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Kommentar 21

Verhandlungsparalyse

24. Dezember 2020
Stephan Wehowsky
Jetzt scheint nach dreieinhalb Jahren Verhandlungen doch noch ein Austrittsvertrag zwischen Grossbritannien und der EU zustande gekommen zu sein – ein schändliches Politspektakel.

Dass politische Entscheidungsprozesse anders ablaufen, als sich Wähler das vorstellen und wünschen, gehört zum allgemeinen Erfahrungsschatz. Politiker haben ihre eigenen Strategien. 

Aber kann jemand nachvollziehen, wie Kommissionen monatelang über zwei oder drei strittige Punkte verhandeln, die an sich gar nicht besonders kompliziert sind? Zum Beispiel über die Frage, wer wann in welchen Gebieten wie viele Fische fangen darf. Was machen die da am Verhandlungstisch? Wiederholen sie mantraartig dieselben Standpunkte? Oder gibt es Witzbolde, denen immer wieder neue Finten einfallen, mit denen sich dann die Gegenseite noch einmal beschäftigen muss? 

Was da geschieht, oder auch nicht geschieht, liegt jenseits des Vorstellungsvermögens eines gesunden Menschenverstandes. Dabei lassen die Verhandler eine Frist nach der anderen verstreichen. Damit verhöhnen sie die Wähler und die Parlamente gleich mit.

Die Wähler werden in derartigen Verhandlungsspektakeln buchstäblich zermahlen. Sie haben abgestimmt, haben zwischenzeitlich neue Regierungen gewählt, aber ihnen wird eigentlich nur klargemacht, dass das, wofür beziehungsweise wogegen sie gestimmt haben, so komplex ist, dass Spezialisten damit über Jahre ihr einträgliches Auskommen finden. Das ist auch eine Möglichkeit, den Wählern ihre Inkompetenz vorzuführen.

Und die Bedeutung der Parlamente wird dadurch geradezu ins Lächerliche gezogen, dass die Verhandlungsspezialisten und die ihnen hörigen Politiker an den parlamentarischen Verfahren überhaupt kein Interesse zeigen. Die Parlamente in Brüssel, London und auch in den einzelnen Mitgliedsländern der EU brauchen Zeit, um die Verhandlungsergebnisse überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, sie zu bewerten, sie zu diskutieren und am Ende darüber abzustimmen. In den Augen der Verhandler dürften das sehr umständliche und altmodische Ansprüche sein.

Mit der Verhöhnung der Wähler und der Parlamente wird die EU in einer Weise zerstört, wie es ihre Gegner nicht im Entferntesten hinbekommen würden. Eine Verhandlungskommission legt über Monate einen Teil der EU lahm, weil sie sich über ein paar Formulierungen bezüglich künftiger Spielregeln und bezüglich des eingrenzbaren Problems der Fischereirechte nicht einigen kann. Dass die EU an ungleich grösseren Problemen wie der Flüchtlingsfrage und dem Klimaschutz jämmerlich scheitert, kann da nicht mehr verwundern.

Wer soll sich noch für Europa begeistern? Die Brexit-Abstimmung war ein Desaster. Damit ist der Schaden angerichtet. Aber jetzt kommt noch die Paralyse hinzu.
 

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