsch nach Sicherheit

Auffällig ist der Abwehrreflex. Mit einem Mal heisst es, dass die Kernenergie mit zu grossen Risiken behaftet sei, um ihre Nutzung zu rechtfertigen. In Deutschland hat die Kanzlerin sofort die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke kassiert, und einzelne Meiler sollen sofort abgeschaltet werden. Auch in der Schweiz ist die Debatte neu entbrannt. Auf den ersten Blick erscheint das plausibel. Bei genauerer Betrachtung aber stellen sich Fragen.

Es ist, als sollte unser Abstand zu Japan noch vergrössert werden: Was dort passiert ist, soll bei uns prinzipiell nicht geschehen können. Wir wollen eine Sicherheit, die diejenige Japans weit übertrifft: keine Erdbeben, keine Tsunamis und keine atomaren Risiken. Schwere Erdbeben sind bei uns unwahrscheinlich und Tsunamis ausgeschlossen. Bleiben die Risiken der Atomkraftwerke, die man buchstäblich ausschalten möchte.

Dieser Wunsch folgt einem weit verbreiteten Verhaltensmuster. Wenn Angehörige erkranken, achten wir verstärkt auf ähnliche Symptome bei uns und gehen möglicherweise zur Vorsorgeuntersuchung. Wenn Unfälle geschehen, wollen wir die Ursachen finden, um sie künftig zu vermeiden. Dieser Egoismus der Davongekommenen hat durchaus seinen Sinn, denn er trägt zur Verbesserung der Prävention bei.

Fragiles Selbstbewusstsein

Die Grossrisiken der Technik stellen uns aber vor völlig andere Probleme. Die wachsende Anzahl der Menschen mit ihren Ansprüchen an ein Leben in Wohlstand hat steigende Risiken zur Folge. Denn die Ressourcen sind ebenso begrenzt wie die Belastbarkeit unseres Planeten. Dazu kommen Risiken, die ihre Ursachen in Konflikten haben: Atomwaffen, biologische Waffen, Terror. Was die Wohlstandsrhetorik der Politiker, aber auch der Wirtschaftler und Techniker sorgsam verdeckt, ist die Tatsache, dass wir gerade wegen der Massengesellschaft und der unvermeidlichen Grosstechnik immer verletzlicher, nicht aber unverwundbarer werden.

Die Unfähigkeit zu trauern hängt mit der Illusion der Unverwundbarkeit zusammen. An die klammern wir uns, und die Medien sorgen auf ihre Weise für die Aufrechterhaltung dieses im Grunde fragilen Selbstbewusstseins. Ab und zu aber lässt sich nicht ganz verdecken, dass es sich um einen Tanz auf dem Vulkan handelt. Dann müssen Politiker, Techniker und Manager wenigstens für einen Moment zugeben, dass sie jahrelang etwas vertreten haben, das sie jetzt unter gar keinen Umständen mehr vertreten wollen.

Die Lehre aus der Trauer

Um diesen Konkurs besser aussehen zu lassen, als er ist, wird das Wort „neu“ verwendet. Mit „neu“ verbinden sich sowieso positive Assoziationen, und wenn man etwas neu macht, ist es neu wie eine neue Schöpfung. Die Vergangenheit wird schlicht und einfach so zugedeckt, als ginge sie uns nichts mehr an. Wer an sie erinnert, gerät in die schwierige Situation des Rechthabers: „Ich habe es ja schon immer gewusst“.

Mitleid und Trauer, die auf diese Weise übergangen werden, könnten uns etwas anderes lehren. Wenn wir sehen würden, dass auch wir Japaner sind und ein Leben ohne Risiken nicht zu haben ist, würden wir kritischer mit Versprechungen umgehen. Nicht aus müssigem Misstrauen, sondern in dem Wissen um die unausweichliche Gefährdung.

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