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Italien

Türkisblaues Wasser - schwarzer Sommer

13. Juli 2011 , Salerno
Journal21
Türkisblaues Wasser, keine Wolke am Himmel, die Ferien haben begonnen. Der Chef des Hotels „Il Gabbiano“ in Palinuro südlich von Salerno steht traurig an der Réception. „Purtroppo, purtroppo“, sagt er. Das Hotel ist halbleer. „Leider, leider, schwierige Zeiten“.

Weiter südlich liegt Scalea, ein lebendiges Städtchen am Meer. Im „Grand Hotel De Rose“ räkeln sich Russinnen und Russen im Hotelgarten. Italienische Gäste gibt es kaum. Die Hälfte der Zimmer ist leer. „Zum Glück gibt es die Russen“, sagt der Herr an der Réception. Hotelinformationen und Speisekarten sind auch auf kyrillisch verfasst. Im Städtchen preisen die Immobilienhändler ihre Ferienhäuser auf russisch an.

Nördlich liegt Santa Maria di Castellabate. „Über die Wochenenden sind wir ausgebucht“, erzählt der Chef des Hotels „Sonia“, „sonst herrscht Flaute“.

Tatsächlich: Samstag und Sonntag herrscht an den Stränden Jahrmarktstimmung. „Tutti al mare“: Der legendäre Schlachtruf der Italiener gilt noch immer – doch nur noch für die Wochenenden. Längere Ferien können sich die meisten Italiener nicht mehr leisten.

Viele Sonnenschirme, wenig Leute. Am Weekend ausgebucht, während der Woche Flaute
Viele Sonnenschirme, wenig Leute. Am Weekend ausgebucht, während der Woche Flaute

Nur einer von fünf Italienern verreist in diesem Sommer in die Ferien. Das gab es seit dem Zweiten Weltkrieg noch nie. Im letzten Jahr verreiste noch die Hälfte der Bevölkerung. Diese Zahlen veröffentlichte soeben die Konsumentenorganisation Adoc. „Dieses Jahr bringt einen schwarzer Sommer für den italienischen Tourismus“, sagt Carlo Pileri, der Präsident von Adoc.

“Die Zeit der grossen Ferien ist vorbei“

Früher nahmen auch die Italiener drei, vier Wochen Ferien am Stück. Die Ferien werden immer kürzer. „Die Krise ist da, die Zeit der grossen Ferien ist vorbei“ sagt Daniele Bartolini aus Follonica einer Zeitungsreporterin. 62 Prozent jener, die jetzt verreisen, tun es für höchstens eine Woche. Nur ein Prozent der Italiener kann es sich leisten, einen Monat Ferien zu nehmen.

Statt für längere Zeit zu verreisen, vereisen die Italiener immer häufiger nur am Wochenende – dies allerdings mehrmals im Sommer. Dies führt dazu, dass auf den Zufahrtstrassen zum Meer an jedem Wochenende der Teufel los ist. Am letzten Weekend waren sechs Millionen Italiener im Auto unterwegs: Lange Staus am Samstagvormittag, lange Staus am Sonntagabend. „Adesso la tempesta“, kommentiert am Sonntag um 16.00 Uhr der Sprecher von „Isoradio“, dem italienischen Verkehrsradio. Jetzt beginnt der Sturm.

Auch das Ferienbudget wird immer kleiner. 56 Prozent der Italiener geben in den Ferien höchstens 700 Euro aus. Nur ein Prozent zahlt mehr als tausend Euro. Immer mehr Italiener verschulden sich für ihre Ferien. Elf Prozent stottern den Ferienaufenthalt in Raten ab.

Benzin ist teurer als Wein

Auch in Italien wird der Urlaub immer teurer. Die Preise sind innerhalb eines Jahres teils drastisch gestiegen. Hotels und Restaurants sind im Durchschnitt acht Prozent teurer. Der Preis für ein Zugbillet stieg um sieben Prozent. Die traghetti, also die Autofähren auf die Inseln Elba, Giglio und Sardinien sind bis zu 70 Prozent teurer geworden. Inlandflüge kosten 25 Prozent mehr. Die Strassenzölle sind wieder um drei Prozent gestiegen. Und der Benzinpreis liegt im Süden bei 1.68 Euro. Ein Liter Benzin ist heute teurer als ein Liter Wein in einem durchschnittlichen Restaurant.

Die einzigen, die glauben, sich freuen zu können, sind die Schweizer. Vor vier Jahren lag der Euro um diese Zeit bei 1.65 Franken. Letztes Jahr notierte er im Sommer bei 1.40, und jetzt rutschte er weit unter 1.20 – perfektes Timing für die Ferienzeit. Doch billiger werden die Ferien damit nicht. Was man beim Wechselkurs gewinnt, verliert man mit höheren Preisen. Unter dem Strich sind die Ferien in Italien auch für die Schweizer nicht billiger geworden.

Angesagt sind deshalb „low cost-Ferien“. Hotels werden mehr und mehr gemieden. Viele Italiener und Ausländer zieht es in die „Agriturismi“ – Landhäuser, die von Privaten bewirtschaftet werden und billiger als Hotels sind.

WG-Ferien

Mehr und mehr tun sich italienische Familien zusammen, mieten gemeinsam Ferienwohnungen mit bis zu zehn Betten und teilen sich die Kosten. Die Italiener lieben den Kontakt mit andern. Schon immer gingen sie in Gruppen auf Reisen. Deshalb stören sie solche WG-Ferien weniger, als sie vielleicht Nordländer stören würden.

Immer mehr Private vermieten ihre Zimmer oder Wohnungsteile, verdienen so etwas Geld und erlauben es andern, billig Ferien zu machen. In Mode gekommen ist auch das sogenannte „couch surfing“. Man tauscht das Sofa in der eigenen Wohnung mit einem Sofa einer andern Wohnung. „Ich gebe dir meine Wohnung und du gibst mir deine“. 33‘000 Italiener machen in diesem Jahr auf diese Art Ferien. Auch mit Ausländern wird getauscht. „Ich mache zwei Wochen Ferien in deinem Haus im amerikanischen Wilden Westen und du verbringst zwei Wochen in meiner Wohnung in Pisa“.

Drei von zehn Italienern machen Ferien im Ausland. Dieses Jahr vor allem in Griechenland.

Stefano wohnt in Chianciano Terme in der südlichen Toscana. Er ist Installateur bei „Telecom Italia“. Soeben ist er aus Griechenland zurück. Eine Woche lang lag er am Strand von Santorini. Stolz zeigt er auf seinem iPhone seine Ferienfotos. Da sieht man ein riesiges Kreuzschiff und viele, viele Italiener. Stefano ist begeistert von seiner Griechenland-Tour. „Ich fahre wieder hin, Italien ist zu teuer“. Stefano zahlte für eine Woche 490 Euro.

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