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Schweizer Film

Und niemand schaut hin

16. August 2011
Roger Anderegg
Wie er denn auszusehen hätte, der neue, relevante und erst noch erfolgreiche Schweizer Film, das wussten natürlich alle Teilnehmer dieses Podiumsgesprächs am 64. Filmfestival von Locarno, das am 9. August im Pavillon der SRG am Rande der Piazza Grande stattfand. „Der Schweizer Film vor dem Durchbruch?“ hiess der Titel. Der war aber wohl ironisch gemeint.

Für Ivo Kummer, während 22 Jahren Direktor der Solothurner Filmtage und seit kurzem neuer Filmchef des Bundes, sind im helvetischen Spielfilm „die Jahre der Beschaulichkeit“ angebrochen, weshalb er dringend „mehr Mut zum Risiko“ fordert. „Etwas Unerwartetes“ wünscht sich auch Kaspar Kasics, selber Regisseur und Produzent. Josefa Haas von Swiss Films wird noch deutlicher: Sie träumt von einem „Kinoerlebnis, von dem die Leute auch noch in fünf Jahren reden“. Das aber sei ohnehin nur unter der Bedingung einer „Reorganisation des Filmförderungswesens“ zu haben, moniert Vinzenz Hediger, Professor für Filmwissenschaft an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

Aber seltsam: Da hat man doch gerade erst zwei Stunden zuvor, in den Appellations Suisse im halbvollen Fevisaal, einen neuen Schweizer Film gesehen, der fast alle diese Wünsche vorbildlich erfüllt. „Silberwald“ von Christine Repond ist ein starker Erstling aus dem Schweizer Mittelland, ein gesellschaftspolitisches Lehrstück über das Jungsein und das Erwachsenwerden und über die Verlockung der Gewalt, beklemmend und genau. In dunklen, kalten Bildern, eingebettet in eine bäuerliche Landschaft, die uns sonst immer Hort ist und Heimat, spielt sich ein Drama ab, dessen Figuren und Bilder uns unmittelbar packen und sehr direkt angehen, weil wir spüren: Das ist unsere Zeit, das ist unsere Schweiz!

Dieser „Silberwald“, ein Stück Neorealismus aus dem Emmental, ist jedenfalls etwas ganz und gar Unerwartetes und beweist sehr viel Mut zum Risiko. Dass das Werk auch ohne vorherige Reorganisation des Filmförderungswesens zustande gekommen ist, grenzt an ein kleines Wunder. Ob man in fünf Jahren noch von ihm reden wird, ist schwer zu sagen – sicher aber ist, dass es auch noch in fünf Jahren von beängstigender Aktualität sein wird.

Doch zuerst müsste der Film, von Dschoint Ventschr produziert und im Ausland inzwischen schon mehrfach preisgekrönt, einen Schweizer Kinoverleih mit Mut zum Risiko finden. Ob da vielleicht die Podiumsredner weiterhelfen können? Die heimische Filmkritik hat das Werk bis heute kaum zur Kenntnis genommen. Nicht zufällig konstatiert Christian Jungen, als Präsident des einschlägigen Berufsverbands sozusagen oberster helvetischer Filmkritiker und Moderator des Locarno-Podiums, „eine gewisse Abkühlung“ der Schweizer Filmkritik dem Schweizer Film gegenüber. Wenn aber die Kulturvermittler ihre Leserschaft nicht einmal mehr auf einen bemerkenswerten Erstling hinweisen, ist das allerdings nicht Abkühlung, sondern Ignoranz.

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